Kapitel 8

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"Don't let your fear decide your future."

(Shalane Flanagan)

~◇~

Ich befinde mich in einer Wüste. Meine Füße laufen durch weichen Sand. Die Wolken ziehen blutrot über den schwarzen Himmel.
Träume ich wieder?
Ich bleibe stehen. Der warme, trockene Wind reißt an meinen Haaren und drückt gegen meinen Rücken. Er drängt mich weiter durch den Sand.
Das Atmen fällt mir schwer. Ich möchte stehenbleiben, aber der Wind drückt mich weiter. Weiter durch die Wüste ins Nirgendwo. Dann höre ich die Stimme wieder.
"Mikhail."
Ich sage nichts, sondern lausche. Dann kann ich auch eine andere Stimme hören. Zu leise, um sie verstehen zu können, aber dennoch anwesend.

"Wach auf!"
Erschrocken reiße ich meine Augen auf. Athena sitzt neben mir auf dem weichen Himmelbett. Sie mustert mich aus unergründlichen Augen. Unsicher erwidere ich ihren Blick. Schließlich steht sie auf und sagt, während sie sich durch den Schrank wühlt und Kleidungsstücke auf dem Boden stapelt:" Wenn du bereits wach bist, können wir auch schon gleich anfangen. Hier!"
Damit drückt sie mir einen Stapel Kleider in die Hand, verstaut die restliche Kleidung im Schrank und verschwindet auf den Balkon. Ich schüttel kurz meinen Kopf und verschwinde durch eine kleine Tür neben dem Schrank ins Bad. Ich habe die Tür beim durchsuchen des Zimmers am vorherigen Abend gefunden. Der Schrank war übrigens bereits mit allen möglichen Sachen gefüllt, sodass ich die Tasche, die ich aus Andogas mitgenommen habe, auf das letzte freie Regalbrett legen musste. Nachdem ich die Klamotten angezogen und die Schriftrolle, die ich auf Andogas gefunden habe, an meinem Gürtel befestigt habe, gehe ich zu Athena auf den Balkon. Sie lächelt ein wenig, als ich mich neben sie an die Brüstung lehne und zeigt in den Himmel. Dort fliegen Okami und ihr rubinroter Drache um die Wette, dem Mond und den funkelnden Sternen entgegen. Ich beobachte sie, bis Athena mich anspricht.
"Komm, wir haben noch einen Besuch vor uns."
Ich folge ihr durch lange Flure und Treppenhäuser immer tiefer in die Insel. Das dunkle Holz wird irgendwann von feinen Steinen abgelöst, welche auch immer gröber werden. Schließlich kommen wir in eine Art Kerker an. Athena nickt einem Mann, in einem kleinen Raum, auf einem viel zu kleinen Stuhl zu. Eine kleine Fackel beleuchtet die geschliffenen und auf Hochglanzpolierten Waffen, welche den Wänden strahlen und beängstigend tödlich aussehen. Aber das ist nur meine Meinung. Es könnte schließlich sein, dass der Mann diese Ausstattung gemütlich findet. Bevor ich einen netten Kommentar zum Raum abgeben kann, geht Athena weiter. Schnell folge ich ihr. Nach mehreren schweren Eisentüren - Sicherheit wird großgeschrieben - bleiben wir in einem größeren Raum stehen. Durch ein Gitter wird der Raum in zwei Hälften geteilt. Auf unserer Hälfte stehen zwei Stühle. Hinter dem Gitter befindet sich ein leerer Raum. Na ja, fast leer. Auf dem Boden liegt Stroh und eine Rinne verschwindet in der Rückwand. In der rechten Ecke liegen zwei Personen auf einem kleinen Haufen Stroh. Ich wundere mich, dass die Luft nur ein bisschen muffig riecht. Eigentlich hatte ich mich schon auf bestialischen Gestank eingestellt, doch der Boden ist überraschend sauber. Abgesehen vom Stroh natürlich. Vorsichtig nähere ich mich dem Gitter, um einen Blick auf die Personen zu erhaschen. Beide scheinen uns jedoch bereits bemerkt zu habe, denn sie stehen auf und kommen sichtlich gelangweilt zum Gitter. Ich bleibe außerhalb ihrer Reichweite stehen und blicke zurück zu Athena, welche sich, während ich den Raum inspiziert habe, neben die geschlossene Tür gelehnt hat und mir jetzt aufmunternd zunickt. Ich hole tief Luft und drehe mich zurück zu den Gefangenen. Links steht ein etwas kleineres Vampyrmädchen mit schulterlangen feuerroten Haaren und braunen Augen hinter dem Gitter. Ihre kleine Stupsnase ist übersät mit Sommersprossen. Ihre Haut ist jedoch ziemlich blass. Genau wie bei ihrem Begleiter. Er ist eindeutig ein Elf. Das silberne Haar fällt ihm offen über den Rücken. Seine mintgrünen Augen scheinen mich zu durchbohren. Beide tragen das gleiche schwarze Stoffwams mit einer Hose, welche knapp über ihre Knöchel reicht. Schuhe tragen sie keine.
Das ist also Susanoo. Keine Monster oder gruselige Fratzen??
Schließlich ringe ich mich durch etwas zu sagen. Vielleicht komme ich mit dummen Fragen weiter.
"Wer seid ihr?"
"Weißt du das nicht?", fragt mich das Mädchen ungläubig. Sie verdreht genervt ihre Augen. "Wir gehören zu Susanoo! Möchtest du dich nicht vorstellen, so wie die letzten fünfzig Lebewesen, die einfach reingestürmt kamen und uns befragen wollten?"
Kurz fehlen mir die Worte. Mein Prinzip scheint aber im Groben aufgegangen zu sein.
"Eigentlich nicht ... Ich heiße Royko. Wie sind eure Namen?"
Ich merke, wie mir das Blut in den Kopf geschossen kommt. Der Elf scheint das auch zu bemerken und legt dem Vampyrmädchen eine Hand auf die Schulter.
"Mein Name lautet Khatar. Das ist Luena", stellt der Elf sich und das Mädchen vor. Seine Stimme erinnert mich an das Rascheln von Blättern. "Was ist so wichtig für dich zu wissen, dass du den langen Weg von Andogas hierher nach Cloudhold auf dich genommen hast?"
Woher weiß er davon?
Ich ringe kurz mit mir und löse schließlich die Papyrusrolle von meinem Gürtel. Khatar nimmt mir vorsichtig die Schriftrolle aus der Hand und ignoriert gekonnt meine zitternde Hand. Während er sich zusammen mir Luena den Text durchliest, atme ich langsam ein und aus, um meinen Puls zu senken und mich zu beruhigen.
Kein Grund zum Fürchten. Wir sind durch ein Gitter getrennt.
"Hast du noch weitere Rollen gefunden?", fragt mich Luena, nachdem sie zu Ende gelesen haben. Ich schüttel meinen Kopf. Anstatt ihr zu antworten. Sie scheint kurz über etwas nachzudenken, verwirft den Gedanken jedoch und stellt anschließend ihre nächste Frage.
"Bist du schon eine Drachenreiterin?"
"Ja."
"Du bist ein junges Menschenmädchen. Wie viele Sommer zählst du?"
"Mittlerweile 15 Sommer."
"Interessant."
Nachdem sie mich schweigend beobachtet, stelle ich meine Frage.
"Ist Mikhail der Anführer von Susanoo?"
Khatar neigt leicht seinen Kopf.
"Stimmt es, dass er verschwunden ist?"
Luena und Kharar sehen sich erschrocken an.
Erwischt!
"Woher weißt du davon?", fragt mich Khatar. Die leise Drohung in seiner Stimme ist nicht zu überhören. Ich taxiere ihn einige Sekunden. Aber er hat ein für Elfen typisches Ich-bin-besser-als-ihr Gesicht aufgesetzt.
"Ich habe geträumt", antworte ich ihm schließlich auf seine Frage.
Als ich ein leises Rascheln höre, zucke ich erschrocken zusammen. Athena Septum ist neben mich getreten.
Die hatte ich voll vergessen.
Sie sieht mit ihrem undefinierbaren Blick auf mich hinab.
"Du bist ein Emphat, Ryoko", sagt sie schließlich.
"Ich bin ein Emphat?", wiederhole ich verwirrt.
Luena schlägt sich mit der flachen Hand gegen die Stirn.
Erwarten sie etwa von mir zu wissen, was ein Emphat ist?
"Ein Emphat ist eine Art von Magiern. Anstatt ihre eigene innere Energie zu nutzen, nutzen sie die Energie aus ihrer Umgebung. Selbst in diesen Gittern steckt Energie.
Athena, Khatar und ich sind übrigens auch Emphaten", beendet Luena ihren kleinen Vortrag.
Das erklärt, warum ich auf Andogas keine Magie zustande bringen konnte. Aber wenn Luena und Khatar auch Emphaten sind, warum nutzen sie nicht die Umgebungsenergie, um zu fliehen?
Ich schweige lieber, anstatt sie zu fragen und sehe zu Athena, welche sich von Luena und Khatar verabschiedet und bereits in Richtung Tür geht. Überrumpelt verabschiede ich mich auch von ihnen und folge ihr. Kurz bevor ich die Tür erreicht habe, stellt Khatar mir noch eine letzte Frage.
"Was haben die Feuerreiter dir gesagt .... Was haben sie dir über den weiteren Kampf bei der Karawane erzählt?"
Ich drehe mich zurück, bevor ich ihm Antworte.
"Ich wurde von ihnen gerettet. Und die Karawane ....", erschrocken sehe ich ihn an," darüber wurde mir nichts gesagt. Ich bin irgendwie davon ausgegangen, dass sie die Karawane auch gerettet haben, als das gesagt wurde. Ein Elf auf Andogas hat mir das erzählt."
Khatar seufzt auf und sagt schließlich leicht stockend:" Die Feuerreiter haben dich ausgeschaltet. Dann haben sie uns angegriffen - ohne Rücksicht auf Verluste. Luena und ich sind zurückgeblieben, um die Flucht unserer Kameraden zu decken. Wir ... konnten niemanden mehr retten ... Sie waren alle bereits Tod."
Gegen Ende bricht seine Stimme und er sinkt geschlagen am Gitter auf den Boden. Luena ist sofort neben ihm und stützt ihn. In ihren Augen kann ich Mitleid und Reue sehen.
Ich spüre nichts.
Meine Umgebung verschwimmt. Mein Hals ist plötzlich trocken. Meine Knie geben nach. Bevor ich auf dem Boden aufschlage, hält mich Athena an den Schultern fest. Ohne den Mitgliedern von Susanoo einen Blick zuzuwenden, nimmt sie mich Huckepack und verlässt das Gefängnis unter Cloudhold.

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