f i f t e e n

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Ella PoV.:

Jetzt bin ich es, die ihn sprachlos anstarrt. Und er starrt ebenso zurück. Der Unterschied ist lediglich, dass ihm nun Tränen über die Wangen rollen. Ich kann überhaupt nicht einordnen, was gerade abgeht, was in ihm vorgeht und eigentlich weiß ich nicht mal, was in mir vorgeht. Ich habe ungewollt den Drang, ihn in den Arm zu nehmen, denn genauso wie damals in Köln merke ich, dass sich irgendwas in ihm gerade geöffnet hat.

Doch ich seufze resigniert und schüttle den Kopf. "Ehrlich Julian, was soll diese Show jetzt schon wieder?" Ich versuche etwas aus seiner Mimik zu lesen, doch er starrt mich immer noch mit leeren Augen an. So langsam wird es mir etwas zu unheimlich. Gerade noch hat er mich angebrüllt und bedroht und jetzt das? "Ich hab echt keinen Nerv für deine Stimmungsschwankungen, ich habe hier noch ein wichtiges Gespräch." ich versuche mich an ihm in Richtung Tür vorbei zu drücken, doch er hält mich zurück. Keineswegs grob, sondern eher sanft und bittend. "Ella, warte, bitte." Seine Stimme ist kaum mehr als ein Krächzen. "Ich muss mit dir über was reden, aber in Ruhe. Wenn du hier fertig bist treffen wir uns unten." Ich schaue auf und in seine Augen, sein Blick ist beinahe schon flehend. "Es ist mir auch egal, was du Kehl jetzt dann erzählst, ich nehm' alles auf mich." Das sind ja mal ganz fremde Wörter, die ich da höre. Schließlich nicke ich zustimmend. "Von mir aus." Ich will gerade einfach nur möglichst schnell raus aus dieser Situation, denn so langsam glaube ich, dass ich anfange zu spinnen. Ich kann mir diesen aggressiven und erpresserischen Julian doch nicht die ganze Zeit eingebildet haben? Aber wenn ich mir den Julian vor mir so anschaue, würde ich eher noch glauben, dass er einen bösen Zwilling hat.

Das ganze Gespräch mit Kehl rauscht nur so an mir vorüber, denn in Gedanken bin ich nur bei dem was nachher kommt, was auch immer das sein mag. Ich habe mich als ich wieder vor dem Sportdirektor saß, naiverweise dafür entschieden mit den schlimmsten Geschichten über Julian erstmal noch zu warten. Je nachdem was er mir jetzt dann zu sagen hat, kann ich immernoch einen neuen Termin vereinbaren und ihn den Bossen auf dem Silbertablett servieren. Nichtsdestotrotz habe ich Kehl ans Herz gelegt, die Entscheidung gegen eine Wiederaufnahme ins Team zu treffen, denn das, was ich mit ihm erlebt habe, entspricht der Wahrheit und hat auch nichts mit mir oder meiner Vergangenheit zu tun. Julian hat sich unmöglich benommen und hat für alle nur ein gutes Schauspiel ohne auch nur einen einzigen Funken der Besserung abgeliefert, und das sollen sie auch wissen. Ich versuche permanent, dieses Bauchgefühl tief in mir zu unterdrücken, aber für das was er mir die letzten Monate angetan hat, soll er auch die Quittung bekommen.

Als ich das Büro des Sportdirektors verlassen habe, suche ich erstmal die Toilette auf, um in Ruhe meine Gedanken sortieren zu können. Ich sage mir immer wieder vor, dass ich die richtige Entscheidung getroffen habe, zu offenbaren wie die Arbeit mit Julian wirklich war. Ich muss an mich selbst und vor allem an Maxim denken. Ich brauche diesen Job und ich brauche die Referenzen.Auch wenn es im Nachhinein besser gewesen wäre, ich hätte dieses Jobangebot niemals bekommen. Vielleicht war es falsch, diese Affäre, oder was es auch immer ist, zu verschweigen, aber es geht hier um Julians Verbleib beim Verein und nicht seine oder meine privaten Angelegenheiten. Es war falsch von mir, überhaupt mit ihm zu schlafen und mich auf all das einzulassen. Wie soll das überhaupt weitergehen, wenn seine Familie nach mir fragt? Die zu allem Überfluss jetzt auch weiß, dass ich hier arbeite? Angestrengt fahre ich mir durchs Gesicht und versuche meine Atmung unter Kontrolle zu bringen. Damals war mein Leben deutlich leichter, denke ich mir. Keine Verantwortung, keine Belastung, aber dafür ein Suchtproblem und keine Zukunftsaussichten. Schnell schüttle ich den Kopf, um diese Gedanken loszuwerden. Diese ganze Situation mit Julian hat mich wieder mehr an meine Vergangenheit und so manche angeblich sorgenfreie Tage denken lassen, an denen ich von früh bis spät unter Drogeneinfluss stand. Ich hasse ihn aus mehreren Gründen, aber dieser Grund steht auf der Liste ganz oben, seit Jahren habe ich nicht mehr daran zurückgedacht, aber dieser psychische Druck hat wieder Dinge in mir ausgelöst, die ich eigentlich besiegt habe, so dachte ich zumindest.

U N B R E A K A B L E - Julian BrandtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt