Regenbogen

13 3 6
                                    

Die Nachmittagssonne schien warm und hell in die Küche. Chris saß am Tisch und sollte eigentlich Hausaufgaben machen. Aber viel lieber beobachtete er May dabei, wie sie die Topflappen in die Hand nahm, den Backofen öffnete und das Blech mit Schokoladen-Himbeer-Muffins herausholte. Sofort erfüllte ein köstlicher Duft das Zimmer.

May stellte das Blech auf ein Holzbrett, das sie zuvor auf dem Tisch bereitgelegt hatte.

"Mmm", Chris wollte gerade über sein Heft hinweg nach einem Muffin greifen, als May ihm sanft auf die Finger schlug.

"Weg da, die sind noch viel zu heiß", sie schaute lächelnd zu ihm.

"Aber sie riechen so gut, dass ich sie unbedingt probieren möchte", Chris schlang seine Arme um Mays Taille und zog sie zu sich auf seinen Schoß.

May lachte.
"Redest du von den Muffins oder mir?"
Chris strich ihr sanft eine Strähne aus dem Gesicht.
"Ich finde wirklich, dass du unbeschreiblich gut backst und ich sehe dir die Freude an, die du dabei hast. Falls du je Konditorin werden möchtest, bin ich liebend gern dein Testesser", Chris lächelte May an, während sie nachdenklich ihre Muffins betrachtete.

Dann zog Chris May noch näher zu sich und flüsterte in ihr Ohr: "Ich hätte allerdings auch nichts dagegen, dich zu probieren."

May erröte, während sich Hitze in ihrem Körper ausbreitete. Schnell stand sie auf und holte die Muffins aus der Form, um sie auf ein Gitter zu stellen, wo sie abkühlen konnten.

Unterdessen zeigten sich zum ersten Mal seit Tagen dunkle Wolkenflecken auf dem Blau des Hinmels. Es sah aus, als würde es gleich zu regnen beginnen.

May trat seufzend ans Fenster und schaute hinaus. Ob das das Ende der kurzen Rückkehr des Sommers war?
Waren die Fahrradtouren, Picknicke und Nachmittage am See, die sie die letzten Tage mit Chris genossen hatte, unwiederbringlich vorbei?

Seit sie sich versöhnt hatten, waren sie jeden Tag nach der Schule zusammen gewesen. Selbst wenn es nur für eine Stunde war, erschien beiden der Gedanke, auch nur einen Tag ohne den anderen zu verbringen, unvorstellbar.

Jeden Morgen hatte May schmunzelnd vor ihrem Spiegel gestanden und die farbenfrohen Kleidungsstücke an sich begutachtet, von denen sie gedacht hatte, sie wäre schon längst aus ihnen herausgewachsen.

Ohne darüber zu sprechen, hatten sie eine Woche die Nachhilfe Nachilfe sein zu lassen, um die wahrscheinlich letzten schönen, warmen Tage des Jahres zu nutzen. May hatte schon lange nicht mehr so viel gelacht wie in dieser Zeit. Mit Chris fühlte es sich an, als wäre alles möglich. Als hätte es nie jenen dunklen Tag gegeben, der sie beinahe entzweit hätte.

Manchmal hatte sie Chris verstohlene Blicke zugeworfen und sich gefragt, wann er ihr endlich erzählen würde, was es mit seinem Vater auf sich hatte.

Ein, zwei Mal hatte sie gedacht, nun wäre der Moment gekommen, auf den sie insgeheim ungeduldig wartete. Aber jedes Mal hatten sie schließlich doch von etwas Anderem gesprochen.

Sie hatte nicht nachgefragt oder darauf bestanden, dass er weiter erzählte. Sie wollte auf keinen Fall die Leichtigkeit, die wieder zwischen ihnen entstanden war, zerstören.

Aber mit jedem Tag der verstrich, wurde sie tief in sich drin unruhiger und das Gefühl, nicht viel länger warten zu können, drängender.
Die letzten beiden Nächte hatte sie kaum Schlaf gefunden, weil sie nicht zu grübeln aufhören konnte, welches Geheimnis Chris vor ihr verbarg.

Gerade als der Regen gegen die Fensterscheibe zu prasseln begann, trat hinter einer dunkelblauen Wolke die Sonne wieder hervor.

May öffnete das Fenster und schaute hinaus. Kühle Luft schlug ihr entgegen, aber kurz darauf rief sie erfreut: "Schau mal Chris, ein Regenbogen!"
Sie deutete mit ihrer Hand in die Richtung, in der die bunten Farbstreifen zu sehen waren.

Chris trat hinter sie, legte seinen Arm auf ihre Hüfte und folgte mit dem Blick ihrer Hand.

Trotz der kalten Regentropfen, die auf ihr Gesicht fielen, machte sie keine Anstalten das Fenster zu schließen oder sich gar zu bewegen. Sie spürte Chris' Körper, der sich eng an sie schmiegte, und es kribbelte angenehm in ihrem Bauch.

"Du wirst nass", Chris' Worte ließen May erstarren.

Er löste den Arm von ihrer Hüfte, schob sie leicht zur Seite und schloss das Fenster.

May beobachtete jede seiner Gesten. Langsam dämmerte ihr, dass er den Regen gemeint hatte. Ihre Wangen färbten sich knallrot und sie kaute auf ihrem Fingernagel.

Chris wandte sich ihr lächelnd zu. Als er ihren Gesichtsausdruck bemerkte, runzelte er kurz seine Stirn, bevor er in ein lautes Lachen ausbrach.

"Oh man, May! Was denkst du denn? So etwas würde ich nie sagen. Das ist nicht meine Sprache. Das ist ... keine Ahnung, irgendwie total flach. Ungehobelt", er drückte ihr einen Kuss auf die Stirn, während er immer noch lachte.

May vergrub ihr Gesicht an seiner Brust.

Plötzlich legte Chris seine Hände auf ihre Schultern und schob sie sanft von sich.

"Oder findest du das gar nicht ungehobelt? Gefällt dir diese Sprache?", er musterte May eingehend, während ein amüsiertes Lächeln auf seinem schönen Gesicht lag.
May presste ihre Lippen zusammen und schaute auf den Boden.

Chris strich ihr sanft über ihre Wange und fuhr mir seiner Hand zärtlich über ihre weichen Lippen, die sie mit einem Seufzer öffnete.

"Ich habe das Ernst gemeint vorhin, weißt du. Ich würde dich wirklich gern spüren", Chris' Stimme klang rau.

May seufzte und sagte dann leise: "Mit deiner Stimme klingt so ziemlich alles schön, selbst ungehobelte Wörter. Aber nein, diese Sprache ist auch nicht meine. Und ja", May schaute Chris schüchtern an, "ich würde dich auch gerne spüren."

Chris hob überrascht eine Augenbraue. Dann lächelte er, sodass sein ganzes Gesicht zu leuchten schien.

Believe in you (ONC 2024)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt