Mitternachtsregen

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Der Regen prasselte laut gegen die Fenster. May saß eingekuschelt in einer Decke auf dem Sofa. Vor zwei Stunden war Jackson gegangen. Ihr Vater hatte nach der Dusche angekündigt, einen Freund zu besuchen. Er war immer noch sauer gewesen. Das hatte der Ton, mit dem er sprach, deutlich verraten.
May war es recht gewesen, dass er zu einem Freund ging. Die Wohnung war zu klein, um im Streit darin miteinander zu wohnen.

Jetzt war ihr Vater allerdings beinahe sieben Stunden fort und May begann, sich Sorgen zu machen.

Sie legte den Roman, in dem sie gelesen hatte, zur Seite und rieb sich die Augen. Die Uhr ihres Handys zeigte kurz vor Mitternacht.

May knabberte auf einem Fingernagel, während ihre andere Hand eine Nachricht an ihren Vater tippte.

Plötzlich klingelte es. May zuckte zusammen und ließ die Nachricht ungesendet. Wer läutete mitten in der Nacht bei ihr? Ausgerechnet an diesem Tag, an dem sie alleine zuhause war.

Mit rasendem Herzen öffnete sie das Küchenfenster. Vor der Haustür, im fahlen Licht der Außenleuchte, stand eine Gestalt, die die Kapuze ihres Pullovers aufgezogen hatte. Als hätte sie Mays Anwesenheit gespürt, schaute sie nach oben.

Es war Chris. Regentropfen rannen über sein Gesicht und sein lockiges Haar, das unter der Kapuze hervorschaute, war völlig durchnässt.

"Was zum ... ?", May schloss das Fenster und rannte das Treppenhaus hinunter.

Schwungvoll riss sie die Türe auf: "Weißt du eigentlich, wie spät es ist?"

Chris lächelte sie an, als wäre es mitten am Tag bei bestem Wetter.
"Klar weiß ich das. Kann ich reinkommen? Es ist ein bisschen ungemütlich hier draußen."

May trat zur Seite. Ohne ein weiteres Wort ging Chris nach oben. Die Selbstverständlichkeit seiner Schritte erinnerten May daran, wie oft er schon bei ihr gewesen war.

Nachdem sich Chris seine nasse Jacke ausgezogen hatte und unter die Decke gekuschelt hätte, als wäre das hier sein Zuhause und nicht Mays, schaute er sie grinsend an.

May blieb vor dem Sofa stehen und verschränkte ihre Arme vor der Brust.
"Was zur Hölle machst du mitten in der Nacht hier? Ich habe Hausarrest. Mein Vater wird ausrasten, wenn er dich hier sieht."

Das Grinsen auf Chris' Gesicht wurde noch breiter.

"Warum lächelst du die ganze Zeit wie ein Honigkuchenpferd?", May strich sich eine Haarsträhne hinter ihr Ohr.

"Dein Dad war heute Abend bei uns", Chris verschränkte seine Arme hinter seinem Kopf.

"Was?!", Mays Augen weiteten sich.

"Es war gut. Meine Mum hat mit meinem Dad gesprochen. Er kommt seit ein paar Tagen damit klar, wenn wir Besuch bekommen. Ich glaube, er freut sich sogar richtig drüber. Und er will dich unbedingt kennenlernen. Jetzt, da er weiß, dass du meine Freundin bist und nicht von der Polizei", er zwinkerte ihr zu.

"Warte", May setzte sich aufs Sofa. "Es ist jetzt in Ordnung, wenn Leute zu dir mach Hause kommen?"

Chris nickte.

"Das ist super. Wirklich. Das muss dir einen riesigen Stein vom Herzen nehmen. Aber was ich nicht verstehe: Du hast mit mir Schluss gemacht. Wieso denkt dein Dad, ich sei deine Freundin?"

"Dir entgeht auch nichts, Cupcake", Chris setzte sich neben May.

"Cupcake? Hast du mich gerade Cupcake genannt?", May zog eine Augenbraue nach oben.

Chris fuhr über ihr Haar. Seine Berührung fühlte sich gut an.
"Ich habe doch gesagt, ich brauche einen neuen Kosenamen für dich."

May runzelte die Stirn.
"Was bedeutet das alles, Chris?"

"Das bedeutet, dass dein Vater sich bei mir entschuldigt hat. Und dass er ein nettes Gespräch mit meinem Dad geführt hat. Die beiden werden wahrscheinlich nicht die besten Freunde, aber sie sind sich einig, dass Football der beste Sport der Welt ist und dass sie ihre Kinder in ihren Entscheidungen unterstützen wollen."

May riss die Augen auf.
"Mein Dad hat seine Meinung geändert?"

"Er hat gesagt, in seinem Leben gibt es zwei Frauen. In beiden brennt ein Feuer, dass die Welt zu einem wärmeren und helleren Ort macht. Die eine Frau habe er verloren, weil er versucht hat, ihr Feuer zu löschen. Bei der anderen möchte er den Fehler auf keinen Fall wiederholen", Chris legte seine Hand auf Mays Wange und lächelte sie sanft an.

May stiegen Tränen in die Augen.
"Dann hat er nichts mehr dagegen, dass wir zusammen sind."

Chris küsste sie auf die Stirn.
"Nein hat er nicht", flüsterte er dann.

May lächelte, während ihr Tränen über ihr Gesicht liefen.

"Und er besteht darauf, ein Vorkostungsrecht auf deine Backkreationen zu haben", Chris wischte sanft mit seinen Händen Mays Tränen von ihren Wangen.

May lachte und schlang ihre Arme um Chris' Nacken.

In diesem Moment schlug eine Kirchenuhr zwölf Mal.

"Mitternacht. Wünsch dir was", hauchte Chris an ihrem Ohr.

May schüttelte sachte ihren Kopf und deutete zum Fenster.
"Es ist Mitternachtsregen."

Fragend sah Chris sie an.

"Das ist ein Insider mit meinem Bruder. Ich werde ihm morgen sagen, dass Mitternachtsregen das beste ist."

Chris lachte leise.
"Ich habe keine Ahnung, was du da redest, aber mach das, Cupcake."

May strich durch Chris' lockiges Haar.
"Mein größter Wunsch war, wieder mit dir zusammenzusein. Alles andere wird sich entwickeln."

Sanft presste May ihre Lippen auf die von Chris. Überrascht erstarrte er für einen Augenblick, bevor er seine Arme um ihre Taille legte und sie fest zu sich zog.

Als er die Hand unter ihr Schlafanzugoberteil gleiten ließ, hielt May auf einmal inne.
"Wo ist mein Dad hin, nachdem er bei euch war?"

Chris lachte wieder.
"Er war ziemlich lang bei uns und ich habe ihn dann zu einem Freund gefahren, bei dem er heute übernachtet."

"Hast du ihm gesagt, dass du zu mir gehen wirst?"

"Natürlich, Cupcake."

"Und das war okay für ihn?", May musterte Chris skeptisch.

Chris zog einen Schlüssel aus seiner Hosentasche.

"Er hat dir seinen Wohnungsschlüssel gegeben?", May starrte das Schlüsselbund ihres Vaters an.

Chris nickte erneut.

May schüttelte lachend ihren Kopf.
"Du bist wirklich Everybody's Darling."

Chris grinste.

"Es ist gut, Sonnenschein in seinem Leben zu haben", er strich May zärtlich über ihre Wange.

"Das ist es", flüsterte sie lächelnd.

Believe in you (ONC 2024)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt