Kapitel 6 - Familie

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"Hallo Louis.", grüßte Peter Barns, die jüngere und zierlichere Ausgabe von William. Die konnten definitiv nicht leugnen, Brüder zu sein.

"Hallo?", sprach Louis mit einer ungewöhnlich hellen Stimme.
"Das ist Mr Styles von der Polizei aus London. Sie haben nur ein paar Fragen und gehen dann wieder. Geh zurück in dein Zimmer, okay?", sprach William sanft.
Louis nickte knapp, drehte sich um und verschwand wieder.

"Es... Danke, dass Sie hier nicht in voller Montur auflaufen. Er erinnert sich noch so sehr daran, als das mit unseren Eltern war."
"Da war er acht?"
"Ja."
"Sie waren da auch erst 16?"
"Ja, das ist richtig. Unser Opa war unser einziger Verwandter, der sich für uns interessiert hat. Es hätte auch noch Tanten und Onkel gegeben. Ich habe alle angerufen und gebeten uns aufzunehmen. Ich war ja zu jung für eine Vormundschaft von Lou. Aber die wollten uns alle nicht. Nur Opa. Also sind wir hier geblieben. Mit unseren Eltern lebten wir zwei Straßen weiter. Das Haus verfällt auch inzwischen..."
"Also haben Sie schon vorher hier gelebt?"
"Ja. Wir waren nie anderswo."
"Wären Sie lieber woanders hingekommen?"
"Mir war es scheißegal wohin. Ich wollte nur nicht, dass Lou und ich uns auch noch verlieren. Er war damals... Es war eben schwer für ihn. Er hat jede Nacht ins Bett gemacht, wurde in der Schule gehänselt und war manchmal völlig apathisch. Hatte Angst in ein Auto zu steigen. Ich hatte Angst um ihn, wenn sie ihn in irgendeine Einrichtung gepackt hätten und mich in eine Wohngruppe."
Harry nickte und verzichtete auf den Einwand, dass man dort mit ihnen beiden professionell an ihren Traumata gearbeitet und einen Kontakt bestimmt ermöglicht hätte. Denn letztlich spielte das alles keine Rolle mehr. Sie waren schließlich bei ihrem Großvater untergekommen.

"Und inzwischen? Würden Sie lieber wegziehen?", fragte Harry.
"Damals hatte ich erst vor gehabt, eine Ausbildung weiter weg zu machen. Aber dann sind unsere Eltern gestorben und ich blieb. Wegen Louis und Opa. Und ich hab die Bäckerei übernommen, sobald ich die Ausbildung zum Bäcker in der Tasche hatte. Inzwischen habe ich auch meinen Meister. Wir haben einen Familienbetrieb und backen noch selbst. Keine Backmischungen. Das ist aufwändiger und teurer. Aber es lohnt sich. Wir sind die fünfte Generation. Es war die richtige Entscheidung. Am Ende ist die Familie doch alles. Wir haben so viel Scheiß zusammen erlebt..."
"Louis ist mit im Betrieb?"
"Noch nicht richtig. Aber er beendet im Sommer die Schule und macht dann auch eine Ausbildung zum Bäcker. Wir wollen expandieren, wenn er so weit ist."
"Wo ist Ihr Opa jetzt?", fragte Harry und sah sich suchend um.
"Er schläft. Er ist inzwischen ziemlich dement. Nachts wird er munter und wir schließen die Küche ab, damit er das Haus nicht in Brand steckt."
"Das klingt sehr anstrengend. Als Bäcker müssen Sie ja auch früh raus."
"Er hat uns damals geholfen. Jetzt helfen wir ihm. So macht man das. Hat niemand gesagt, dass es immer einfach wird. Er kommt die Treppe allein nicht mehr runter. So müssen wir ihn immerhin nicht draußen suchen."
"Generell natürlich, aber vor allem bei einem solchen Sturm wie im Moment wäre das fatal. Ich verstehe, warum Sie in der Mühle Schutz gesucht haben."
"Das Wetter schlägt hier mitunter sehr schnell um. Wie waren für die Nacht vorbereitet. Aber nicht für den Abend.", seufzte William.
"Wie geht es ihnen?", fragte Harry.
"Es... ich... Ich lenke mich ab. Es ist... Es fühlt sich nicht real an, wissen Sie? Es ist, als hätte ich das nur geträumt und als wäre Jim... Im Urlaub oder so... Gerade vorübergehend nicht erreichbar... Es ist, als habe ich da nur eine Puppe gefunden."
"Sie wissen aber-"
"Ich weiß, dass es keine Puppe war. Ich... Ich dachte er hätte gestern Abend vielleicht getrunken und würde da seinen Rausch ausschlafen... Ich hab ihn geschüttelt und dann... Dann habe ich das Blut gesehen..."
"Hat er öfter getrunken?"
"Sie finden hier keinen, der mit 15 noch nie einen Vollrausch hatte. Alkohol ist auf dem Land ein Schmiermittel."
"Das ist absolut nicht gesund."
"Das ist richtig."
"Also hat Jim ganz gern Mal getrunken?"
"Jeder hier tut das. Machen Sie daraus bitte keine Alkoholprobleme."
"Das musste verstehen. Das gehört hier zum guten Ton. Ist doch nichts dabei. Mal ein geselliges Bierchen... Wer will einem das schon verwehren?", fragte Peter Barns mit Unschuldsblick.

Harry fragte sich, wie viele gesellige Bierchen sich wohl aktuell in dessen Magen zu einer geselligen Rune trafen.

"Okay. Aber war gestern Abend irgendwas, dass sie damit gerechnet haben, dass er ein geselliges Bier getrunken hat?"
"Im Grunde nicht. Selbst wenn, würde er dann da kaum mehr am nächsten Tag um so eine Uhrzeit noch so liegen. Aber es war der erste Gedanke. Er hatte geschrieben, dass er mich treffen wollte. Am Abend vorher. Aber ich war schon im Bett. Schlafe ja immer früh. Vielleicht..  vielleicht wäre das nicht passiert, wenn ich ihn getroffen hätte..."
"Mach dir keine Vorwürfe. Sowas kann man nicht ändern und wissen auch nicht. Vielleicht würdest du sonst auch da in der Mühle liegen. Denk an deinen Großvater und Louis, hm? Lass dich nicht hängen. Die Schuld trägt der Täter. Niemand anderes.", meinte Peter.
"Wissen Sie, warum er Sie treffen wollte?", fragte Harry.
"Nein. Ich habe direkt noch um zwei, als ich wach war, geschrieben. Aber es kam nichts zurück. Ich dachte, dass es sich vielleicht einfach erledigt hätte. Nur im Nachhinein..."
"Hatte Jim mit irgendwem Stress?"
"Nein. Jim ... war... Nicht der Typ für Stress. Er war eigentlich immer gut drauf."
"Hatte Jim irgendwelche Pläne?"
"Er hat davon gesprochen, mal verreisen zu wollen. Aber da war nichts konkretes."
"Nach Yvette Miller hatte er keine Freundin?", fragte Harry weiter.
"Nein. Und bevor da was hinein interpretiert: Yvette stand nie zwischen uns. Es war alles in Ordnung."
"Aber war er nicht einsam? Ich meine, Sie und Yvette sind ja nun Mal ein Paar."
"Ja, das sind wir. Aber nein. Er war zufrieden. Ich hatte ihn ab und an drauf angesprochen, ob er sich für jemanden interessiert oder so, aber er meinte immer, dass alles im Moment so gut ist, wie es ist. Er war glücklicher Single."
"Die Trennung zwischen Yvette und ihm, ging von ihm aus? Weile er sie für Sie freigeben wollte? Das ist schon..  ausgesprochen selbstlos."
"Jim hat sich entliebt. Er mochte Yvette. Immer. Aber nicht auf einer Basis, auf der man eine solche Beziehung aufbauen konnte. Yvette hat gesagt, sie waren in ihrer Beziehung beide nicht unglücklich. Aber eben auch nicht so richtig glücklich. Ich glaube ich hab ihn Mal in Nowt mit einer Frau gesehen. Vor einem Monat vielleicht? Ich hab ihn drauf angesprochen, aber er ist rot geworden und wollte nicht drüber reden. Ich wollte ihm dann Zeit lassen, bis er so weit ist."
"Wer war die Frau?"
"Keine Ahnung. Ich bin dran vorbei gefahren. Hab sie nur von hinten gesehen und es hat geregnet. Dunkle Jacke mit Kapuze und eine Jeans. Kleiner als Jim. Glaube nicht, dass es das sonderlich eingrenzt...", murmelte William.
Stimmt. Das traf wohl auf viele Frauen zu.

Tja, da ist Louis auch schon wieder weg. Aber immerhin hat er mal kurz vorbei geguckt 😅
Bis dann.
Viel Grüße ^⁠_⁠^



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