Kapitel 5

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Ich legte meine Hand an ihren Knöchel. „Er ist weg. Du kannst wieder rüber gehen." Es war kaum mehr als ein Murmeln, weil ich so müde war. Weil ich Kopfschmerzen hatte. Weil mir mein Gesicht wehtat, nachdem er mir die verdammte Bierflasche in die Fresse geworfen hatte. Es war nicht wie in Filmen. So eine Glasflasche zersplitterte nicht sofort in tausend Teile, wenn sie einem an den Schädel prallte. Aber dafür wurde der Riss in meiner Seele größer. Der Riss, der inzwischen eine Schlucht hätte sein müssen. Der Riss und dessen Verzweigungen, die von dem kleinen Jungen in mir zusammengehalten wurden, der sich nichts mehr wünschte als ein bisschen Frieden. Ein bisschen Zuhause ohne Geschrei und Alkoholatem und Tränen und die kleine Schwester, die in seinem Bett schlief, weil sie Angst hatte.

Ich sah von meinen Mathebuch auf und rüttelte sanft an ihrem Fuß. „Ida... Geh in dein Zimmer."

Der schwarze Schopf schüttelte sich ein wenig in meinem Kissen und ich wusste, dass ich sie nicht in ihr eigenes Bett schicken würde, wenn sie nicht freiwillig ging. Sie war so groß geworden. Und trotz des Terrors, der in ihr steckte und den sie unserer Mutter Tag für Tat entgegen brachte, kam sie wie das kleine Mädchen von damals unter meine Decke gekrochen, weil sie sich bei mir sicher fühlte. Ich würde ihr niemals die Zuflucht verwehren. Egal wie viele Flaschen noch an meinen Kopf fliegen würden. Egal wie viele Fäuste auf mich einschlagen würden. Solange sie nicht meine kleine Schwester trafen, würde ich jeden Schmerz der Welt ertragen.

Ich nahm mein Handy und machte ein Foto von meinen Aufgaben, ehe ich es in die Gruppe schickte.

ich:
bruder werd Mathe Abi so verkacken digga

Momo:
alter du bist besser in mathe als ich! was soll ich denn sagen??

Schramme:
ihr opfer

ich:
halt's maul hauptschule

Schramme:
guck fenster

Ich richtete mich auf meinem Bett auf, das direkt neben meinem Fenster stand, und sah zum Block gegenüber. Die Häuser standen viel zu dicht beieinander. Uns trennte gerade mal ein winziger Innenhof mit Wäscheleinen, stinkenden Mülltonnen und einem armseligen Spielplatz, auf dem weniger gespielt als gesoffen wurde.

Schramme wohnte auf der anderen Seite. Er hockte mit seinem Handy in der Hand und einer Zigarette im Mund auf dem Fensterbrett. Als er mich entdeckte, grinste er schief und streckte mir seinen Mittelfinger entgegen.

Ich stand auf und zog meine Hose vom Hintern, um meinem besten Freund meinen nackten Arsch zu zeigen. Als ich mich wieder zu ihm umdrehte, musste er lachen, sodass ihm die Kippe aus dem Mund fiel und dramatisch drei Stockwerke hinab stürzte.

Schramme:
du arsch!

Momo:
was passiert?!

Schramme:
er hat die hintern nummer gemacht

Schramme:
und jetzt is meine Kippe weg

Momo:
wieso kriegt der spanier deinen hintern???

ich:
🍑

Momo:
🤤

Momo:
nächste mal persönlich

ich:
träum weiter

ich:
wieso seid ihr wach eigentlich???

I cry a lot Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt