Kapitel 4 - Zäh

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"Okay. Einer unserer Leute hat eben angerufen. Die Nachbarn von Jim zur Linken, verwitwete Mutter und Sohn, Anfang 40, Nachname Smith, haben ausgesagt, dass die Eltern gestern so gegen 4 PM abgefahren sind. Sie haben aus dem Fenster geguckt, weil die zum Abschied gehupt haben. Jim stand vorm Haus und hat gewunken.", erklärte Zayn, nachdem er kurz telefoniert hatte.

"Okay. Also war er um 4 PM noch wohlauf. Um 6:30 PM hat ihn Tomlinson gefunden. Macht 2,5 Stunden, die wie rekonstruieren müssen. Haben die Nachbarn ihn danach noch gesehen?"
"Nein."
"Schon bezeichnend, wenn man wegen der Hupe direkt hinter der Gardine hängt...", murmelte Liam und schüttelte sich. Niemals würde er in so einem Kaff leben wollen.

"Was hat unser Jim denn eigentlich beruflich gemacht? War was im Job?", fragte Harry. Irgendwie nervte ihn dieser Ort, noch bevor sie richtig angefangen hatten. Man konnte aktuell nicht raus und online ging auch nichts. Man war sehr eingeschränkt.

"Jim war Einzelhandelskaufmann. Arbeitete in dem größten Supermarkt von Nowt. Das ist die Stadt, wo auch sein Vater bei der Verwaltung ist.", erklärte Liam.
"Wissen wir von da schon was?", fragte Harry.
"Ja. Da haben wir vorhin Linda und Paul vorbei geschickt, als klar war, dass wir hier vermutlich bald feststecken. Also sie haben mit dem Chef gesprochen. Jim war freundlich und unauffällig. Ist nicht angeeckt, war aber auch keiner von diesen Überangepassten. Der Chef hat ihn als Auszubildenden genommen, obwohl er damals zu ihm gesagt hatte, er solle mehr aus sich machen.", erzählte Zayn.
"Mehr? Inwiefern?"
"Der hatte einen Notenschnitt von 1,3. Sein Chef hat ihm geraten, Abi zu machen, studieren zu gehen und sowas. Aber Jim wollte die Ausbildung. Er hat sie gemacht, mit überdurchschnittlich guten Noten abgeschlossen und ist dort im Laden geblieben.", das erklärte Zayn achselzuckend.
"Hm... Wie sah es sonst so aus? Wen hatte er noch außer seinen besten Kumpel?"
"Die Dorfprominenz. Keine Ahnung. Hier fallen für alles alle Namen immer im Kreis. Alle sind angeblich mit allen befreundet. Jim hatte mal eine Freundin. Eine Yvette Miller. Sie haben sich aber vor zwei Jahren, natürlich einvernehmlich, getrennt.", erzählte Liam.
"Die Yvette -"
"Lebt auch hier und kennt auch alle und ist seither mit William Tomlinson zusammen. Sie arbeitet inzwischen auch in der Bäckerei mit. Das ist hier sowas wie ein Heiratsantrag, nur krasser, wenn ich das richtig verstanden habe.", erklärte Zayn stirnrunzelnd.

"Oha. Erst den einen Typ und dann dessen bester Kumpel? Also das klingt doch nach was?", fragte Harry.
"Hm... Nicht wirklich. Jim hat sich getrennt."
"Wieso?"
"Weil sie so gut zu Tomlinson passen würde."
"Nicht im Ernst?", Fragte Harry entgeistert.
"Doch. Hier hat gefühlt jeder was mit jedem in einem gewissen Alter und dann bleiben sie bei  irgendwem hängen und heiraten den."
"Oder steigen in den Familienbetrieb ein.", schmunzelte Zayn.
"Genau. Oder steigt in den Familienbetrieb ein.", erwiderte Liam.
"Okay. Also kein Eifersuchtsdrama?"
"Nein. Jim und William waren nach wie vor beste Freunde und auch Yvette und Jim verstanden sich sehr gut."
"Sehr gut?"
"Nicht in dem Sinne, dass da noch was lief. Jim war glücklicher Single. Er war ein super Kumpel. Das haben mehrere bei der Erstbefragung gesagt", erklärte Liam.
"Hm...", murmelte Harry, als es klopfte und Mrs Roswitha Miles, ihre Gastgeberin, ihren blondierten auftoupierten Kopf durch die Tür streckte.

"Hallo die Herren. Ich will nicht lange stören. Ich wollte nur kurz Bescheid geben, dass die Jungs von der Feuerwehr hier sind. Die gehen bei der Verköstigung immer vor. Deshalb verschiebt sich ihr Abendessen um eine halbe Stunde. Wenn Sie wünschen berechnen wir ihnen dafür nur die Hälfte vom Preis der Mahlzeit."
"Nein, nein. Ist schon in Ordnung.", erklärte Harry schnell. Würde er auf andere unsympathisch wirken, würden die das Peter Barn erzählen und das wäre nicht gut.

Roswitha nickte dankend.

"Sind das die Feuerwehrleute von der Brücke?", fragte Zayn.
"Ja. Die Freiwillige Feuerwehr Pole Depab. Aus Sicherheitsgründen mussten sie ihren Posten verlassen. Die haben Stunden im Regen gestanden."
"Dann sollen sie natürlich zuerst Essen. Wer ist denn da alles?"
"Ach, die üblichen. William war natürlich nicht dabei... Ja und Jim auch nicht... Aber die anderen eben. Timothee Franklin. Landwirt. Wohnt am Ostende. Heather Milton, die ist bei der Bank angestellt. Mike Trekt, Automechatroniker..  arbeitet in Nowt... "
"Wer von denen hatte denn den engsten Kontakt zu Jim?"
"William. Aber von denen die hier sind... Ich denke, das war Timothee."
"In Ordnung. Könnten wir den bitte gleich einmal sprechen?", fragte Harry freundlich.
"Natürlich. Ich sage ihm Bescheid."
"Vielen Dank Mrs Miles. Das ist wirklich sehr nett von Ihnen.", lächelte Harry.

Lächelnd verschwand dann auch die Frau des Hauses wieder, als es laut donnerte.

-

"Guten Tag, Mr Franklin. Danke für Ihre Zeit und Ihren Einsatz draußen. Sie waren es, der mich weiter gewunken hat.", erinnerte Harry sich, sobald ein durchweichter Mann den Raum betrat.

"Tach. Ja, da ginges noch. Jetzt ist kein Durchkommen mehr...", murmelte Timothee und kratzte sich am Kopf. Er sah aus, als sei er her geschwommen.

"Können Sie uns ein paar Fragen zu Jim Mictiv beantworten?", fragte Liam.
"Ich kann's versuchen... Üble Sache..."
"Wie haben Sie sich selbst mit ihm verstanden?"
"Gut. Wir sind zusammen aufgewachsen. Hier gibt's nicht viele Leute. Man hält sich an die, die da sind. Jim war von der Art her einfach locker. Man konnte gut mit ihm klar kommen."
"Hm... Wo waren Sie gestern zwischen 4 und 6:30pm?"
"Ich? Ich war erst noch aufm Feld. Bin dann aber gegen 5pm nach Hause. Danach war ich zu Hause. Meine Eltern können das bestätigen, bevor Sie fragen."
"Was haben Sie auf dem Feld gemacht?"
"Hab die Wassergräben kontrolliert. Der Sturm war angekündigt. Will ja nicht, dass mir die Felder absaufen."
"Haben Sie wen gesehen?"
"Ich hab gearbeitet und nicht in der Gegend herum geguckt. In den Gräben war keiner."
"Wer hegte einen Groll gegen Jim Mictiv?", übernahm Zayn und Harry hielt sich wieder brav im Hintergrund.
"Niemand. Mit Jim konnte man gut klar kommen. Wer das getan hat... Das war keiner von hier. Wir sind eine kleine Gemeinschaft. Keine Mörder oder sowas. Nur gute Leute."
"Haben Sie aktuell eine Beziehung?"
"Ich? Nee. Sowas lenkt doch nur von der Arbeit ab.", nuschelte Timothee.
"Wissen Sie, was Jim in der Mühle wollte?"
"Nein. Da kann man nicht viel wollen. Steht seit zwanzig Jahren leer und verfällt so vor sich hin. Aber da gibt's hier viele Gebäude von."
"Gibt's irgendwas, was man über die Mühle wissen sollte?"
"Nee. Als die noch in Betrieb war, war sie ganz schick in der Landschaft. Aber inzwischen ist der obere Teil eingestürzt. Zwei Geschosse kann man noch betreten. Also würde sich das ein Statiker angucken, hätte die vermutlich keine zehn Minuten später aus Sicherheitsgründen einen warmen Abriss. Aber die hält. Das ist das Wichtigste.", schmunzelte Timothee.
"Also kein Ort, an dem man gern ist?"
"Für die Kinder sind das Mutproben. Es gibt hier keinen Spielplatz oder sowas. Die spielen gern in den verfallenden Gebäuden. Auch in der Mühle. Wie weit traust du dich rein? Traust du dich allein rein? Die erzählen, dass die Gebäude alle verflucht sind und man die dort Getöteten noch hören kann. Natürlich wurde da überall keiner getötet."
"Bis jetzt zumindest..."

Damit ist das Kaff dann jetzt Mal zu... Bis dann.
Viele Grüße ^⁠_⁠^

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