9. Kapitel

15 4 3
                                    

Die zwischen den Wolken hervorlugende Sonne spiegelte sich in der Wasseroberfläche. Ich kniff die Augen zusammen, trotzdem blendete mich die Helligkeit. Das Rauschen der brechenden Wellen, über die die Juliet segelte, dröhnte in meinen Ohren, doch ich wollte es nicht missen. Entspannt legte ich den Kopf in den Nacken, ließ mir den Wind ins Gesicht blasen. Meine offenen Haare flatterten immer noch wild umher, was mich mit der Zeit störte. Vielleicht konnte Aiza sie flechten. Es bestand die Möglichkeit, dass sie es einmal gelernt hatte.

Am liebsten wäre ich unter Deck gegangen, um sie zu suchen, doch sie navigierte gerade, weshalb sie sowieso gleich wieder aus dem Schiffsinneren kommen würde, und ich wollte sie nicht unnötigerweise stören. Außerdem war ich mir nicht einmal sicher, wie frei ich war. Ob es toleriert werden würde, wenn ich einfach so unter Deck ging. War ich noch eine Gefangene?

Ich hatte die letzten Nächte mit Aiza in ihrer Kabine geschlafen. Diese Frau schlief kaum, jeden Tag war sie schon aufgestanden, als ich aufgewacht war. Wie sie es schaffte, mit dem Schlafmangel, unter dem sie fraglos litt, ein Schiff zu führen, war mir ein Rätsel.

„Kurs auf zweihundertachtundneunzig Grad!", dröhnte die Stimme des Captains aus dem Schiff heraus, und der Steuermann reagierte sofort. Er drehte das Steuerrad ein wenig und überprüfte die Richtung immer wieder mit dem Kompass. Als er schließlich zufrieden war, fuhr er wieder gerade. Ich konnte zwar keinen Unterschied zu dem vorherigen Kurs erkennen, aber Aiza würde schon wissen, was sie tat. In dem Moment trat sie in die Sonne. Die dunklen Haare schimmerten, obwohl sie sie vermutlich seit Monaten nicht mehr gewaschen hatte. Ihre Kleidung fing den Wind wie immer perfekt ein und sie sah atemberaubend aus, wie sie dort stand und alles überwachte. Eine Hand hatte sie in die Seite gestützt, in der anderen hielt sie etwas. Von hier konnte ich nicht ganz erkennen, was es war, ich tippte jedoch auf einen Kompass. Ihre Aura vermittelte Stärke und Sicherheit, man konnte sehen, wie wohl sie sich an Bord fühlte.

Als sie mit dem Steuermann sprach, wandte ich den Blick ab. Sie sollte nicht bemerken, dass ich sie angestarrt hatte. Mit aller Kraft versuchte ich, mich auf die Wellen zu konzentrieren. Die Schaumkronen auf ihren Spitzen machten die Umgebung wunderschön. Obwohl es bewölkt war, blitzte immer wieder die Sonne durch, was vom Meer reflektiert wurde. Durch die vorherige Kursänderung flatterte eines der Segel nun ein wenig, was aber schnell durch einen Matrosen behoben wurde. Er zog so lange an einem der unzähligen Seile, bis das Segel wieder gut im Wind stand, und uns so vorantrieb. In diesem Moment spürte ich eine Hand in meinem Rücken. Inzwischen wusste ich, dass all diese Berührungen von Aiza stammten. Ich konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen, als ich mich zu ihr umdrehte. Aus der Nähe konnte ich ihre

Gesichtszüge wunderbar erkennen. Die stechenden Augen, wie immer von schwarzem Kajal umrundet, die hohen Augenbrauen und dunklen Lippen. Manchmal dachte ich, dass sie diese auch schminkte, da es von Natur aus wohl kaum möglich war, so eine Lippenfarbe zu haben.

Nach einigen Sekunden der Stille begann Aiza schließlich zu sprechen. „Momentan schaut es so aus, als würden wir in ungefähr vierundzwanzig Stunden auf Barbados ankommen." Mein Herz setzte bei ihren Worten einen Satz lang aus. Wir... würden ankommen? Es fühlte sich alles andere als real an. So oft hatte ich mir in den letzten Wochen gewünscht, nicht mehr auf See zu sein und wieder festen Boden unter den Füßen zu haben.

Jetzt jedoch, wo dieser Wunsch wahr zu werden drohte, wollte ich es gar nicht mehr so dringend, momentan war ich glücklich auf der Juliet. Wie würde mein Leben überhaupt weitergehen? Ohne meinen Vater konnte ich wohl kaum Land für mich beanspruchen. Und wie sollte ich überhaupt wieder zurück nach England kommen? Ich bezweifelte, dass Aiza mich einfach so gern lassen würde. Was wolltest du noch mit mir? Eigentlich war ich doch an Bord zu nichts zu gebrauchen. Und das wollte ich überhaupt? Wollte ich an Bord der Juliet bleiben? Ich wusste es nicht. Ich wusste gar nichts. Die einzige Sache, bei der ich mir sicher war, war, dass ich nicht von Aiza getrennt werden wollte. Aber war das überhaupt möglich? Würde sie mich nicht so schnell wie möglich loswerden wollen, sobald wir auch nur einen Fuß an Land gesetzt hatten? Es wäre nur logisch. Jeder würde das in ihrer Situation tun. Vermutlich würde ich es in ihrer Situation tun. Trotzdem verengte sich mein Brustkorb bei dem Gedanken daran, dass mir das möglicherweise bevorstand.

Pirate PrincessWo Geschichten leben. Entdecke jetzt