10. Kapitel

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„Wir sind heute hier versammelt, um Sorina von Ashton, eine junge Piratin, in die Crew aufzunehmen." Sie bezeichnete mich also als Piratin, obwohl ich von allen hier am wenigsten Piratin war. Doch natürlich hatte Aiza diese Worte nicht nach Richtigkeit gewählt, sondern um mir ein wenig Respekt einzubringen. Natürlich hatte sie mich davor gewarnt, dass die Crew eine weitere Frau in ihren Reihen vermutlich nicht so schnell akzeptieren würden, ich hatte jedoch auf meine Entscheidung bestanden. Es war die einzige Möglichkeit, mit Aiza zusammenzubleiben. Dafür musste ich das Verhalten der Männer in Kauf nehmen, was mir keine Probleme bereitete. Ich wusste, dass Aiza für mich da war und, falls es sein musste, auch für mich einstand. Sie hatte schon einmal bewiesen, dass sie keine Schwierigkeiten hatte, einen Mann umzubringen, was mir ein Gefühl von Sicherheit verlieh. Vermutlich sollte ich es alles andere als positiv oder sogar anziehend finden, mit einer Frau Zeit zu verbringen, die vor wenigen Tagen einen Mann vor meinen Augen erstochen hatte. Ich tat jedoch schon lange nicht mehr das, was ich tun sollte.

„Aufgrund ihrer Erfahrung und Qualifikation wird sie als Matrosin beginnen und den Rang einer Leichtmatrosin überspringen. Sie steht unter meinem persönlichen Schutz, und jeder, der sie nicht mit Respekt behandelt, hat mit ungemütlichen Konsequenzen zu rechnen." Bei Aizas Worten überzog eine Gänsehaut meine Arme. Ich konnte ein Zittern gerade so unterdrücken, worüber ich sehr froh war. Jedoch war ich mir nahezu sicher, dass sie bei niemand anderem die Worte genauso gesagt hatte. Nachdem ich ihrem Angebot zugestimmt hatte, hatte sie ohne zu zögern eine Versammlung einberufen.

Einige der anderen Piraten wurden bei der Rede des Captains, nun meines Captains, unruhig. Immer mehr der Matrosen begannen untereinander zu tuscheln und flüsterten einander Dinge zu, die ich von meinem Platz direkt neben Aiza nicht verstehen konnte. Jedoch konnte ich mir denken, worüber sie redeten. Noch eine Frau war nun Teil von ihnen, was sie offensichtlich alles andere als gut fanden. Der Captain hatte einige Schwierigkeiten, sich Gehör zu verschaffen. Sie musste mit ihrem Fuß auf das Fass stampfen, auf dem sie stand, um die Meute zum Stillsein zu bringen.

„Wenn einer hier noch sagt, dass Frauen an Bord Unglück bringen, werde ich persönlich dafür sorgen, dass diese Person ihr Unglück bekommen wird. Von mir. Und jetzt alle zurück an die Arbeit!" Ihre letzten Worte brüllte sie in die Menge, die sich schnell zerstreute.

Verloren stand ich neben dem Fass, von welchem Aiza hinunterstieg. Ich würde gerne helfen, doch ich wusste nicht, wie.

„Sorina, komm mit mir. Wenn du als Matrosin einsteigen willst, musst du einige Grundkompetenzen erwerben." Ich schluckte. Natürlich hatte es seine Vorteile, den herabwürdigenden Rang eines Leichtmatrosen zu überspringen, trotzdem würde es für mich nicht leicht werden. Besonders die Art, wie die übrige Crew der Juliet reagiert hatte, als Aiza die Sonderregelungen für mich angekündigt hatte, bereitete mir Sorgen. Was, wenn sie mich nicht akzeptieren würden? Und wie würde meine neue Position die Beziehung mit Aiza beeinflussen? Plötzlich hatte ich Angst. Was, wenn es die falsche Entscheidung gewesen war?

„Wir gehen in das Navigationszimmer, und ich werde dir die Grundlagen zeigen." Ich nickte, dankbar, dass sie mich aus meinen Gedanken geholt hatte. Ohne zu zögern folgte ich ihr unter Deck.

*****

„Dann machst du hier eine Linie, die der neue Kompasskurs ist." Konzentriert nickte ich. Niemand hatte mir gesagt, wie schwer es war, herauszufinden, in welche Richtung man fahren musste. Mein Blick hob sich von der komplizierten Seekarte und ich sah Aiza an. Unter dichten Wimpern huschten ihre ozeanblauen Augen über die Karte, folgten Linien, die ich nicht sehen konnte.

Der Bleistift, welcher am Tisch lag, begann zu rollen, als das Schiff über eine Welle segelte. Schnell stoppte ich ihn mit meiner Hand, ehe ich ihn an seinen ursprünglichen Platz zurücklegte und mein Blick wieder zu Aiza fand. Sie hatte sich inzwischen von der Karte abgewandt und sah mich an. Nach einigen Sekunden konnte ich nicht länger schweigen und flüsterte: „Werden mich die anderen Piraten akzeptieren?" Seufzend vergrub Aiza ihr Gesicht in den Händen, ehe sie wieder aufsah.

Pirate PrincessWo Geschichten leben. Entdecke jetzt