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Ich schwieg ab dem Zeitpunkt. Ich wollte nicht weiter von ihr angeschrien werden. „Kannst du mich vielleicht Melina nennen? Ich habe meinen Zweitnamen lieber, und das weißt du eigentlich", sagte ich leise, um sie nicht noch mehr zu verärgern. „Ich werde versuchen, in Zukunft mehr darauf zu achten", antwortete sie. Ich hatte nicht wirklich gedacht, dass sie das sagen würde, aber gut, dann wäre dieses Thema wohl vorbei. „Danke, das bedeutet mir viel", erwiderte ich erleichtert. Ich nahm mir ein Brot von dem Teller in der Mitte und legte es auf meinen Teller. Das Gleiche schien meine Mutter auch zu tun. Wir beide schwiegen uns an.

Anschließend stand meine Mutter vom Frühstückstisch auf, wuschelte mir durch meine langen braunen Haare und lief schließlich aus der Küche. Mein Vater kam gemeinsam mit meiner Mutter wenige Zeit später zurück in die Küche. Gemeinsam frühstückten wir still, jeder in seinen eigenen Gedanken versunken. Nachdem mein Vater fertig geworden war mit dem Essen und aufstand, um seinen Teller wegzubringen, ergriff er zuerst das Wort. „Wie hast du es eigentlich schon wieder angestellt, so wenig zu schaffen? Wie oft habe ich dich bitte gestern daran erinnert? Öfter als eigentlich gewollt! Was machst du denn die ganze Zeit da oben, wenn du nicht aufräumst?" Die Miene meines Vaters wurde wieder strenger. Ich blieb aber erstmal ruhig und antwortete ihm so freundlich wie ich nur konnte: „Ich habe gestern Abend, als ich die letzten Koffer aus dem Auto geholt habe, etwas gesehen." Ich begann zu erzählen: „Einen weißen kleinen Vogel, ich glaube, es war eine Eule." Ich stoppte mit meiner Erzählung. Mein Vater verdrehte die Augen und sah mich genervt an, bevor er zu Wort kam.

Meine Mutter entgegnete: „Liebling, lass sie doch erstmal ausreden. Ein weißer Vogel, wie schön", lächelte sie und gab mir ein Zeichen, dass ich weiterreden sollte. Ich holte tief Luft. „Er war richtig süß und lieb zu mir. Ich konnte ihn sogar streicheln", erzählte ich begeistert und richtete meinen Blick auf meine Mutter, die mich weiter lächelnd ansah. „Eine Zeitlang habe ich mich mit ihm unterhalten, hinterher ist er wieder mit seinen Freunden in Richtung Meer geflogen", beendete ich meine Erzählung. „Ein Vogel? Dein Ernst?" seufzte mein Vater und holte sich erneut ein Stück Brot vom Teller. Ich sah zu meiner Mutter. Diese versuchte, ihren Kopf hinter der Tüte zu verstecken. Ich konnte mir ein Schmunzeln nicht verkneifen. Weiter ging ich nicht mehr auf sie ein. Ich wandte mich wieder an meinen Vater, der wieder so aussah, als hätte er schon wieder was zu motzen, als ob er es nicht schon genug getan hätte. Wie ich das hasse, wenn er direkt morgens pissig drauf ist. Kann er nicht einfach mal so sein wie meine Mutter? So entspannt und ruhig. Das wäre wirklich mal etwas Schöneres zur Abwechslung. Meine Familie wäre darauffolgend nicht mehr dieselbe, im guten Sinne.

„Nachdem du diesen Vogel gesehen hast und in dein Zimmer gegangen bist", wiederholte mein Vater einen Teil meiner Geschichte, „hast du dann nicht deine Sachen aufgeräumt?" Ich sah ihn an. „Ja doch." Bevor ich weiterreden konnte, stand er plötzlich auf, haute aggressiv auf den Tisch und sagte: „Wie ja doch?! Warum sieht dein Zimmer dann mal wieder aus, als hätte dort eine Bombe eingeschlagen?! Du brauchst mich auch gar nicht anzulügen, Fräulein! Man sieht doch, dass du nur ein paar Sachen, wenn überhaupt, rausgeschmissen hast und somit ein komplettes Chaos ausgelöst hast!" Er nahm seinen Teller, stand damit auf und schüttete den Rest, der noch auf dem Teller war, in den Mülleimer. „Beruhigt euch doch mal langsam wieder", sagte meine Mutter, wie immer in ihrem freundlichen Ton.

„Beruhigen? Du solltest deiner Tochter echt mal Manieren beibringen. Und einen Sinn für Ordnung, ganz wichtig! So wird das doch nie was, wenn du einmal alleine wohnst Melina!"

Bevor mein Vater sich weiter über mich aufregen konnte, entgegnete meine Mutter hastig, „Marcel, es ist besser, wenn du jetzt gehst. Sei lieber ein Vorbild und mache es besser. Hör auf, auf deine Tochter herumzuhacken, und fang doch lieber selbst an aufzuräumen." Mein Vater wollte etwas erwidern, aber meine Mutter machte eine abweisende Handbewegung, und er verließ die Küche. Wie hat sie das wohl geschafft, ihn so einfach zum Schweigen zu bringen? So habe ich sie ja lange nicht mehr erlebt. Dachte ich schadenfroh, während ich meinem Vater grinsend beim Gehen beobachtete. Sie ist echt etwas Besonderes. Ich sah zu meiner Mutter. Ein wenig verwirrt über die ganze Situation war ich dennoch. Wie hatte sie es geschafft, ihn so leicht wegzubringen, ohne sich groß aufzuregen? Echt cool. Aber was machten diese komischen Flaschen in der Abstellkammer? Fiel mir dann wieder ein, ich wollte sie fragen, wusste aber nicht wie.

Fragen über Fragen sammelten sich in meinen Gedanken, sodass ich sie selbst kaum verstand. Ich kaute weiter auf meinem Brötchen herum. Dies musste wohl sehr merkwürdig ausgesehen haben, denn meine Mutter sah mich mit einem schiefen Blick an. „Alles gut, Liebling?" fragte sie mich besorgt. „Äh ja, alles super toll", antwortete ich ihr nur und stand dann ebenfalls langsam auf, um meinen Teller wegzubringen. „Mach dir nichts drauf, ja? Du kennst doch deinen Vater, er ist bestimmt nur gestresst wegen dem ganzen Neuen hier. Wir müssen dich auch noch bei einer Schule anmelden. Sei doch bitte so lieb und tu demnächst wirklich, was er sagt, okay?" Meine Mutter sah mich mit einem lieben, aber auch irgendwie gleichzeitig strengen Blick an. Ich antwortete nur mit einem Nicken.

Ich reichte meiner Mutter meinen Teller, den sie entgegennahm, und lief dann aus der Küche. Die Wendeltreppe hinauf und in Richtung meines Zimmers.

„Schule, Schule", ging mir durch den Kopf. Ich habe echt schon Angst, wie sie sein wird. Wird sie besser als meine Neue? Werde ich Freunde finden, oder wird mich keiner mögen, wie auf meiner alten in Deutschland? Ich werde dies wohl alles noch herausfinden.

Ich sah etwas niedergeschlagen zu Boden, öffnete meine Zimmertür und betrat mein unaufgeräumtes Zimmer. Okay gut, mein Vater hatte echt nicht unrecht, es sieht wirklich schlimm aus! Mit großen Schritten über meine Sachen auf dem Boden ließ ich mich auf mein Bett fallen. Eine Zeit lang dachte ich noch nach.

Doch irgendwann drehte sich alles, und mir wurde schwarz vor Augen.

SkyfallWo Geschichten leben. Entdecke jetzt