14 Part 2

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Verwundert öffnete das Mädchen ihre Augen.
Sie spürte keinen Schmerz, obwohl ihr ganzer Körper zitterte, und ihr Herz klopfte, als würde es jeden Moment aus der Brust springen.

Henrys Messer befand sich Millimeter neben ihrem Gesicht.
Streng genommen steckte es in der Rinde des Baums und nun begann der Junge belustigt etwas in die alte Eiche zu Ritzen.

Es waren ihre Initialen und stolz auf sein Werk sagte er; ,,Die Kussbrücke ist einfach langweilig geworden. Da verewigen sich nur Schwule und Mädchen." Erleichtert aber auch etwas genervt von seinem dummen Kommentar, atmete Lilian auf und nickte schließlich langsam.

,,Das hat dir wohl die Sprache verschlagen?" Jetzt lachte Henry richtig los.

Nicht mehr seine einfache belustigte Art, wenn andere litten, sondern schon fast ein leidenschaftliches Lachen, welches sich seinen Weg tief aus seinem Inneren nach oben bahnte.

Henry Bowers musste wirklich mit dem Teufel höchstpersönlich verwandt sein, denn nur der Teufel würde es hinbekommen so boshaft zu lachen.
,,Ich bin besser als er." Meinte er plötzlich und sein Blick verdunkelte sich wieder etwas.

Es war kein dunkler Blick à la Patrick, aber dennoch schon sehr nah dran.
Lilian versuchte sich dumm zu stellen, doch es funktionierte nicht ganz.

,,Ach komm schon Lilian! Was kann dieser Halbstarke dir geben, was ich nicht habe?" Wollte er wissen, als könne er ihre Gedanken lesen.
Kurz überlegte Lilian.
Es war faszinierend zu sehen, wie ähnlich die beiden sich eigentlich waren.

Es ging nicht um Liebe (nicht mal in diesem Moment nach Henrys durchaus merkwürdigen Liebesgeständnis).
Macht – das war es, was Bowers wollte.
Macht über sie, über ihre Person und alles das, was sie tat.
Gib einem Mann Liebe und er ist befriedigt.
Gibst du einem Mann aber Macht, dann ist er wahrlich zufrieden, ging es ihr durch den Kopf.

Henry gefiel der Gedanke daran sie zu besitzten.
Eine Trophäe in einer Vitrine, die außen zwar völlig staubig war, aber im Inneren immer sauber bleiben würde.
Lilian verstand das Spiel und wusste nun was zutun war.
,,Nichts." Sagte sie also selbstsicher und trat einen Schritt nach vorne zu Henry.

,,Patrick hat nichts, was du nicht auch hast. Vielleicht hast du sogar noch mehr." Meinte sie verlegen und sah dabei zu, wie sich Henrys Gesichtszüge wieder veränderten.
Jetzt waren sie wieder weicher und wärmer.
Er ist ein Stück Butter in meiner warmen Hand, überlegte Lilian stolz, warf den Gedanken allerdings sogleich wieder weit weg.

Hochmut kam schließlich vor dem Fall.
Bowers griff nach ihrer Hand und ging gemeinsam mit ihr zurück zum Auto, in welchem Belch schon eifrig auf sie wartete.
,,Und Romeo?" Wollte dieser neugierig mit einem Lächeln wissen, als beide wieder einstiegen.

,,Es hat funktioniert" sagte Henry und gab Lilian nach hinten hin einen Kuss, ,,natürlich", hing er hinten dran und war seiner selbst unfassbar überzeugt.
Lilian wurde fast schlecht.
Am liebsten hätte sie sowas gesagt wie; ,,vonwegen", ,,das denkst auch nur du", oder jegliche andere Antwort, welche Henrys Arroganz ein für alle Mal auslöschen würde.

Allerdings konnte sie das nicht bringen und blieb deshalb einfach still auf ihrem Platz sitzen.
Eine ganze Weile lang stand der Wagen noch dort, mit allen drei Teenagern, und schien für immer da zu verweilen, bis der Himmel sich plötzlich verdunkelte.
Ein Gewitter würde aufziehen.
Nichts ungewöhnliches für einen Sommer in Derry, aber irgendwie doch unbehaglich.

Irgendetwas war merkwürdig an den plötzlichen dunklen Wolken, welche sich über den Himmel schlichen, als kämen sie aus dem Nichts.
Lilian beobachtete mit einem mulmigen Gefühl in der Magengrube die beiden Jungs die vor ihr saßen.

Weshalb fuhren sie nicht los? Was hielt sie bloß hier?
,,Stimmt etwas nicht?" Fragte sie vorsichtig und knackte nervös ihre Finger.
Keine Reaktion bis auf ein kleines Räuspern von Belch, ehe er aus dem Fenster deutete.
,,Alter, wo kommt denn der Luftballon auf einmal her?" Wollte er belustigt wissen und jetzt sah Lilian es auch.

Mitten durch die immer dunkler werdenden Wolken bahnte sich plötzlich ein knallroter Luftballon seinen Weg durch den Himmel.
Trotz all der Dunkelheit um ihn herum, wirkte er so leuchtend und blendend wie nichts, was Lilian zuvor jemals erblickt hatte.

Verwirrt verfolgte ihr Blick den Ballon, und auch Henry schien wie hypnotisiert davon zu sein.
Das Messer, welches vorher noch in seiner Hosentasche war, befand sich plötzlich in seiner Hand.
Nichts, was für Henry komisch sein sollte, wo ja allseits bekannt ist, das dieses Messer ihm heilig war.

Die Luft wurde immer dicker im Auto und mit wachsendem Unwohlsein, schaute sie nach ob die Tür abgeschlossen war.
Das war sie nicht.
,,Was machst du da?" Wollte Henry wissen und schnellte mit seinem Arm nach hinten, wo er nur haarscharf an Lilians vorbei griff.
,,Nichts." Gab sie schnell und mit fester stimme wieder.

Ein Blick aus dem Fenster, und die Situation wurde noch unglaublicher, denn statt immer weiter nach oben in den Himmel zu ziehen, kam der Ballon bloß stätig näher zum Auto.
,,Töte sie alle." Murmelte Henry auf einmal und eine Gänsehaut überzog Lilians ganzen Körper.
,,Wie bitte?" kam es zaghaft von ihr währenddessen sie spürte wie ihr Herz zu rasen begann.

Sie befand sich am falschen Ort zur falschen Zeit.
,,Töte sie alle!" Sagte er nun lauter und mit mehr Ausdruck.
Henry klang nicht mehr wie Henry, sondern wie ein Wahnsinniger, welcher kurz vor dem Ausrasten war.
Belch begann zu lachen, Lilian zu schwitzen.

Was war daran so lustig? Ging es ihr durch den Kopf, denn selbst für ihn, Henry Bowers höchstpersönlich, war dies einer zu viel.
Er schien wütend zu werden von Belch's Lache und schrie ihm nun laut ins Gesicht.
,,Töte sie alle, töte sie alle!" Wiederholte er und nun stoppte Belch's Lache.
,,Ey Mann, entspann dich-" fing er an, doch konnte seinen Satz nicht mehr beenden.

Henry stützte sich auf seinen Freund, die Worte immer wieder wiederholend und schnitt ihm die Kehle durch.
Lilian kam gar nicht dazu zu schreien, denn Belch war nicht die erste Leiche, welche sie nun gesehen hatte, als viel mehr die dritte.

Zwar starb er nicht durch ihre Hand, doch das machte die Tat dennoch nicht verstörend genug, als müsse sie schreien.
Stattdessen befand sie sich für einen kurzen Moment in völligem Schock, ehe ihr Kopf wieder zu funktionieren schien.

Lilian wusste nicht, ob sie die schnellste Läuferin war, oder die langsamste, doch nun kam ihr nur noch eins in den Sinn.
Die Autotür.
Das Mädchen griff nach dem Griff und stützte aus dem Wagen.
So schnell sie konnte, ihr Herz am rasen, ihre Beine zunehmend langsamer werdend, lief sie um ihr Leben.

Der Wind peitschte ihre Haare nach hinten und die Luft brannte in ihren Lungen wie Desinfektionsmittel auf einer frischen Wunde.
Sie konnte ihn hinter sich hören, erneut und erneut bloß dasselbe rufend, doch wagte es sich nicht einen Blick über ihre Schulter zu werfen.

Was wenn er mich kriegt? Werde ich sterben? Fragen über Fragen, die unaufhörbar durch ihren Kopf schossen.
Sie sah schon das Gitter der Müllhalde, doch ehe sie es schaffte komplett hinüber zu klettern, zog Henry sie runter.
Hart prallte Lilian auf dem Boden auf und Henry über ihr.
Sie schrie, sie schlug nach ihm und versuchte ihn abzuwehren, doch nichts half.

Kurz überlegte sie aufzugeben, dass Messer bereits nass und warm an ihrer Kehle spürend, schloss sie die Augen.
,,ich bin bereit." Flüsterte sie und eine Träne lief ihre Wange runter, als Henry plötzlich von ihr weggestoßen wurde.

Sie öffnete ihre Augen und sah einen großen Stein neben ihr liegend.
Blut lief von ihm herunter, wie von Hennys Stirn.
Verwundert blickte Lilian zum Gitter und sah Beverly dort sitzen.
,,Beeil dich!" Rief sie und das ließ Lilian sich nicht zweimal sagen.

So schnell das Mädchen konnte und ihr schmerzender Kopf es erlaubte, hiefte sie sich über das Gitter, griff nach Beverlys Hand und rannte.
Wohin auch immer, sie weit wie auch immer.
Lilians Kopf schaltete sich völlig aus und sie hatte weder Zeit sich zu fragen ob Henry noch hinter ihnen her war, oder was viel wichtiger war...

Was tat Beverly hier?

Ultraviolence {ES| Patrick Hockstetter Fan-Fiction}Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt