Kapitel 20

46 10 2
                                    

Taehyungs Sicht:

Irgendwie konnte ich die ganze Nacht nicht schlafen. Ich lag ständig halbwach da und habe mich im Bett rumgewälzt. Bogum war irgendwann so genervt davon, dass er dann zum Schlafen in sein eigenes Zimmer gegangen ist. Dadurch konnte ich zwar ein wenig besser schlafen, aber dieses bittere Gefühl, dass er mich allein gelassen hat, lag mir schwer im Magen. Er hätte ja wenigstens fragen können, was los ist, auch wenn er am nächsten Tag um fünf Uhr morgens aufstehen muss. Naja, ich kann es ihm nicht verübeln. Ich verlasse auch sehr oft das Bett, wenn er schnarcht oder krank ist. Dann darf ich mich nicht über ihn beschweren.

Jedenfalls ist es schon fünfzehn Uhr und Jeongguk hat sich noch nicht Blicken lassen. Eigentlich war er die letzten Tage schon um zehn Uhr da, aber ich denke, dass er länger in der Bar arbeiten musste und sich heute frei nimmt. Komischerweise ist heute nicht so viel los, sodass ich mich etwas langweile. Die meisten Gäste sitzen mit ihren Laptops an den Tischen und starren pausenlos hinein.

"Wo bleibt dieser Idiot eigentlich?", kommt es von Jeong-Eun und stemmt wütend die Fäuste in die Hüften, als sie sich neben mich stellt und durch die Fensterfront schaut.

"Meinst du Jeongguk?", frage ich nach und lege den Kopf schief.

"Ja, der Kerl hat mir heute morgen versprochen, dass er mit dir den Laden schließt. Wir müssen gleich gehen und er ist immer noch nicht da. Wenn wir diese ganzen Termine beim Arzt nicht hätten, wäre es gar kein Problem, dass ich hier bleibe, aber es geht halt um meine Schwester und ich möchte nicht allein dahin", meckert sie los und schaut gestresst auf ihre Armbanduhr.

"Warum kann dich nicht Jeongguk dahin begleiten, wenn es um seine Tante geht?", gebe ich etwas verwirrt von mir, weil ich ihre Familienverhältnisse nicht durchblicke.

Jeong-Eun reißt die Augen auf und schaut mich entsetzt an, als hätte ich die schlimmste Frage auf dieser Welt gestellt. Sie

"Das geht auf keinen Fall! Ich habe nur eine Schwester und das ist seine Erzeugerin. Du musst mir versprechen, dass du kein Wort darüber bei Jeongguk erwähnst, sonst bist du ganz schnell unter durch bei ihm", murmelt sie mir zu und kommt mir deutlich näher, damit es niemand hört.

"Okay, okay. Ich verspreche es... Aber haben die so ein schlechtes Verhältnis?", erwidere ich etwas überrumpelt.

"Sehr gut. Die Beiden haben nämlich gar kein Verhältnis zueinander. Vielleicht hat sie ihn rausgepresst, aber eine Mutter für ihn war sie nie. Jeongguks Vater war der beste Freund von Jonghi. Also meine Schwester heißt Jonghi. Als Jonghi dann nach ein paar Monaten gecheckt hat, dass sie von ihm Schwanger ist, wollte das Arschloch nichts davon wissen und hat den Kontakt komplett abgebrochen. Für eine Abtreibung war es dann deutlich zu spät, aber sie wollte Jeongguk auf keinen Fall behalten, weil er ihr Leben zerstört hat. Meine Eltern haben es aber nicht zugelassen, dass sie ihn zur Adoption freigibt", erzählt sie mir hektisch und behält die Eingangstür im Auge, damit sie rechtzeitig stoppen kann, falls Jeongguk irgendwann auftauchen sollte.

Sie legt eine kurze Pause ein und atmet tief ein, während ich selbst etwas schlucken muss. Was ist das denn für eine blöde Fotze? Was kann ein Baby für ihre Fehlentscheidungen? Ich hoffe, dass sie ihn nicht misshandelt hat. Für ein Kind muss es wohl das schlimmste Gefühl sein, zu wissen und zu spüren, dass die eigene Mutter einen nicht möchte.

"Nach der Geburt war Jeongguk eigentlich nur bei meiner Mutter, weil Jonghi ihn nicht mal berühren wollte. Mein Vater ist dann komplett ausgeflippt und hat sie rausgeschmissen, da es ihm das Herz zerissen hat, weil sie so mit Jeongguk umgegangen ist, obwohl er ein kleines zerbrechliches Baby war. In den ersten zehn Jahren hat sie sich nie für sein Wohlergehen interessiert, sondern hat nur nach mir gefragt, weil meine Mutter so gutmütig war und nicht ebenfalls den Kontakt zu ihr abbrechen konnte. Aber unser Vater hat... Er hat bis zu seinem Tod vor sieben Jahren kein Wort mehr mit ihr gesprochen. An seiner Beerdigung haben sich Jeongguk und Jonghi auch zum ersten Mal getroffen...", spricht sie weiter, aber muss sich nochmal fassen, als sie über den Tod ihres Vaters spricht.

"Wie haben die Beiden aufeinander reagiert?", frage ich sie und merke, dass es richtig schwer in meiner Brust wird und ich eigentlich nicht mal wirklich sicher bin, ob ich das wissen will.

Jeong-Eun fängt an zu lachen und massiert sich das Nasenbein, bevor sie mich mit einem bitteren Lächeln betrachtet.

"Was denkst du denn? Er ist ausgeflippt, als sie durch das Friedhoftor durchlief. Er ist ohne zu zögern auf sie zu gegangen und niemand hat sich getraut ihn aufzuhalten. Du musst bedenken, dass sie noch nie miteinander gesprochen haben. Sie kannten sich nur von Bildern und der erste Satz aus Jeongguks Mund war ,Was fällt dir eigentlich ein, dich hier blicken zu lassen? Dein Vater hat jahrelang auf deine Rückkehr oder auf eine Nachricht von dir gewartet, aber du hast dich nie wieder bei ihm gemeldet. Er ist mit einem gebrochenen Herzen gestorben, weil er mit der Erkenntnis leben musste, dass du deinen eigenen Vater dafür hasst, dass er nicht auf deiner Seite war. Ich sage es dir nur einmal. Verschwinde! Denn ich hasse dich genauso sehr wie du mich und ICH zögere nicht, dich an den Haaren zu packen und von diesem Friedhof zu zerren'. Und danach ist sie stillschweigend gegangen. Sie hat bitterlich geweint, weil seine Worte der Wahrheit entsprachen. Mein Vater hat oft geweint, weil er es bereut hat, sie rausgeschmissen zu haben, aber er konnte ihr einfach wegen Jeongguk nicht verzeihen. Er hat es ja mitbekommen, dass sie nie nach ihrem Sohn gefragt hat", erzählt sie weiter und fängt plötzlich an zu weinen, wodurch ich sie direkt in den Arm nehme und meine eigenen Tränen zurückhalten muss.

Ich hätte niemals erwartet, dass es wirklich so herzlose Menschen gibt. Es ist auch krass, dass sich Jeong-Eun trotzdem verantwortlich für ihre Schwester fühlt, obwohl sie sowas getan hat. Wenn das meine Schwester gewesen wäre, hätte ich sie wahrscheinlich aus meinem Leben verbannt.

Die Glocke der Eingangstür wird geöffnet und mein Blick wandert direkt zu ihr, jedoch rutscht mir das Herz in die Hose, als ich Jeongguk sehe. Dieser kommt auch direkt auf uns zu gestürmt und sieht mich feindselig an, als er seine Tante weinen sieht. Zum Glück können Blicke nicht töten, sonst wäre ich schon zehn Meter unter der Erde.

"Was hast du gemacht?!", fährt er mich wütend an, aber zieht Jeong-Eun sanft aus meinen Armen, um sie fest zu umarmen.

Ich zucke bei seiner Tonlage zusammen und bringe nichts über meine Lippen, da mich auch seine dunklen Augenringe vollkommen aus dem Konzept bringen. Er sieht so aus, als hätte er kaum geschlafen.Jeong-Eun schmiegt sich an ihn, aber haut ihm fest auf die Brust.

"Er hat rein gar nichts gemacht, du dummer Idiot! Ich habe bloß über Appa geredet und musste schon wieder weinen", verteidigt sie mich und wischt sich die Tränen aus dem Gesicht.

"Besser ist es, sonst hätte ich ihn zum Heulen gebracht, wenn er dir etwas angetan hätte", erwidert Jeongguk und küsst ihren Haarschopf, während er mich todernst anschaut.

Mir läuft ein Schauer über den Rücken und ich stehe stocksteif da. Also wenn er wirklich sauer ist, dann möchte ich mich auf keinen Fall mit ihm anlegen. Wenn er bloß wüsste, dass ich die ganze Story mit seiner Mutter weiß, dann bin ich doch so gut wie Tod. Nervös beiße ich mir auf die Lippen und wünsche mir gerade einfach nur, dass ein Gast nach mir ruft.

"Wieso hast du eigentlich so lang gebraucht? Ich habe dir doch gesagt, dass ich gegen fünfzehn Uhr gehen muss! Geh dich sofort umziehen! Seojun wartet schon die ganze Zeit im Auto auf mich!", mault sie ihn zusammen und von ihren Tränen ist kaum etwas zu sehen.

"Tut mir leid. Ich musste mich überwinden in mein Auto zu steigen", meint Jeongguk und zuckt mit den Schultern, während seine kleine Tante ihn in Richtung Mitarbeiterraum schiebt.

Jetzt möchte ich auf keinen Fall, dass sie geht.

Chasing You | TaekookWo Geschichten leben. Entdecke jetzt