Philip Malves ⌠ Distrikt Neun ⌡
Hätte Philip vor ein paar Stunden jemand weiszumachen versucht, dass er heute mit einem randvollen Teller Spaghetti in der einen und einem halb ruinierten Buch in der anderen Hand in einem Schnellzug auf dem Weg ins Kapitol stehen würde, dann hätte er die Person auf der Stelle für verrückt erklärt. Aber so war es nun einmal gekommen. Und dass er selbst bisher weder in Tränen, noch in einen hysterischen Lachanfall ausgebrochen war, in einem verzweifelten Versuch, diese Tatsache irgendwie zu verarbeiten, war auch ziemlich beeindruckend.
Wahrscheinlich war es nur noch eine Frage der Zeit.
Die bisherige Fahrt war Philip fast wie eine Art Traum vorgekommen. Er hatte zuvor noch nie einen Zug von innen gesehen, den Bahnhof zuhause hatte er höchstens von weitem zu Gesicht bekommen, und er bezweifelte stark, dass die Güterzüge, die tagtäglich durch den Neunten Distrikt rauschten, auch nur annähernd so aussahen wie dieses Ungetüm hier.
Ihr Zug war eingerichtet wie ein Palast; der komplette Boden war mit Teppich ausgelegt, auf dem man sich problemlos zum Schlafen zusammenrollen könnte, und die Abteile waren so riesig, dass mit Sicherheit mehrere Großfamilien in ihnen Platz gehabt hätten. Zu essen und zu trinken gab es hier ja schließlich auch genug!
Eigentlich hatte Phil sich nicht sonderlich hungrig gefühlt, ganz im Gegenteil, ihm war sogar eher flau im Magen gewesen, aber als der Hofzauberer des Kapitols ihn mehr oder minder zwangsweise zum Essen zitiert hatte, war dieses Gefühl mit einem Schlag wieder verflogen. Nicht nur stapelte sich im Speiseabteil so ziemlich jede Köstlichkeit, die man sich nur vorstellen konnte, vom Kräutersteak bis hin zum exotischen Obstsalat, es hatte auch noch himmlisch geschmeckt! Am liebsten hätte Philip noch viel mehr gegessen, aber er war bereits nach ein paar Tellern komplett voll gewesen. Und sich nachher mitten in der Nacht zu übergeben, nur weil seine Augen größer gewesen waren als sein Magen, klang auch nicht gerade nach einem spaßigen Zeitvertreib.
Die Einzige, die beim Abendessen gefehlt hatte, war Paloma gewesen.
Seine Mittributin.
Als sie vor ein paar Stunden in den Zug gestiegen waren, hatte sie sich sofort in ihrem Abteil verkrochen – jeder von ihnen hatte ein eigenes zur Verfügung gestellt bekommen – und sich seitdem nicht mehr blicken lassen. Und nach dem Theater, das sie bei der Ernte veranstaltet hatte, konnte Philip das sogar irgendwo nachvollziehen ...
Milla hatte nach dem Abendessen eigentlich selbst nach ihr sehen wollen, aber Metatron schien es offenbar darauf abgesehen zu haben, sie in ein Gespräch zu verwickeln, weshalb sie stattdessen Phil darum gebeten hatte. Und was war ihm schon anderes übriggeblieben? Außerdem war das wahrscheinlich immer noch besser, als dem bärtigen Wunder dabei zuzuhören, wie er irgendetwas von wegen Sponsorendeals faselte und sich mit Pudding vollstopfte.
Philip seufzte noch einmal nachdrücklich, dann klemmte er sich sein Buch unter den Arm, und klopfte mit der nun freien Hand an Palomas Abteiltür an. Von drinnen drang immer wieder gedämpftes Schniefen zu ihm herüber, also konnte er zumindest davon ausgehen, dass sie nicht eingeschlafen war. Oder sich vor lauter Verzweiflung aus dem Fenster gestürzt hatte ... was ein gutes Zeichen war? Vermutlich. Hoffentlich.
Er klopfte erneut, nur für den Fall, dass sie ihn nicht gehört hatte.
»Hey, ähm ... Paloma?«, versuchte er sicherheitshalber noch einmal nachzufragen. »Ich bin's, Philip. Du hast das Abendessen verpasst, also hab ich dir was aufgehoben ... ich kann dir die Küche hier wirklich nur empfehlen!«
Keine Antwort.
Okay. Dann eben nicht.
»Alles klar ... ich stell's dir einfach hier vor die Tür, okay? Wenn du später hungrig wirst, kannst du ja immer noch-«
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me & the devil ✶ Die 59. Hungerspiele ⌠mmff⌡
Phiêu lưuWir schreiben das Jahr der 59. Hungerspiele. Der Tag der Ernte hängt wie ein Damoklesschwert über den Köpfen der Familien, die in den zwölf Distrikten Panems tagtäglich um ihre Existenz fürchten. Denn wie jedes Jahr müssen auch diesmal vierundzwanzi...