Kapitel 13

95 12 1
                                    

Jeongguks Sicht:

Ich kann mich nicht entscheiden, ob die erste oder die letzte Abfuhr von Taehyung schlimmer war. Wahrscheinlich die letzte, da er mir ins Gesicht gesagt hat, dass er wütend auf seinen Freund war und mein Interesse an ihm ausgenutzt hat. Darum macht es auch Sinn, dass er mich aus heiterem Himmel an dem Abend geküsst hat, obwohl er davor auf meine Flirtversuche kein einziges Mal reagiert hat. Ich bin wirklich ein Vollidiot. Ich habe mich bloß zum Affen gemacht. Seit dem kann ich Taehyung nicht mal ansehen, weil es mir so unangenehm ist. Zum Glück ist Jimin da geblieben und trägt an einem Tisch in Ruhe seinen Kaffee. Das Blondchen kann ziemlich impulsiv werden, wenn ihn etwas nervt und er ist immer der Meinung, dass ich viel zu schnell aufgebe und deswegen allein sterben werde.

Es ist vielleicht möglich, dass ich tatsächlich zu schnell aufgebe und mir keine Mühe geben möchte, wenn mein Interesse für die Person oder das Interesse an mir nicht genauso stark ist. Bei beiden Situationen fühle ich mich nur Scheiße und am Ende wird immer jemand verletzt. Dann lass ich es lieber gleich, weil das bloß meine Zeit verschwenden würde.

Eun Noona hat mich eben dazu verdonnert das ganze Geschirr zu spülen, wodurch ich zwischen der Küche und  der Theke stetig wechsle, da ich die sauberen Gläser wieder in Regale hinter Theke räumen muss. Dadurch sehe ich Taehyung kaum und kann ihm so besser aus dem Weg gehen. Es ist auch schön, dass ich mich mit Seojun unterhalten kann. Er war mit mir damals im Schulchor und da er älter als ich war, wurden wir in eine Einheit von unserem Lehrer gesteckt, damit er mir verschiedene Techniken beibringt. Eigentlich habe ich die beiden endgültig zusammen gebracht, weil ich zusammen mit Eun Noona bei meiner Oma gewohnt habe und aufgewachsen bin. Seojun musste dementsprechend wegen mir zu uns nach Hause kommen und zwischen denen hat es bei jedem Treffen immer mehr gefunkt, bis ich sie knutschend im Flur erwischt habe. Mit meinen elf Jahren war das wohl das schlimmste, was ich je mitansehen musste. 

"Jeongguk, probier das mal und sag mir, ob da etwas fehlt", fordert Seojun mich auf und steckt mir ohne Vorwarnung einen Löffel Buttercreme in den Mund.

Eine widerliche Mischung aus Butterfett und gepressten Zitronen verteilt sich in meinem Mund, wodurch ich angeekelt das Gesicht verziehe und am ganzen Körper eine Gänsehaut bekomme. Seojun starrt mich erwartungsvoll an, aber ich spucke die Creme keine Sekunde später ins Spülbecken vor mir.

"Du weischt doch, dasch isch Buddercreme hasche!", nuschle ich gequält und halte meinen Mund unter den Wasserhahn, um ihn auszuspülen und das eklige Gefühl loszuwerden.

"Meine Güte, stell dich nicht so an! Wonach hat es denn geschmeckt?", meckert er mich an und sieht auf mich herab.

"Keine Ahnung, es hat einfach nur nach Fett und Zitrone geschmeckt. Bäh...", antworte ich auf seine Frage und richte mich wieder auf, um mein Gesicht mit dem sauberen Geschirrtuch zu trocknen, welches an einem Haken an der Wand vor mir hing.

"Hm, okay. Das ist ja komisch. Ich habe ein neues Rezept ausprobiert, aber scheinbar ist es doch nicht so gut", grübelt er nachdenklich und schaut die Schüssel auf der Kücheninsel an.

"Es ist ekelhaft. Mach das nie wieder", teile ich ihm mit, was ihn zum Schmollen bringt.

Deprimiert schlingt er seine Arme von hinten um mich und reibt seine Wange gegen meinen Haarschopf. Ich lasse seine Kuscheleinheit über mich ergehen und tätschle seinen Unterarm, der auf meinem Brustkorb liegt. Nach mehreren Sekunden lässt er mich immer noch nicht los, weswegen ich genervt aufseufze und die Schultern sacken lasse. Dadurch missbraucht er mich als Teddybären und zerquetscht meine inneren Organe mit seinen mit Muskeln bepackten Armen, bevor er mich strahlend loslässt und zurück zu seiner abartigen Buttercreme hüpft. Erleichtert schnappe ich mir schließlich die letzte schmutzige Kaffeetasse und stelle sie in den Spühlmaschinenkorb, den ich auf die Trockenablage neben der Spüle gestellt habe.

"Weißt du, was ich mir überlegt habe in diesen zwei Wochen, in denen du hier arbeitest, Jeonggukie?", fragt er mich scheinheilig, aber ich weiß ganz genau, auf was er hinaus möchte.

"Ich werde nicht für eure Gäste singen, Hyung", antworte ich ihm und drehe mich nicht mal zu ihm um.

"Wieso denn nicht?", jammert er direkt los und knallt die Schüssel mit der ekligen Buttercreme neben mir auf die Arbeitsplatte.

"Stell du dich doch vorne hin und sing selbst. Es ist dein Café!", erwidere ich gereizt und schubse ihn von mir weg, als er mit seinem Welpenblick immer näher kommt.

"Nein, ich singe seit Jahren nur noch in meiner Küche und du hast im Gegensatz zu mir eine Engelsstimme", meint er und packt mich an den Schulter, um mich in seine Richtung zu drehen und mich mit seinen Teddybäraugen anzustrahlen.

"Witzig, Engelsstimme. Kein Mensch möchte in einem Café sitzen und mir beim Liederträllern zuhören. Es reicht mir schon auf Hochzeiten, meine Stimmbänder zu überlasten", entgegne ich und starre ihm stur in die Augen.

"Ach, du hast doch keine Ahnung", gibt er beleidigt von sich und lässt mich endgültig los.

Eigentlich lehne ich nur ab, weil ich Taehyung mit allen Mitteln aus dem Weg gehen möchte. Mir ist nicht mal mehr danach, noch ein Wörtchen mit ihm auszutauschen. Aber es sieht ziemlich danach aus, dass wir heute Abend schon wieder allein das Café schließen müssen.

"Ich kann mich noch an deinen letzten Auftritt beim Schulfest erinnern. Du sahst und klangst wie ein verdammter Engel. Ich musste damals für deine Oma filmen, weil sie und Eun Rotz und Wasser geheult haben", spricht er weiter und grinst breit bei der Erinnerung.

Ich verziehe das Gesicht und kann mich leider ebenfalls daran erinnern. Alle im Schulchor waren in Schwarz gekleidet, während ich als einziger komplett in Weiß gekleidet wurde. An dem Tag ist irgendwas in mir gestorben, weil ich in der Mitte dieser großen Bühne stand und vor der ganzen Schule singen musste. Unser Schulchor stand zwar ebenfalls auf der Bühne und sie haben mich im Lied begleitet, aber dieses Gefühl von allen Seiten angestarrt zu werden, war für mein 16-Jähriges Ich ein einziger Horror. Es waren auch noch zwei Lieder von der französischen Sängerin Indila, die ich monatelang eingeübt habe. Meine alte Französischlehrerin, die mir mit dem Text geholfen hat, weinte ebenfalls wie ein Wasserfall und wollte mich gar nicht mehr loslassen nach dem Auftritt.

Damals war es eine Tradition beim Schulchor, dass die ältesten Mitglieder, die ihren Abschluss gemacht haben, ein letztes Mal als Hauptsänger beim Schulfest auf der Bühne stehen sollen. Seojun musste sich dieser Tortur auch unterziehen und hatte mir damals den nötigen Mut gegeben. Es war zwar der absolute Horror, aber dadurch habe ich meine Chefin Miga kennengelernt, die mich direkt unter ihre Fittiche genommen hat, damit ich das Singen nicht aufhöre. Früher hat sie selbst auf Hochzeiten gesungen, aber ihre Stimmbänder machen das leider nicht mehr mit, wodurch ich ihre Stelle eingenommen habe. Miga ist die beste Chefin der Welt und ein wenig sehe ich sie wie eine Mutter, da ich nie eine hatte.

"Hey, warum guckst du auf einmal so bedrückt? Du warst und bist immer noch atemberaubend, wenn du singst. Jetzt klingst du auch viel sicherer und selbstbewusster als damals", klopft er mir auf die Schultern und reißt mich aus meinen Gedanken.

"Danke, aber auch wenn du mir die schönsten Komplimente gibst, werde ich nicht im Café singen", sage ich ihm lächelnd und möchte an ihm vorbei gehen, um den Spühlmaschinenkorb in die Spülmaschine zu stellen.

"Ich würde dich sogar bezahlen, wenn du für mich Love Story oder Dernière Danse von Indila singst", meint er und hält mich am Arm fest.

"Nein, du kannst auch dein Handy mit den Musikboxen verbinden, auf Spotify gehen und das Lied von der originalen Sängerin abspielen lassen!", keife ich ihn an und reiße meinen Arm aus seinem Griff los.

"Na gut! Dann mache ich das eben", gibt er trotzig von sich und stampft anschließend aus der Küche.

Erleichtert puste ich die Luft aus meinen Lungen und kümmere mich wieder um die ganzen Gläser, die ich zu meinem Bedauern alle mit der Hand spülen muss.

Chasing You | TaekookWo Geschichten leben. Entdecke jetzt