f o u r t e e n

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Ella PoV.:

Ich fühle mich wie berauscht, wie auf einem der Drogentrips, die ich früher jeden Tag erlebt habe. Dieses Gefühl von Schwerelosigkeit, Freiheit und Befriedigung ist das, was ich seit Jahren vermisst habe. Auch wenn das, was hier passiert, vollkommen falsch ist, denn der Auslöser für dieses Hochgefühl ist kein geringerer als Julian, fällt es mir schwer, diese Empfindung zu ignorieren. Auch wenn sich der Sex die beiden Male nicht zu hundert Prozent freiwillig angefühlt hat, habe ich es dennoch genossen.

Und heute lag es vor allem daran, dass ich irgendwo meinen ganzen Emotionen Luft machen musste. Den ganzen Tag über war ich bis zum Zerreißen angespannt, ja nichts falsches zu sagen und fast wäre es auch passiert, als ich mich mit meiner Arbeit verplappert habe. Julian hätte mir in diesem Moment zwar am liebsten den Kopf abgerissen, aber meiner Ansicht nach, hatte das gar keinen Einfluss auf die eh schon skeptische Einstellung seines Vaters und teilweise auch seines Bruders. Julian hatte mir im Vorfeld schon ein wenig zum Verhältnis mit seiner Familie erzählt, aber dass er und auch ich so im Beschuss stehen werden, hatte ich so nicht erwartet.

Mir war klar, dass ich noch eine Schippe drauflegen muss, um es etwas glaubhafter aussehen zu lassen, somit blieb mir als letzter Ausweg so ein kitschiges Pärchenfoto, um zumindest Jannis und Jascha auf unserer Seite zu haben. Aber was schlussendlich draus geworden ist, bereitet mir noch immer Bauchschmerzen. Dieser Kuss war vom Gefühl her niemals nur ein Fake, sowohl von Julians als auch von meiner Seite. Zugegeben, hätte ich ihn gerne noch ein wenig weiter geküsst, denn verdammt das kann er gut. Aber nach all den ausufernden Schwärmereien in meinem Kopf muss ich mir immer wieder in Erinnerung rufen, wieso ich überhaupt erst hier bin.

Neben mir liegt eine Red Flag auf zwei Beinen, er erpresst mich, nutzt mich aus und das, obwohl er an seiner Situation einzig und allein selbst Schuld ist. Und doch kann ich mich auch jetzt nicht von seinem Anblick lösen, denn in meinem Kopf passen so einige Dinge nicht zusammen.

Als wir am Nachmittag spazieren waren und viel über seine Kindheit und seine Erinnerungen daran gesprochen haben, kam es mir so vor, als würde er selbst gerade überdenken, was aus ihm geworden ist. Seinen Gesichtsausdruck und die Gespräche mit seinen Brüdern haben überhaupt nicht zu dem Julian gepasst, den ich in den letzten Wochen an der Backe hatte. Ich spüre, dass irgendwas in ihm steckt, was er nicht rauslassen will, und was er vor allen oder auch nur vor mir versteckt. Er will sich ja schließlich auch nicht angreifbar machen, aber da hat er die Rechnung nicht mit mir gemacht. Ich habe beim Spieleabend schon fieberhaft darüber nachgedacht, wie ich irgendwas aus ihm herausbekommen kann, aber meine Chancen stehen da eher schlecht. Denn so wie er, auch nach den vielen intensiven und ehrlichen Blicken, Gesprächen und diesem gottverdammten Kuss, mich nach wie vor behandelt, muss ich einen anderen Weg finden, mehr über ihn herauszubekommen. Was er kann, kann ich schon lange.

Die ganze Nacht über mache ich kein Auge zu, so oft versuche ich, das alles in einen Kontext zu bringen. Irgendwann erhebe ich mich vorsichtig vom Bett, aber Julian scheint ohnehin tief und fest zu schlafen. Mit leisen Schritten laufe ich Richtung Küche, um mir erstmal ein Glas Wasser für meinen trockenen Hals zu holen.

Blind taste ich nach einem Lichtschalter und zu meiner Erleichterung gehen auch nur die kleinen Lampen über der Arbeitsfläche an, anstatt gleich die ganze Festtagsbeleuchtung.

Ich gieße mir schließlich ein Glas Wasser ein und lasse den Blick durch den offenen Wohn-/ Essbereich schweifen. An den Wänden hängen überall Familienfotos, auf denen die Brandts glücklich in die Kamera lächeln. Bei Familienfeiern, Fußballspielen oder einfach nur zu Hause auf der Couch. Ich verstehe ehrlich nicht, was für ein verdammtes Problem dieser Kerl mit seinem Leben hat. Eine glückliche Kindheit, mit einer liebevollen und unterstützenden Familie ohne irgendwelche großen Sorgen. Wieso zum Teufel ist er nur so abgedreht? Eine Frage, die meine Theorie nur noch untermauert, irgendwas muss in dieser Zeit passiert sein.

U N B R E A K A B L E - Julian BrandtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt