11. Kapitel

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Unauffällig nahm ich Aizas Hand in Meine, während ich der Crew bei ihren Arbeiten zusah. Ich hatte mich den Vormittag über erneut in Navigation geübt, und inzwischen verstand ich die Theorie dahinter sogar. Nun hatte ich den Rest des Tages frei, da ich nur von Aiza persönlich trainiert wurde. Darauf hatte sie bestanden, was kein Problem für mich war. Nur war ich gespannt, wie das der Rest der Crew finden würde. Ich hatte das ungute Gefühl, dass diese das gar nicht für gut empfanden, jedoch bereitete das aktuell noch keine Schwierigkeiten. Und ich vermutete, dass sie es kaum wagen würden, ein negatives Wort über mich oder zu mir zu sagen, da Aiza sonst vermutlich erneut unschön werden würde.

Gedankenverloren streifte mein Daumen über ihren Handrücken, während ich meinen Kopf an ihre Schulter lehnte. Augenblicklich entspannte sich mein Körper, die harte Holzbank, auf der wir saßen, ignorierend.

Eine laute Stimme riss mich aus meinen Gedanken.

„Land in Sicht!"

Augenblicklich setzte ich mich gerade hin. Der Matrose, der die Worte quer über das Schiff geschrien hatte, stand mit einem Fernrohr in der Hand an der Reling. Sofort strömten die Piraten auf ihn zu, um ebenfalls das Land entdecken zu können. Mit einem Seufzen stand Aiza auf, nicht ohne dabei noch einmal über meinen Handrücken zu streichen.

Sie folgte den Seemännern, welche sofort den Weg freigaben, ohne dass sie auch nur ein Wort sagen musste. Nach einem kurzen Blick durch das Fernrohr rief sie feierlich: „Kurs auf Sicht! Auf das äußerste Kapp zusteuern."

Nach einigen Minuten löste sie sich wieder von der Ansammlung, welche sich immer noch an die Reling drängelte, und nahm wieder ihren Platz neben mir ein.

„Nicht mehr lange, dann sind wir an Land."

Ich nickte. Es konnte nicht mehr lange dauern, bis ich die Insel oder sogar das Festland mit freiem Auge erkennen konnte. Bei dem Gedanken daran breitete sich ein Kribbeln in meinem Magen aus. So lange hatte ich auf diesen Moment gewartet, und jetzt war er fast gekommen. Unzählige Male hatte ich mir in den letzten Wochen gewünscht, nicht mehr auf dem Wasser zu sein. Doch jetzt bereitete mir der Gedanke, bald wieder festen Boden unter den Füßen zu haben Angst. Ich versuchte, diese zu verdrängen, indem ich mich mit den geographischen Fragen auseinandersetzte.

„Ist das schon Festland?" Wenn es jemand wusste, dann wohl Aiza. Sie hatte immerhin schon gestern gesagt, dass es nicht mehr lange dauern würde, was genau so eingetroffen war.

„Bestimmt nicht. Wir sind jetzt in der Karibik angelangt. Welche genau wir da vor uns haben, kann ich aber nicht sagen." Sie kniff nachdenklich die Augen zusammen. Fast meinte ich, kleine Zahnrädchen in ihrem Kopf rattern zu hören. Bestimmt versuchte sie, eine Karte der Karibik zu visualisieren, etwa die, die unter Deck im Navigationszimmer hang. „Laut dem Kompass müssten wir etwa fünf Meilen südlich von Barbaros sein, darauf würde ich mich allerdings nicht verlassen."

Erneut suchte ich den Horizont ab, als ich etwas erkennen konnte: ein kleiner, dunkler Fleck über dem Meeresspiegel. Schnell konnte ich die Insel ausmachen. Noch konnte ich weder die Landschaft noch die Größe abschätzen, aber das änderte sich rasch. Von Minute zu Minute wurde der kleine Flecken Land schließlich zu einer größeren Insel. Ich konnte viel Grün auf ihr ausmachen, offenbar war der Boden nährreich und gut bewachsen. Außerdem gab es unzählige felsige Buchten und einige Klippen. Am äußersten Kapp erkannte ich etwas, das wohl eine Mole war. Also gab es auch einen Hafen.

Mein Blick wanderte zurück zu Aiza.

„Warst du schon einmal hier?"

„Auf dieser Insel noch nicht, glaube ich. Genau kann ich es erst sagen, wenn ich sicher weiß, welche es ist. Aber in der Karibik natürlich schon. Ich bin in meiner Kindheit sehr viel zwischen den Inseln gesegelt. Hier ist sozusagen das Zentrum der Piraterie." Sichtbar schluckte sie und blieb einen Moment still, als müsste sie sich sammeln. Ohne zuvor darüber nachzudenken, legte ich einen Arm um sie und zog Aiza an mich. Im ersten Moment versteifte ihr Körper, als sie jedoch merkte, dass ich sie nicht losließ, entspannte sie wieder. Ich ließ ihr Zeit, und wartete stumm, bis sie bereit war, weiterzusprechen.

„Auf Kuba habe ich etwa drei Jahre lang gelebt, bis ich meine momentane Crew übernommen habe."

„Wie war es in dieser Zeit?" Ich versuchte, nicht allzu neugierig zu klingen, was mir jedoch vermutlich nicht wirklich gelang. Ich wollte möglichst viel über ihre Vergangenheit erfahren. Die Geschichten, die sie in ihrem jungen Alter schon zu erzählen hatte, waren bestimmt unglaublich. Trotzdem wollte ich sie nicht drängeln. Es war ein schmaler Grat zwischen Interesse und unangebrachter Neugierde. Meine Erzieherinnen hätten mich schon längst gerügt, da es sich für eine Frau nicht gehörte, nachzuhaken. Frauen sollten still neben den Männern stehen und zuhören und nett lächeln. So war es mir beigebracht worden.

„Einsam. Ich war vor allem wütend, weil es damals sehr viele Schiffe gab, die Crewmitglieder suchten. Aber keines von ihnen wollte mich aufnehmen, da Frauen an Bord angeblich Unglück bringen und zu nichts zu gebrauchen sind, das kennst du ja inzwischen. In dieser Zeit habe ich jeden Mann gehasst, der mir über den Weg gelaufen ist, und das war eine ganze Menge."

Ich konnte es mir nur zu gut vorstellen. Eine etwas jüngere Aiza, allein auf sich gestellt, die jeden Mann, der ihr begegnete, mit ihrem Dolch bedrohte. Bestimmt war sie in der Zeit, in die eine oder andere Rauferei geraten, doch ich fragte lieber nicht nach. Um unser beider Willen sollte sie diese Dinge für sich behalten. Ich wollte keine blutigen Geschichten mehr hören, nachdem sie vor meinen Augen einen ihrer Matrosen erstochen hatte, und vermutlich wollte sie sie mir auch gar nicht erzählen.

Doch da packte mich wieder die Sorge. Hatte Aiza Feinde auf den Inseln? Müsste ich von nun an lernen, mich zu verteidigen? So gern ich Matrosin war, ich hatte kein Interesse an einem Kampf. Wie lange würden wir überhaupt an Land bleiben? Tausende Fragen schwirrten in meinem Kopf umher, unsortiert und chaotisch. Ich schluckte und fasste meine Ängste in einem Satz zusammen.

„Wie wird es jetzt werden?"

„Ich kann dir nicht sagen, wie lange wir an Land bleiben werden oder wie es wird, aber ich verspreche dir, dass ich auf dich aufpassen werde. Dir wird nichts passieren, dafür sorge ich." Sanft glitt ihre Hand hinter meinen Rücken und nahm mich an der Taille, um mich näher an sie zu drücken.

„Du bist meine Prinzessin." 

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⏰ Letzte Aktualisierung: Apr 30 ⏰

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