6. Kapitel

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Mit einem leisen Knarren schloss Aiza die Tür hinter mir. Neugierig sah ich mich in der Kabine des Captains um, obwohl ich sie schon von innen gesehen hatte. Hier hatte ich an den ersten Abenden der Reise mit Captain Greyson Karten gespielt, während die betrunkenen Matrosen im Salon waren. Bei dem Gedanken an den unschuldigen alten Mann, der jetzt in einer kleinen Zelle saß, spürte ich einen Stich in meiner Brust.

Auch in diesem Zimmer hatten sich einige Sachen verändert, seit das Schiff unter der Macht der Piraten, oder viel mehr unter der von Aiza, stand. Anstatt der Sammlung von alten Seekarten lag nun eine Truhe, welche mit Schmuck gefüllt war, in der Ecke. Erneut konnte ich den Schmerz beinahe körperlich spüren. Das veranschaulichte nur noch deutlicher den Unterschied zwischen Aiza und dem alten Captain. Während er sich auf seinen Beruf fokussiert hatte, legte sie viel mehr Wert auf schöne Kleidung und Reichtum. Klar, auch ich achtete darauf, wie ich mich kleidete und zeigte, aber mir war es so anerzogen worden. Als adelige Frau gehörte es sich nicht, zu arbeiten. Meine Aufgabe war es, schön auszusehen und meine Familie so in der Öffentlichkeit zu vertreten.

War es falsch von mir, Aiza dafür zu verurteilen? Immerhin tat sie die gleichen Sachen wie ich.

Als sich eine Hand unter mein Kinn legte, sah ich zu dem Captain hoch. Trotz der fast unzumutbaren Außentemperaturen war ihre Hand nicht kalt, sie fühlte sich ein wenig rau an. Immer noch waren ihre Augen schwarz umrandet, was ich trotz der Dunkelheit in der Kabine gut erkennen konnte. Es verlieh ihr etwas Mystisches. Mir war bewusst, dass sich dieser Gedanke wiederholte, aber es entsprach nun mal der Wahrheit. Jedes Mal, wenn ich ihre Augen sah, schoss es mir durch den Kopf.

Diese Art von Schminke stand für etwas, dass sie von der Masse an Frauen, die ich in meinem Leben schon gesehen hatte, abhob. Nicht, dass sie das nötig hatte. Aiza war die erste Piratin, die ich je gesehen hatte, und vermutlich auch die Letzte, die ich je sehen würde. Und neben ihrer bestimmten Umgangsart mit anderen Menschen hatte sie genug Persönlichkeitsmerkmale, die mir bisher nur bei Männern aufgefallen waren. Ihre überirdische Art, sich zu schminken, grenzte sie nur noch mehr von jeglichem zivilen Leben ab.

„Sorina." Es schmerzte ein wenig, ihre Stimme so sanft zu hören. Bis jetzt hatte sie mich mehr toleriert als wirklich akzeptiert. Nicht, dass es mir gefallen hatte, jedoch war das so... einfach gewesen. Ich hatte verstanden, was los war, was gerade vor sich ging. Nun hatte ich schon seit Stunden den Überblick verloren. Seit dem Zeitpunkt des Todes meines Vaters, um genau zu sein.

Als der Captain sich schließlich bewegte, zuckte ich zusammen. Ich wusste nicht, wie lange ich gerade meinen Gedanken hinterhergehangen hatte und Aiza einfach nur in die Augen geschaut hatte. Gott, wie dumm von mir. Andererseits war sie eine Piratin und kein wichtiger Mensch in meinem Leben, also konnte es mir eigentlich egal sein, was sie von mir dachte. Es sollte mir wirklich egal sein. Nur leider wusste ich nur zu gut, dass es nicht so war.

„Willst du dir keine Schlafsachen anziehen?" Wieder klang ihre Stimme sanft, als wäre ich ein Glas, das jeden Moment zersplittern könnte, wenn sie nicht Acht gab. Schnell nickte ich, bevor die Situation noch unangenehmer werden konnte.

Erst jetzt fiel mir auf, dass ich keine passenden Schlafsachen dabei hatte. Ich hatte bis jetzt immer in einem Unterkleid geschlafen, was genauso unangenehm war, wie es sich anhörte. Die vielen Tüllröcke hatten meine Beine vollständig zerkratzt und aufgrund der kurzen Ärmel war ich fast erfroren.

Nun jedoch hatte ich kein Unterkleid mehr an. Ich hatte es ebenfalls gegen die Hose und das Hemd von Aiza getauscht.

„Kannst du mir sagen, wo deine Sachen sind? Ich kann jemanden danach schicken."

Sie ging wirklich davon aus, dass ich eigene Schlafsachen mitgenommen hatte. Also schaute ich sie nur stumm an.

„Es ist kein Problem, ich kann in diesen Sachen schlafen."

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