Kapitel 2

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"Wenn der Wind der Veränderung weht,
bauen die einen Mauern,
die anderen Windmühlen."

(Chinesische Weisheit)

~◇~

"Wenn du dich nicht für ein Ziel entscheiden kannst, warte ab. Sonst ist der Pfeil verschwendet."
Das sagte der alte Mann zu mir, als er mir das Bogenschießen beibrachte. Damals habe ich mir nicht so viele Gedanken über seine Worte gemacht. Aber jetzt, wo ich hinterm Baum sitze, einen Pfeil in die Sehne gespannt, kann ich mich nicht für mein Ziel entscheiden. Entweder den Greif oder den Drachen. Wenn ich einen erschieße, ist der Kampf vorbei und der andere verschwindet hoffentlich. Mir bleibt nur die Frage, wen ich erschieße. Der Greif fliegt inzwischen durch die Luft und kommt nur runter, um blitzschnell mit seinen Krallen nach dem Drachen zu schlagen, um dann wieder in den Himmel aufzusteigen. Der Drache kauert immer noch an derselben Stelle und lässt die Angriffe über sich ergehen.
Fast als...
Ich kneife meine Augen zusammen und sehe mir den Drachen näher an.
Er hat tatsächlich etwas unter seinem Bauch liegen!
Damit habe ich meine Entscheidung gefällt. Was auch immer der Drache beschütz ist ihm wichtiger als sein eigenes Leben, weshalb er die Karawane auf jeden Fall nicht angreifen wird.
Ich trete hinter dem Baum hervor und laufe auf den Hang zu. Der Drache wirft mir einen kurzen Blick aus seinen Saphierblauen Augen zu und sieht dann wieder zum Greif. Der Greif fühlt sich durch mein plötzliches Auftauchen bedroht und schwenkt seine Flugbahn um.
Natürlich muss er direkt auf mich zukommen.
Ich spanne meinen Bogen, drehe meinen Oberkörper ein Stück und warte. Als der Greif nah genug rangekommen ist, lasse ich die Sehne los. Der Pfeil schnellt vor und trifft. Der Greif stößt ein kreischendes Brüllen aus und erschlafft. Seine Flügel verdrehen sich und er fällt direkt auf mich zu - wie sollte es auch anders sein.
Schnell hechte ich aus dem Weg. Der Greif schlägt genau dort ein, wo ich bis gerade noch stand.
Das war verdammt knapp.
Nachdem ich mir sicher bin, dass der Greif tot ist, stehe ich auf und nähere mich vorsichtig dem toten Tier. Den Bogen schnalle ich wieder auf meinen Rücken. Als ich vor dem Greif stehe, falte ich meine Hände, verbeuge mich und danke den Götter für das Leben. Dann ziehe ich den Pfeil raus und verstaue ihn wieder in meinem Köcher. Der Drache beobachtet misstrauisch jede meiner Bewegungen. Unsicher, was ich als nächstes machen soll, setze ich mich neben den Greif und beobachte den Drachen stumm. San kommt nach einiger Zeit zu mir und kuschelt sich an mich. Während ich den Drachen weiter beobachte, überkommt mich plötzlich starke Müdigkeit und bevor ich reagieren kann, bin ich eingeschlafen.

~◇~

Ich werde von den ersten Sonnenstrahlen geweckt. Verschlafen öffne ich meine Augen. Ich sitze immer noch auf dem Boden. Der kleine Wolf schnurrt leise im Schlaf. Der Drache ist verschwunden. Der tote Greif auch. Langsam stehe ich auf und gehe zu der Stelle, wo der Drache saß. Das Gras ist eingedrückt und aufgewühlt. Im Augenwinkel sehe ich etwas aufblitzen. Neugierig gehe ich näher und finde in einer kleinen Mulde mehrere Gegenstände. Neben einer schimmernden Feder und einem matt glänzenden Stein liegt eine silberne Schuppe.
Dann habe ich doch nicht geträumt.
Vorsichtig stecke ich die drei Dinge in einen Beutel an meinem Gürtel. Dann wecke ich den Wolf und mache mich auf den Weg zurück ins Lager der Nomaden.
Wir sollten bald aufbrechen.
Als ich zwischen den Bäumen verschwinde, höre ich plötzlich eine sanfte Stimme.
"Viel Glück auf deiner Reise, kleine Kämpferin."
Ich drehe mich im Kreis, um den Sprecher zu finden, aber ich bin alleine. Verwirrt setzte ich meinen Weg fort.
Die Karawane hat schon einen Großteil zusammengepackt. Ich gehe zu den Wachen und sage:" Es waren nur zwei Wölfe. Revierstreit."
Sie nicken und wenden sich wieder ihrer Arbeit zu. Die Fallen wurden bereits eingesammelt und ich hole mir noch etwas zum Essen sowie meinen Wasserschlauch aus dem Planwagen. Dann hole ich mein Pferd ab und reite schon mal vor. Unteranderem, um meinen Kopf freizubekommen.
Der kleine Wolf besteht darauf, mich zu begleiten und ich lasse ihn neben dem Pferd laufen.

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