Kapitel 9

0 0 0
                                    

"Never stop learning,
because live never stops teaching."

~◇~

Die nächsten Monate falle ich eigentlich die ganze Zeit hin. Athena Septum hat zugegeben eine recht eigenwillige Trainingsmethode. Aber ihr Training ist äußerst effektiv.
Wir stehen uns gegenüber und sie gibt mit verschiedenste Aufgaben. Wenn ich die Aufgabe nicht schaffe, greift sie mich solange an, bis ich mit ziemlich viel Schwung auf dem Boden lande. Dabei ist unser Kräfteverhältnis recht unfair aufgeteilt. Athena ist eine Elfe. Ich bin jedoch ein Mensch! Somit ist es für mich fast unmöglich, ihrer übermenschlichen Geschwindigkeit auszuweichen. Somit schmerzt mein gesamter Körper von den harten Aufschlägen. Dadurch bin ich anfangs ein wenig angeschlagene, weshalb ich absolut keine Konzentration für meine Aufgaben habe.
Athena scheint meinen Zustand nicht zu bemerken. Oder sie ignoriert ihn komplett. Das ist bei ihr auch nicht ausgeschlossen.
Der Platz wo wir trainieren befindet sich in einem der vielen kleinen Innenhöfe, die zwischen den Häusern verteilt sind. Auf den meisten dieser Innenhöfe treffen sich meist die Bewohner von Cloudhold, es werden Reden und Veranstaltungen gehalten, oder ein Markt wird aufgebaut. In unserem Fall wurde der Innenhof extra für uns abgesperrt.
Die einzigen Pausen, die mir vergönnt sind, ist das Fliegen mit Okami. Er fliegt, während ich auf dem Boden mit Athena übe, mit Athenas Drachen Aka durch die Wolkenlandschaft und lernt von ihr wichtiges. Während unserer Ausflüge mit Athena und Aka erkunden wir viele Wolkeninseln in der näheren Umgebung. Cloudhold erkunde ich zwei Tage im Monat zusammen mit Athena. Jedoch ist die Wolkenstadt so verwinkelt, dass ich immer wieder in Sackgassen laufe. Ohne Athena würde ich mich immer noch gnadenlos verlaufen.

Luena und Khatar von Susanoo statte ich fast wöchentlich einen Besuch in ihrer Zelle ab. Sie bringen mir aus Langeweile etwas Magie bei.
Über Susanoo bekomme ich nichts mehr aus ihnen raus.
Die Feuerreiter halten sich von uns fern. Ich kann sie jedoch manchmal sehen, wie sie uns beobachten. Genauer gesagt mich. Ob Athena das, was ich mit Leuna und Khatar besprochen habe, an sie weitergeleitet hat, verrät sie mir nicht. Schweigen kann sie nämlich wie ein Grab. Ich konnte auch noch nichts über sie herausfinden. Warum sie auch ein Emphat ist und warum sie das vor den Feuerreitern geheim hält - ich habe zufälligerweise ein Gespräch zwischen ihr und zwei Feuerreitern mitbekommen. Darin hat sie explizit gesagt, dass sie kein Emphat ist und ich im übrigen auch nicht. Als ich sie darauf angesprochen habe, hat sie mir den Kopf getätschelt. "Die Lüge war notwendig. Sie brauchen nicht zu wissen, dass wir Emphaten sind. Das bringt uns nur in große Schwierigkeiten", sagte sie nur. Daraufhin habe ich mehrere Feuerreiter danach gefragt. Diese wollten mir aber keine verständliche Antwort geben.
Fast täglich kommen Meldungen vom Kontinent Slaloya und anderen Himmelsinseln ein, die etwas mit Susanoo zu tun haben. Anscheinend sind sie so aktiv wie nie zuvor. Alle Vorsicht in den Wind schlagend, ziehen sie mordend und brandstiftend durch Städte und Dörfer bevorzugt auf dem Kontinent. Ein Muster konnte bisher noch nicht erkannt werden. Das ist auch der Grund, warum ich Luena und Khatar skeptisch gegenüber stehe. Einerseits sind sie nett zu mir und bringen mir sogar etwas bei. Andererseits stehen sie voll hinter den Aktivitäten von Susanoo und freuen sich immer, wenn ich ihnen vom nächsten zerstörten Dorf erzähle.

Heute hat mich Athena zu einem weiteren Ausflug in die Stadt eingeladen. Sie hat ein Süßigkeitengeschäft, dass sie mir zeigen möchte. Wir treten in das warme Sonnelicht, welches von der Mittagssonne auf den größte Marktplatz, von insgesamt vier, der Stat geworfen wird. Das Schloss hat einen Gang direkt zu diesem Marktplatz für alle, die noch dringend etwas besorgen müssen und sich nicht durch das Gedränge außerhalb vom Marktplatz quetschen wollen. Die Häuser um den Marktplatz sind meist aus Holz und Stein gefertigt. Die Händler, die auf dem Markt ihre Ware verkaufen wohnen dort.
Athena übernimmt die Führung nachdem wir den Marktplatz in eine der langen Gassen der Stadt verlassen haben und ich schlängele mich hinter ihr durch die Menge, die sich auch hier über die unebenen Pflastersteine schiebt. Viele sind heute in den Straßen unterwegs. Nervös von dem Lärm in der Umgebung beeile ich mich Athena zu folgen und hoffe, dass ihr Geschäft in einer ruhigeren Umgebung ist. Zu meiner Erleichterung biegt Athena tatsächlich in eine versteckte Gasse ein. Schnell verlasse ich die Menge und eile ihr hinterher. Wir bleiben bei einem kleinem Geschäft am Rande der Stadt stehen. Die Vorderseite des kleinen, windschiefen Hauses ist aus einer Art dunklen Sandstein. Durch die verschiedenen dunklen Töne im Gestein wirkt die Fassade wie ein von wellenmustern und Kringeln durchzogenes Gebilde. Eine idyllische Atmosphäre dringt durch den kleinen Spalt unter der Tür und den leicht geöffneten Fenstern. Athena hält mir die Tür auf und ich schlüpfe schnell ins innere. Drinnen empfängt mich der Duft von Tannennadeln. Die Luft ist ein bisschen neblig und Dämmerlicht erhellt das kleine Geschäft. Hinter einer Art Bar sitzt eine rundliche Menschenfrau. Sie begrüßt uns herzlich und öffnet uns eine weitere Tür im hinteren Teil des Raumes. Von meiner Umgebung aus, kann ich wegen des Nebels nicht viel erkennen und stolpere Athena hinterher aus dem betörenden Duft raus auf eine Terrasse. Es gibt kein Geländer. Wer über den Rand hinaus läuft, darf einen wunderbaren langen Fall bis auf die Erdoberfläche genießen. Mehrere Tische stehen auf der Terrasse verteilt. Athena steuert zielstrebig einen Tisch am Terrassenrand an und ich folge ihr gezwungenermaßen. Mit dem Rücken zum Haus und Blick auf das Wolkenmeer lasse ich mich erschöpft auf einen Stuhl fallen. Athena lässt sich mir gegenüber nieder und bestellt für uns beide. Die Frau verschwindet und wir warten schweigend.
Ich nutze die Zeit des Schweigens, um einen Blick über die Schulter zu werfen und die anderen Gäste zu inspizieren. Drei weitere Tische sind besetzt. Zwei von ihnen stehen am Terrassenrand mit je drei Personen. Der dritte besetzte Tisch steht neben der einzigen Tür, durch die wir auf die Terrasse gekommen sind. Dort sitzen zwei Personen in weißen Umhängen. Ihre Kapuzen haben sie aufgesetzt, sodass niemand ihr Gesicht erkennen kann.
Athena hat es mir gleichgemacht und sich die Gäste angesehen. Jetzt beugt sie sich zu mir rüber und flüstert leicht verschwörerisch: "Was fällt dir auf?".
Ich sehe zuerst zu den Tischen am Terrassenrand.
"Die sechst gehören zusammen. Ihre Tische stehen nebeneinander, obwohl es viele andere freie Tische gibt, die keine Nachbarn haben. Außerdem hat ihre Kleidung denselben Dunkelblauen-Ton und der Stil ist ähnlich", teile ich Athena meine Vermutung mit. Sie nickt zustimmend.
"Über die beiden in den weißen Umhängen kann ich nichts sagen. Sie scheinen nur Löcher in die Luft zu starren und sich gar nicht füreinander zu interessierten," fahre ich fort. Was mir jedoch noch auffällt, ist ihr Essen. Keiner hat sein Essen bisher angerührt. Die beiden Kapuzen haben es vor sich auf dem Tisch stehen und noch keinen Bissen gegessen. Die Sechsergruppe hat bisher nur auf einem Tisch etwas zum Essen stehen. Als die Bedienung dem zweiten Tisch auch Teller bringt, fangen sie an zu essen. Trinken hat keiner bestellt.
Nach kurzer Zeit bringt die Bedienung auch unser Essen. Neugierig sehe ich auf meinen Teller. Darauf kann ich drei Spieße mit je drei Kugeln entdecken. Die Kugeln haben verschiedenste Farben.
"Die Rote ist Erdbeere, die weiße Vanille und die braune Schokolade", erklärt mir Athena die Geschmacksrichtungen.
Dann mal los.
Vorsichtig nehme ich einen Spieß in die Hand und probiere von der Vanillekugel. Zu meiner Überraschung schmeckt die Kugel, - neben Vanille natürlich - leicht säuerlich. Als hätte man den Zucker bei der Zubereitung vergessen. Athena hat inzwischen schon mit ihrem zweiten Spieß angefangen und beobachtet während des Essens meine Reaktion. Ich nehme einen zweiten Bissen und stelle fest, dass auch die Schokolade nicht süß ist.
Das ist irgendwie lecker.
Ich probiere auch Erdbeere.
Schneller als ich es bemerke, sind meine Spieße aufgegessen. Ich bedanke mich bei Athena und lasse meinen Blick gedankenverloren über das Wolkenmeer wandern, bis mir eine Bewegung zwischen den Wolken auffällt. Silberblau und purpurrot umkreisen sich und tauchen wieder in den Wolken ab.
Das sind Okami und Aka.
Hinter uns ertönt ein Donnern. Erschrocken drehe ich mich zur Stadt um. Über den Häusern kann ich eine Formation Drachen sehen.
"Was machen die Feuerreiter da?", frage ich Athena verwirrt. Sie kneift ihre Elfenaugen zusammen und sieht hoch zu der Formation. Bevor sie mir antworten kann, speit der vordere Drache Feuer.
Zwei Häuser gehen in Flammen auf. Wir springen von unseren Plätzen auf. Auch die anderen Gäste sind aufgestanden und blicken in den Himmel. Die beiden Kapuzen bewegen sich als erstes. Sie rennen an uns vorbei und springen über die Terrassenkante. Sekunden später fliegen sie über unsere Köpfe hinweg in Richtung Formation. An ihren Rücken befinden sich mächtige reinweiße Schwingen.
Das sind Engel!
Athena scheint sich auch von der Überraschung erholt zu haben und sieht in die Wolkenlandschaft. Aka fliegt geradewegs in unsere Richtung und Okami folgt ihr. Die Sechsergruppe ist ruhig auf ihren Plätzen sitzen geblieben und schaut sich das Spektakel an. Aka fliegt in einem Kreis über uns und geht dann in den Sturzflug über. Athena springt über die Terrassenkante und taucht auf Akas Rücken wieder auf. Ich mache es ihr gleich und springe über die Kante. Okami befindet sich gleich darauf neben mir. Ich halte mich an seinem Stachel fest und klemme meine Beine an seinen Körper. Ich kann die beruhigende Wärme von seinem Körper spüren, während er den Sturz abfängt und mit kräftigen Flügelschlägen an Höhe gewinnt. Wir fliegen neben Athena und Aka. Athena streckt beide Daumen in die Höhe, bevor sie ihren Blick auf die Formation heftet. Die zwei Engel haben inzwischen ganze Arbeit geleistet und ohne zu zögern die Formation angegriffen und zerstört. Die Drachen sind nicht so wendig wie die Engel und können nichts gegen diese ausrichten. Aka fliegt auch auf den Kampf zu und mischt fleißig mit. Wir kommen einige Zeit später auch an und Okami stürzt sich auch in das Getümmel. Ich nutze die Energie aus meiner Umgebung und erschaffe damit ein unsichtbares Schild um Okami herum. Dieses Schild wird nicht allzu lange gegen Drachen halten, bietet aber provisorischen Schutz vor angreifender Magie. Ich versuche einen Blick auf einen der Reiter zu erhaschen. Sie haben sich jedoch unkenntlich gemacht. Kein Wappen oder ähnliches. Nur langweiliges Schwarz und eine Kapuze, um das Gesicht zu verstecken.
Das ist nicht Susanoo!
Bevor ich mir weitere Gedanken über die Angreifer machen kann, dreht die versprengte Formation ab und verschwindet. Verwirrt fliegt Okami auf der Stelle und wartet, bis Aka neben ihm geflogen ist. Athena sieht den Reitern auch verwirrt hinterher. Schließlich gibt sie uns einen Daumen hoch.
'Wir haben uns gut geschlagen!', stellt Okami glücklich fest. Ich tätschel ihm den Hals und löse das Schild auf, welches immer noch um uns herum besteht.
Könnte es sein, dass der Kampf dir Spaß gemacht hat?, frage ich Okami neugierig. Ich konnte seine Freude spüren, seitdem ich auf ihn saß. Anscheinend hat er sich keine Gedanken um die Zerstörung, die die kämpfenden Drachen anrichten könnten gemacht. Warum auch? Schließlich muss er dafür nicht geradestehen. Das darf immer der Reiter übernehmen.
Um ihn von dummen Gedanken abzulenken, lasse ich Okami hinter Aka landen.
Leicht erschöpft gleite ich von Okamis Rücken. Die Magieanwendung war ziemlich anstrengend. Athena hat ein ernstes Gesicht aufgesetzt und würdigt den Drachen keines Blickes, während sie mich mit einem "Komm mit!" hinter sich herzieht. Ich folge ihr durch verschiedenste Gänge des Schlosses bis zu einem Versammlungsraum der Feuerreitern. Um einen Tisch herum steht bereits ein Gruppe Feuerreiter. Athena schlägt mit viel Schwung ihre Hände auf den Tisch.
"Wo wart ihr?", fragt sie wütend in die Runde. Ich kann Magie um sie herum knistern sehen.
So wütend habe ich sie noch nie gesehen.
Eine Elfe wütend zu machen ist recht schwer. Besonders bei Athena Septum! Mit wütend meine ich übrigens nicht das typische wütend-wütend, sondern Wütend-ich-bringe-euch-um. Genervt und ungeduldig kann Athena schnell werden, aber wütend ist sie noch nie geworden. Auch die Feuerreiter sehen sie verschreckt an.
"Sie waren bei mir. Ihr habt sie doch besiegt. Wo liegt das Problem, meine Liebe?", fragt Alfredo sie. Er ist an den Türrahmen gelehnt und beobachtet die Szene amüsiert. Ich kann Athena ansehen, dass sie ihm am liebsten den Hals umdrehen würde, aber ihre Wut flaut allmählich ab. Sie schenkt Alfredo einen herablassenden Blick in der höchsten Form.
Wenn Blicke töten könnten, hätte Alfredo jetzt ein großes Loch in seinem Kopf.
Ich belasse es jedoch bei dem Gedanken und beobachte Alfredo, wie er auf uns zukommt. Lässig stützt er sich auf den Tisch und betrachtet die Karte von Cloudhold, welche die Feuerreiter auf dem Tisch ausgebreitet haben. Ohne etwas zu sagen, geht er auf Athena zu. Die Stelle, an der er eigentlich stehen bleiben müsste, überläuft er. Einige Schritte weiter trifft mich die Erkenntnis. Athena scheint auch kapiert zu haben, wohin Alfredo geht: zu mir! Zwei Schritte vor mir bleibt er stehen. Seine schmalen Augen mustern mich kalt. Schließlich beugt er sich zu mir runter. Ja, er ist fast zwei Köpfe größer als ich. Elfen sind halt ziemlich groß.
"Hast du die Mutprobe auf Andogas bestanden?", fragt er mich, ohne sonderliches Interesse in seiner Stimme.
Verwirrt sehe ich ihn an.
Warum fragt er ich so was?
Leicht überrumpelt bekomme ich nur "Sie hat nicht stattgefunden" aus meinem Mund. Alfredo legt seinen Kopf schief und scheint ehrlich überrascht zu sein. Plötzlich richtet er sich auf und verlässt den Raum.
"Richtet eine Mutprobe für Ryoko ein!", ist sein letzter Satz, bevor die Tür ins Schloss fällt.

Whispers of magicWo Geschichten leben. Entdecke jetzt