Regenwolken

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May las stirnrunzelnd die Matheaufgaben, die sie Chris gestellt hatte. Sie waren alle richtig. Wie immer.

Unauffällig schaute sie zu ihm.  Er wippte auf dem Küchenstuhl hin und her. Sein Blick ruhte auf dem Kühlschrank, an dem allerlei Sachen mit Magneten angeheftet waren.
Sein Kapuzenpulli sah so gemütlich aus, dass May am liebsten selbst hinein schlüpfen würde.

May legte das Heft auf den Tisch und rieb sich die kalten Hände. Die Heizung war noch aus, damit die Gasrechnung nicht zu hoch ausfallen würde.

"Es ist alles richtig. Du kannst den Mathestoff. Genauso wie Englisch. Du kennst die Texte sogar besser als ich", May fixierte Chris, der mit einem Ruck zum Stehen kam.

Seine braunen Augen trafen die ihren und sofort breitete sich wieder ein Kribbeln in Mays ganzem Körper aus.

"Ich habe eine gute Nachhilfelehrerin", er grinste sie an.

"Das hat nichts mit mir zu tun. Du warst von Anfang an gut und ehrlich gesagt frage ich mich, wieso ich dir eigentlich Nachhilfe gebe, wenn du alles kannst", May schüttelte den Kopf und biss sich auf die Unterlippe.

Als Chris nichts erwiderte, blickte sie auf. Seine Augen waren auf ihren Mund gerichtet.

"Chris?", ihre Stimme war überraschend leise.

Trotzdem zuckte er zusammen.
"Vielleicht hatte ich einfach Glück."

"Oh bitte, ich kann Können von Glück unterscheiden. Warum machen wir das hier?", May verschränkte die Arme vor ihrer Brust.

Unwillig fuhr sich Chris durch sein lockiges Haar. Warum sah dieser Typ nur so verdammt gut aus?

"Meine Mum will sicher gehen, dass ich dieses Jahr packe", Chris lächelte schief.

"Das wirst du! Du bist gut, wirklich. Ich kann ihr das sagen, wenn es etwas hilft", May lächelte ihn aufmunternd zu.

"Es geht ihr nicht so sehr um den Inhalt der Nachhilfe", Chris trommelte mit seiner Hand auf den Tisch, während er die grauen Wolken hinter dem Fenster beobachtete.

"Um was dann?", überrascht zog May eine Augenbraue nach oben.

"Können wir wann anders darüber reden? Ich weiß, meine Antwort ist nicht zufriedenstellend. Aber ich brauche mehr Zeit, ich kann das jetzt nicht", Chris wandte den Blick vom Fenster ab und sah sie flehentlich an.

"Ich verstehe nicht, warum du immer so geheimnisvoll wirst, sobald es um dich geht", May strich sich eine Strähne hinter das Ohr.

"Es tut mir leid. Mehr kann ich gerade nicht dazu sagen."

Chris saß zusammengesunken auf seinen Stuhl. Irgendetwas lag ihm schwer auf dem Herzen. Zu gerne würde May mit ihm darüber reden und endlich verstehen, was eigentlich mit ihm los war. Was diese ganzen Andeutungen bedeuteten. Aber offensichtlich war er noch nicht so weit, sich ihr mitzuteilen.

Obwohl er es zu wollen schien.

Mays Herz schlug schneller. Das war ein gutes Zeichen, oder? Dass es die Chance gab, dass er sich ihr gegenüber öffnete. Und war es da nicht fair, sich auch ihm zu öffnen? Ihm einen Vertrauensvorschuss zu geben?

"Soll ich lieber gehen?", Chris tiefe Stimme riss sie aus ihren Gedanken.

"Was? Nein, wieso denn?", intuitiv griff May nach seiner Hand. Sie war warm und rau.

Chris zog eine Augenbraue nach oben, dann beugte er sich grinsend zu ihr.

"Sag bloß, May Summers, du bist gerne mit mir zusammen?"

Believe in you (ONC 2024)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt