Das tat ich definitiv nicht. Ich traute dieser Frau sofort zu, mich rücksichtslos über Bord zu werfen. Weiterhin reinigte sie mit dem Dolch ihre Fingernägel, als gäbe es nichts Interessanteres auf der Welt. Als würde sie nicht gerade die Erbin eines der mächtigsten englischen Adelshäuser befragen. Das wusste sie jedoch nicht, was auch gut so war.
„Fangen wir doch mit etwas Einfachem an. Wie heißt du?" Ich dachte einen Moment nach, dann antwortete ich schließlich. „Sorina."
Unzufrieden hob die Frau ihre Augenbrauen. Weiterhin säuberte sie mit dem Dolch ihre Fingernägel, während sich ihr Blick in mich bohrte. Als hätte sie keine Angst, sich die Finger abzuhacken. Oder so, als hätte sie das schon tausende Male getan. Ich wusste nicht, welche der beiden Möglichkeiten mir mehr Angst einjagte.
„Sorina also. Hast du denn einen Nachnamen, Sorina?" Ihre Stimme blieb ganz ruhig, aber ich ließ mich davon nicht täuschen. Sie war gefährlich ruhig.
In einem dummen Moment des Mutes erwiderte ich: „Spielt das denn eine Rolle?" Noch in der Sekunde, in der ich es aussprach wusste ich, dass es ein Fehler war. Die Augen der Piratin wurden schmal.
„Ich habe dir gesagt, dass du kooperieren musst. Sonst wirst du die Zellen, die dir offensichtlich so große Angst einjagen, sehr bald von innen kennenlernen." Wie hatte sie gemerkt, wie sehr mich diese Zellen verunsichert hatten? War ich so leicht zu durchschauen? Ich biss mir auf die Lippe. Das war gar nicht gut.
„Ist das eine Drohung?"
Immer noch wusste ich nicht, was mit mir los war, aber ich hatte es satt, immer klein beizugeben. Ich war kein Niemand. Ich hatte einen Adelstitel, den ich auch verteidigen durfte.
Ihre Augenbrauen zuckten überrascht nach oben, als hätte sie nicht damit gerechnet, dass ich mich zur Wehr setzte, und sei es nur in solch einem kleinen Sinne.
„Hat es sich wie ein Kompliment angehört?" Ich konnte den spöttischen Unterton in ihrer Stimme nicht ignorieren. Diesmal antwortete ich nicht. Diese Frau wusste auf alles die perfekte Antwort.
„Auch wenn du eine rebellische Phase hast, Sorina von Ashton, mach nicht den Fehler, meine Geduld zu prüfen." Ich zuckte bei der Erwähnung meines vollen Namens zusammen. Woher wusste sie das? In dem Moment der Panik wollte ich am liebsten aufspringen und rennen, jedoch konnte ich mich glücklicherweise gerade noch davon abhalten.
„Du willst wissen, woher ich diese Information habe?" Inzwischen klang ihre Stimme fast gelangweilt. Ihr Blick verweilte nun erneut auf ihren Fingernägeln.
„Wenn deine Identität geheim bleiben soll, dann dürfen deine ach so tollen Offiziere keine Dokumente offen liegen lassen." Sie deutete auf einen der Schränke und ich sah die Erburkunde der von Ashtons offen herumliegen. Warum, konnte ich selbst nicht sagen, jedoch war mir sicher, dass nicht sie die Urkunde dort platziert hatte. Ich wusste, dass die Besatzung der Juliet einen Fehler begangen hatte.
Als ich wieder zu der Piratin schaute, fiel mir etwas ein.
„Da du meinen Namen weißt, wäre es doch nur fair, wenn du mir auch deinen sagst, nicht?" Ich gab mir Mühe, meine Stimme entschlossen klingen zu lassen, allerdings war ich mir ziemlich sicher, dass sie zitterte. Abermals hob die Frau ihre Augenbrauen. Das Starren ihrer ozeanblauen Augen wirkte nun fast unheimlich. Es sah fast so aus, wie die See an einem stürmischen Tag. Aufgewühlt, ruhelos, chaotisch. Aber da lag noch etwas anderes als Dunkelheit in ihrem Blick. Es war auch düster, keine Frage, aber es war nicht nur diese ausweglose Schwärze. Es juckte mich danach, den Tisch zwischen uns zu überwinden, und sie zu berühren. Sicherzustellen, dass sie ein Mensch war. Ich würde nicht mehr lange für die Handlungen meines Körpers garantieren können, soviel war sicher.

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Pirate Princess
Ficción históricaabgeschlossen *** Im Jahre 1706 reist Sorina von Ashton, Erbin eines englischen Adelsgeschlechts, mit ihrem Vater nach Amerika. Sie soll sich dort in der neuen Welt einen Namen machen und ihrer Familie Einfluss und Reichtum verschaffen. Jedoch verlä...