Kapitel 14 - Trauer

1K 208 32
                                    

Brian und Debbie Mictiv hatten die Phase der fließenden Tränen bereits hinter sich, als Harry und Liam schließlich eine Stunde später bei ihnen auf dem Sofa saßen.

Zayn hatte die Koordination der Durchsuchung der weiteren Umgebung übernommen. Eigentlich hatte Liam das machen wollen. Aber Schere-Stein-Papier hatten entschieden.

"Eltern sollten ihr Kind nicht beerdigen müssen. Die Natur hat es vorgesehen, dass Kinder die Eltern beerdigen. Nicht anders herum...", murmelte Brian und stellte den Ermittlern ungefragt Wasser vor die Nasen.

"Es ist so surreal. Ich meine... Jim... Er ist doch... Er wollte doch... Wie kann....", begann er und brach dann ab. Setzte sich neben seine Frau, die auf dem anderen Sofa zusammengesunken saß und starr vor sich hin blickte.

"Wir bedauern aufrichtig ihren Verlust.", beteuerte Liam nochmal.
Keine Reaktion bei der Mutter. Der Vater nickte knapp und brach dann doch wieder in Tränen aus, während er wieder aufstand und umher ging.
Der Umgang mit den direkten Hinterbliebenen gehörte zu den Aufgaben, die wohl keiner gern machte. Weil man ihnen letztlich nicht helfen konnte. Man konnte den Verantwortlichen ermitteln, man konnte ihn seiner Strafe zuführen, die als gerecht erachtet wurde, aber man konnte den Toten nicht zurück holen. Man konnte den Schmerz nicht lindern. Jemand fehlte. Würde für immer fehlen. Aber besser die Trauer, als eine Gleichgültigkeit. Harry hatte einmal in einem Mordfall ermittelt, bei dem einfach niemand getrauert hatte. Nicht, weil sie alle so unter Schock gestanden hatten oder der Tote ein Arschloch war. Nein. Er war einfach nur niemandem wirklich wichtig gewesen. Gleichgültigkeit hatte geherrscht. Seither ertrug Harry die Trauer besser.

"War bei ihrer Verabschiedung irgendetwas besonders? Hat er sich irgendwie anders verhalten?", fragte Liam.
"Nein. Er war herzlich. Wie immer. Hat gesagt, wir sollten uns keine... Keine Sorgen um ihn machen..."
"Können Sie sagen, ob hier irgendwas hier fehlt?", fragte Harry möglichst sanft.
"Jims Lieblingskekse. Ich hab letzte Woche fünf Packungen gekauft. Waren im Angebot.. An denen konnte er nie vorbei gehen...", sprach Debbie mit einem traurigen Lächeln.
"Und könnte er sie einfach gegessen haben?", fragte Harry etwas planlos.
"Nein. Er hat immer nur zwei mit zur Arbeit genommen."
"War er zufrieden mit seiner Arbeit?"
"Ja... Schon... Benjamin hätte ihn damals gern ausgebildet. Aber das wollte Jim nicht."
"Benjamin Furst?", fragte Harry und dachte an den Schlosser, dessen Sohn den Betrieb übernehmen sollte. Der Kumpel von Peter.

"Ja genau."
"Jim hatte damals sehr gute Noten. Hat er nie darüber nachgedacht, vielleicht studieren zu gehen?", fragte Harry.
"Nein... Aber das tut hier niemand. Das nächste Gymnasium ist mit den öffentlichen Verkehrsmitteln fast zwei Stunden entfernt und man hat unmögliche Wartezeiten. Daher macht hier niemand Abi. Egal, wie die Noten aussehen. Außerdem sind die Kinder hier alle sehr eng miteinander. Jim hing immer schon sehr an William Tomlinson. Und der blieb ja auch hier...", erklärte Brian.
"Jims Auto war ja vor einer Weile kaputt und die Reparatur kostspielig. Wissen Sie, woher er das Geld hatte?"
"Nein. Probleme hat Jim nie mit uns besprochen. Er... Die anderen werden teils vielleicht sagen, dass er... Unselbständig war, weil er bislang nicht ausgezogen ist, aber... Im Kopf war Jim weiter, als viele hier jemals sein werden.", erklärte Debbie.
"Er hat mit Timothee Franklin über die konventionelle Landwirtschaft diskutiert."
"Nicht nur das. Er hat nie Streit gesucht, aber... Er hat sehr gern diskutiert und Meinungen ausgetauscht. Viele können das nicht auseinander halten."
"Mit wem hat er denn noch so Meinungen ausgetauscht?"
"Mit den Smiths von nebenan zum Beispiel. Die sind ständig am schimpfen wegen nichts und wieder nichts. Oder mit Margot Rush und Abby Milton."
"Wieso mit denen?"
"Die beiden bilden das Frühlingskomitee. Ich bin seit dem letzten Jahr dabei und sie planen viel an mir vorbei. Sie nehmen mich nicht für voll und hätten gern alles wie vor dreißig Jahren. Es ist etwas zäh, aber geht schon.", erklärte Debbie achselzuckend.
"Dann hat Jim sich für Sie eingesetzt?"
"Ja. Jim war... Sehr gerecht."
"Wie war das mit ihm und Yvette Miller? Die beiden waren ja ein Paar?"
"Ja. Yvette ist ein nettes Mädchen."
"Hätten Sie sich gewünscht, dass die beiden ein Paar geblieben wären?"
"Nein. Wir hatten Sorge, wenn es im Streit auseinander gegangen wäre. Aber das ist es ja nicht. Jim war zufrieden. Grade in den letzten Wochen. Wir haben schon überlegt, ob er uns wohl bald eine neue Partnerin vorstellen wird... Aber... Das werden wir jetzt ja nicht mehr erfahren...", seufzte Brian.
"Also hat er ihnen gegenüber niemanden erwähnt?"
"Nein. Aber dafür war er auch nicht der Typ. Meistens hat er über Dinge erst gesprochen, wenn sie schon in trockenen Tüchern waren.", erklärte Debbie.
"Okay. Nochmal kurz zurück zu der Autoreparatur..."
"Mike Trekt hat den Wagen repariert. Der ist auch bei der Freiwilligen Feuerwehr dabei. Wir dachten, dass er Jim einen Zahlungsaufschub gewährt hätte, oder Jim mit seinem Chef über den Engpass besprochen hätte. Sein Chef ist super. Der hätte da bestimmt etwas ermöglicht.", antwortete Brian sofort.
"Okay. Danke. Zu wem im Dorf pflegte Jim außer William engen Kontakt?"
"Zu den anderen aus den Vereinen. Mit Mike hat er sich auch ganz gut verstanden."
"Gab es da jüngst mal Stress?"
"Nein. Seine Freunde schätzten Jims Art. Mit denen hatte er keinen Stress."
"Können wir einmal zusammen in seinen Kleiderschrank sehen?", folgte Liam einem Impuls.
"Ja, natürlich."

Zu viert gingen sie die Treppe hinauf in Jims Zimmer. Beide Elternteile schluckten beim Betreten schwer. Man sah förmlich, wie Gedanken durch deren Kopf wirbelten. Vielleicht dachten sie an ihre letzten Momente mit ihrem Sohn? Oder an besondere Ereignisse der letzten Jahre?

Liam öffnete gezielt den Kleiderschrank.

"Fällt Ihnen etwas auf?"
"Ja... Da fehlen sehr viele Sachen.", stellte Debbie irritiert fest.
"Tatsächlich?", fragte Liam.
"Ja. Er hatte jetzt nicht übermäßig Kleidung, aber mehr als das war es auf jeden Fall. Ich hab ja seine Wäsche gewaschen. Ich würde sagen, dass etwa die Hälfte fehlt."

-

Harry und Liam gingen langsam zurück zum Gasthaus Miles.
"Das ist etwas... Etwas Großes...", murmelte Liam.
"Er hatte Sachen und Lieblingskekse gepackt. Jemand hat seine Sachen bewusst verschwinden lassen, wenn Zayn jetzt nichts findet.", nickte Harry.

"Wir befragen jetzt diesen Mike. Aber selbst, wenn der bei dem Auto gute Konditionen angeboten hat, erklärt das dass Bargeld nicht. Von irgendwem muss Jim das Geld haben. Am Wahrscheinlichsten scheint mir aktuell eine Erpressung. Vielleicht hatte sein Opfer darauf keine Lust mehr und ein Streit geriet außer Kontrolle..."
"Das klingt wahrscheinlich..."

Oder was denkt ihr?
Natürlich spielt die Story in England und da läuft das mit dem Schulsystem anders. Allerdings muss ich dann so viel erklären, wie was ist, dass das ganz schön kompliziert wird. Daher habe ich mir unkorrekt die Freiheit heraus genommen, das deutsche Schulsystem anzuwenden. Ich entschuldige mich an dieser Stelle dafür.
Bis dann.
Viele Grüße ^⁠_⁠^

Nur gute Leute Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt