Kapitel 13

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"Nichts ist trügerischer als eine offenkundige Tatsche."

(Sherlock Holmes)

~◇~

Wir brauchen einen halben Tag, bis wir endlich landen können. Während wir immer tiefer sinken, wird die Luft merklich dünner und irgendwann wieder dicker. Khatar erklärt mir dieses Phänomen. Durch Magie wird die Luft um die Himmelsinseln herum dicker gemacht, als sie eigentlich ist. Sonst könnte auf den Inseln niemand leben. Wenn man jedoch diese Magieblase um die Himmelsinseln verlässt, bekommt die Luft ihre normale Dünne zurück und das Atmen fällt schwerer. Eigentlich ganz einfach.
Mit behutsamen Flügelschlägen setzt Okami in einer weiten Graslandschaft auf. Ich gleite aus dem Sattel und auch Luena und Khatar steigen nach mir von Okami, erleichtert endlich wieder festen Boden unter den Füßen zu haben. Okami rollt sich fast sofort zu einer Kugel zusammen und schläft ein. Ich löse vorsichtig eine Satteltasche von seinem Rücken. Zusammen mit Luena öffne ich die Tasche und hole drei Stapel Klamotten, sowie einige Portionen Essen aus der Tasche. Einige Waffen sind am Rücken der Tasche in einem extra Fach verstaut. Ich gebe Luena ein Schwert, welches sie mit einem dankbaren Lächeln entgegennimmt. Khatar hat in der Zwischenzeit die nähere Umgebung nach Gefahren abgesucht und einige Schutzzauber gewirkt. Luena nimmt sich einen Stapel Klamotten und verschwindet hinter Okami, um sich umzuziehen. Wenige Minuten später kommt sie wieder hervor. Ihr feuerrotes Haar hat sie in einem kleinen Dutt gebändigt. Ihre Kleidung besteht aus schwarzem Stoff mit Lederschutz an Armen und Beinen. Sie hat schwere Lederstiefel an und einen schwarzen, bis zum Boden gehenden Umhang über ihren Schultern liegen. Das Schwert, welches ich ihr gegeben habe, hat sie an ihrer Hüfte befestigt.
Khatar hat seine Runde inzwischen beendet und verschwindet mit dem zweiten Stapel Klamotten hinter Okami.
Jetzt ist er zu einer Umkleidekabine geworden. Mal schauen, wie er darauf reagiert, wenn er aufwacht.
Luena geht in der Zwischenzeit die Essensportionen sortieren. Es gibt neben Gemüse und Brot auch einige undefinierbare Klumpen. Leuna scheint sich über diese Klumpen besonders zu freuen. Auf meine Nachfrage reagiert sie jedoch nicht. Als Khatar umgezogen, mit einem ähnlichen Outfit wie Luena hinter Okami hervorkommt, reicht ihn Luena etwas vom Gemüse. Er dankt ihr und setzt sich neben Luena auf eine Hügelkuppe in einiger Entfernung mit gutem Blick auf das Grasland. Da ich nicht genau weiß, was ich von dieser Szene halten soll, bleibe ich einfach stehen und beobachte die beiden beim Essen. Nach einiger Zeit klopf Luena zu ihrer linken Seite auf die Erde. "Setzt dich zu uns und iss!" Ruft sie mir über ihrer Schulter hinweg zu.
Ich komme ihrer Aufforderung nach, nehme mir etwas vom Brot und setzte mich im Schneidersitz neben Luena. Während wir essen, genieße ich den Blick auf die Landschaft. Neben dem hüfthohen Gras wachsen kleine Wälder in der Gegend. Weiter hinten steigt eine Rauchfahne von einem Hof auf. Hinter dem Hof kann ich ein kleines Dorf erkennen.
Als ich fast aufgegessen habe, steht Khatar plötzlich alarmiert auf. "Da kommen drei Personen auf uns zu."
Schnell esse ich das letzte Stück Brot und folge Khatar den Hügel runter. Drei Silhouetten nähern sich uns. Wir warten am Fuß des Hügels auf sie. Als ich mehr von den drei erkennen kann, wandert meine Hand automatisch zum Dolch an der Hüfte. Alle drei sind Bauern, vermutlich von einem Hof in der Nähe. Vorne läuft ein ältere Bauer mit grimmiger Miene. An seiner Hüfte ist ein älteres Schwert befestigt. Seine Hand liegt auf dem Schwertgriff. Hinter ihm laufen zwei Jungen, vermutlich die Söhne des Bauers, beide sehen uns recht unsicher an und verstecken sich regelrecht hinter ihrem Vater. Sie halten Heugabeln in ihren Händen. Der Bauer bleibt vor uns stehen und mustert uns abschätzig.
"Was treibt ein Pack wie euch auf meinen Felder?"; fragt er uns unfreundlich.
Was für eine zuvorkommende Begrüßung.
Khatar hält mich von einem netten Kommentar ab und spricht beschwichtigend zu dem Bauer. "Es tut uns leid, dass wir auf Euren Feldern eine Pause gemacht haben. Wir -"
" - Wir haben unsere Pferde verloren und wollten auf dem schnellsten Weg zum nächsten Dorf kommen. Dieser Weg führt leider leider über Eure Felder", übernimmt Luena das Gespräch. Wann auch immer sie zu uns gestoßen ist. Der Bauer scheint davon jedoch noch nicht überzeugt zu sein und Luena setzt noch einen Satz oben drauf. "Wenn Ihr uns drei Pferde gebt, könnten wir jedoch den langen Weg um Eure Felder herum nehmen. Die Entscheidung liegt bei Euch."
Das bringt anscheinend das eh schon randvolle Fass zum Überlaufen. Bevor der Bauer jedoch anfangen kann, uns anzuschreien, geschweige denn sein Schwert zu ziehen, trete ich zwei Schritte vor und stelle mich direkt vor den Bauer - natürlich bin ich kleiner - und sehe ihn herausfordernd an.
"Ich würde das lassen", sage ich bedrohlich leise und lasse mit ein bisschen Magie den Wind um uns herum auffrischen. Der Bauer weicht zurück. Ich kann Angst in seinem Blick aufflackern sehen.
"Ihr seid welche von diesen vermaledeiten Magiern! Wollt ihr mir jetzt noch mehr rauben?", kreischt der Bauer regelrecht und versucht sein Schwert zu ziehen. Seine Söhne richten ihre Heugabeln auf uns. Vollkommen furchtlos geht Khatar auf die Söhne zu.
"Was für Magier haben Euch bestohlen?", fragt er den Bauer neugierig.
"Sie kamen vor einem Jahr zu uns und haben unseren ältesten Bruder gestohlen", antwortet einer der Söhne, mit zittriger Stimme auf die Frage. Der Bauer hat es inzwischen geschafft, das Schwert aus der Scheide zu befreien und rennt jetzt auf uns zu. Seine Söhne sehen erschrocken zu, wie ich dem Bauern das Schwert aus der Hand drehe und an den Hals halte.
"Beruhigt Euch! Wir wollen nichts von euch stehlen", sage ich und lasse das Schwert sinken.

~◇~

Einige Zeit später sitzen wir in der kleinen Küche vom Haupthaus des Hofes. Der Bauer hat uns aus unbekannten Gründen bei sich aufgenommen und ist bereit, uns drei Pferde zu überlassen, wenn wir einige Tage bei ihm bleiben. Khatar und Luena haben nach kurzem Zögern zugestimmt und ich bin kurzerhand ihrem Beispiel gefolgt. Der Bauer hat sich uns auf dem Rückweg als Georg vorgestellt. Seine zwei Söhne heißen Curt und Florian. Seine Frau, eine rundliche, freundliche Frau, stellt uns Georg als Agnes vor. Georg hat uns von einem Stallburschen erzählt, der jetzt seit fast einem Jahr bei ihm am Hof arbeitet, dieser ist jedoch noch auf dem Feldern unterwegs, um nach den Pflanzen zu schauen. Agnes hat Tee aus einigen Kräutern gemacht, die Athena in meine Tasche gesteckt hat. Okami hält sich in der Nähe des Hofes versteckt. Der Bauer hat ihn bisher noch nicht gesehen und wir haben auch nicht vor ihm unsere echten Identitäten zu verraten. Wir haben ihm eine glaubwürdige Geschichte aufgetischt, die er uns sofort abgenommen hat: Wir sind auf einer Reise, um andere Völker kennenzulernen und unsere Pferde wurden von einem Tier verschreckt und sind abgehauen. Khatar zeigt deutliches Interesse an den Magiern, die vor einem Jahr beim Hof aufgetaucht sind. Georg antwortet zwar nicht auf Khatars Fragen, aber Curt erzählt viel über die Magier. Dem Anschein nach wollten die Magier ursprünglich die Ernte von Georg einziehen, auf Befehlt von irgendwem. Georg hat nichts herausgegeben und der älteste Sohn wollte die Magier wieder vom Hof begleiten. Er ist nicht zurückgekehrt und konnte bei den darauffolgenden Suchaktionen auch nicht gefunden werden. Ob die Magier wiederkehren, ist eine unbeantwortete Frage und ich habe das Gefühl, als würde Georg fest an ihre Wiederkehr glauben. Während der Tage, die wir auf dem Hof verbringen, haben wir zugestimmt mitzuhelfen. Warum sollten wir schließlich den ganzen Tag herumsitzen. Am Ende gibt uns Georg vielleicht doch keine Pferde.

Gegen Abend kehrt der Stallbursche auch zurück. Wir kümmern uns gerade um die Tiere, die alle zusammen in einem großen Stall untergebracht sind. Neben Hühnern und Kühen gibt es auch Schafe und Ziege. Pferde laufen über eine große Wiese hinter dem Haupthaus. Ein Hofhund darf natürlich auch nicht fehlen. Khatar wurde, sobald er uns entdeckt hat, stürmisch begrüßt. Elfen haben halt eine besondere Bindung zu Tieren. Von Luena hat der Hund vorsorglich Abstand gehalten. Nachdem er von Khatar schließlich ignoriert wurde, ist er zu mir gekommen und folgt mir seitdem überall hin. Er ist auch der Erste, der den Stallburschen riecht. Mit wedelnden Schwanz rennt er aus dem Stall und bleibt mitten auf dem Hof stehen. Über dem Weg zum Hof nähert sich ein Pferd, welches vor einem voll beladenen Karren gespannt ist. Khatar und Luena kommen auch aus dem Stall, um den Neuankömmling kennenzulernen. Georg tritt aus einem anderen Stall, wo die Ernte gelagert wird und ruft, sobald das Pferd neben dem Hund stehen geblieben ist:" Wir haben drei Reisende aufgegabelt, die uns bei der Ernte dieses Jahr helfen. Du kannst die Unterstützung bestimmt gut gebrauchen, Mihkail!"
Mikhail?!
Auch Luena und Khatar sehen erschrocken auf den Stallburschen, der jetzt seine Kapuze absetzt. Spitze Ohren geben ihn als Elf zu erkennen. Langes schwarzes Haar ergießt sich über den Rücken des Stallburschen. Seine blauen Augen schweifen erst zu Luena und Khatar und bleiben schließlich an mir hängen.
"Was machst du hier, Mikhai?", fragt Khatar ihn verwirrt.

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