Kapitel 6

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„Adi?" Ich streckte meinen Kopf in sein Büro. „Ich mach kurz Pause, ja?"

„Ist grad viel los?"

„Nee. Nur Stammkundschaft."

Adrianos scheuchte mich mit einer Handbewegung durch den Hintereingang der Sportbar, in der ich arbeitete. Ich mochte diesen Ort nicht. Ich mochte die Gäste nicht, die sich den ganzen Tag besoffen und ihr Geld verzockten. Ich mochte meinen Boss nicht, der mit einem breiten Grinsen den Suffis ihre Kohle aus der Tasche zog. Er war ein Riesenarsch und ich wusste genug über seine illegalen Sportwetten, um dem Mistkerl eins auszuwischen. Aber es gab zu viele Gründe, um es nicht zu tun.

Einer davon hing mit dem Kopf auf dem Tresen und setzte auf Sport, dessen Regeln er nicht einmal verstand. „Es heißt nicht umsonst Glücksspiel, Kleiner!" Diesen Satz hatte ich so oft in meinem Leben gehört, dass ich ihn wahrscheinlich im Moment meines Todes aufsagen würde, weil es das einzige war, das mir in den Sinn käme. Schon als ich noch in die Windel gekackt hatte, hatte mich der Wichser als Pfand bei Adi gelassen, weil er erst Geld auftreiben musste, um sein Bier zu bezahlen. Wahrscheinlich hatte ich mindestens einmal die Woche in diesem Drecksloch gesessen. Adi hatte mir Papier und Stifte gegeben, damit ich auch ja sitzen blieb. Stunden hatte ich damit zugebracht, Bilder zu malen. Sie hingen immer noch in seinem beschissenen Büro. Irgendwann hatte meine Mutter davon erfahren und dafür gesorgt, dass der Alte mich nicht mehr einfach so mitnahm. Das brachte eine menge Streit nach Hause. Stunden hatte ich damit zugebracht, mir die Ohren zuzuhalten und darauf zu warten, bis es wieder still wurde. Es war bis heute nie wirklich still. Als ich vierzehn war, hatte Adi mich auf der Straße aufgegriffen. Er hatte mich in seine ranzige Bar geschleift, auf den halb bewusstlosen Alki gezeigt und mich Gläser abspülen und Kotze aufwischen lassen, um dessen Spielschulden abzubezahlen.

Inzwischen war ich neunzehn. Und noch immer hing ich hier rum, spülte Gläser und wischte Kotze auf. Ich schenkte Alkohol aus, nahm das Geld für die Wetten entgegen, mit denen ich eigentlich gar nichts zu tun haben wollte, und nebenbei kümmerte ich mich um die legalen Zahlen seiner Bar, damit ihn niemand an Arsch kriegte. Ich verabscheute alles daran. Doch ich steckte zu tief in der Kacke drin, um einfach damit aufzuhören. Adi würde mich finden und an seinen Tresen ketten, wenn es sein musste, damit ich die Schulden meines Vaters beglich. Dabei war ich mir nicht einmal mehr sicher, ob die überhaupt noch der Grund waren, weshalb Adrianos mich nicht gehen lassen würde. Wahrscheinlich sahen seine Bücher dank mir einfach zu sauber aus.

Seufzend ließ ich mich auf eine leere Bierkiste sinken, die draußen im Hinterhof stand. Ich drehte mir eine Zigarette und klemmte sie mir zwischen die Lippen, ehe ich mein Handy zückte. Noch immer hatten Schramme und ich nicht herausgefunden, wer hinter Momos Video steckte. Eine weitere Baustelle, die mir den letzten Nerv rauben würde. Unser Freund hatte zwar beteuert, dass es ihm egal wäre. Dass wir es einfach gut sein lassen sollten. Doch das Thema ließ uns einfach keine Ruhe. Es ging uns gegen den Strich, dass Momo zur Zielscheibe wurde, während irgendein Ficker den Blowjob seines Lebens bekommen hatte und sich ins Fäustchen lachte, weil er jemandes Leben unnötig hatte verkomplizieren können.

Ich sah mir das Video wahrscheinlich zum millionsten Mal an, als sich jemand mit über mein Handy beugte. „Wusste gar nicht, dass du auf Schwänze stehst, Husky." Sie hockte sich neben die Kiste, auf der ich saß. „Oder bist du in Mo verknallt?"

„Weder noch", nuschelte ich mit Kippe in der Schnute, ehe ich sie in die Hand nahm. „Ich versuche nur irgendwie herauszufinden, wer das war."

„Lass mich mal sehen." Emma nahm mir das Handy aus der Hand und strich sich eine blonde Strähne hinter das Ohr. Sie arbeitete in dem Imbiss neben der Sportbar. Da sie sich im gleichen Gebäude befanden, hatten beide Läden Zugang zum Hinterhof. Manchmal trafen wir uns in unseren Pausen. Das machte das ganze irgendwie ein bisschen erträglicher.

Ich lehnte mich zu ihr und sah Emma dabei zu, wie sie das Video anhielt und das Bild größer zog. „Ich sage, es ist Nico."

„Nico? Also Nico Nico?" Ich zog an meiner Zigarette.

„Ja. Der Fußball Nico. Du weißt schon. Der hat doch gerade seinen ersten Profivertrag unterschrieben."

Den Profivertrag, den Momo hätte unterschreiben sollen, dachte ich. „Fuck. Das macht Sinn!" Ich riss ihr mein Telefon wieder aus der Hand. „Scheiße, aber wie kommst du drauf? Kannst du Typen jetzt an ihrem Pimmel erkennen oder was?"

Dafür bekam ich eine in die Seite geboxt, ehe sie mir das Bild genauer zeigte. „An der einen Stelle greift der Typ ihm in die Haare, siehst du?" Sie vergrößerte erneut das Bild und zeigte mir den Unterarm, an dessen Handgelenk mehrere Armbänder hingen. „Erstens trägt Nico solche Armbänder. Und zweitens kenne ich keine andere Sau, die eine fucking Waschanleitung auf den Unterarm tätowiert hat." Sie deutete auf das Tattoo, das in dem Moment, in dem sie gestoppt hatte, gut zu erkennen war.

„Digga, wie konnte mir das nicht auffallen?"

„Weil Männer blind sind, meine Güte. Ihr seht die Butter auf Augenhöhe im Kühlschrank nicht."

„Marlon, du kleiner Pisser! Ich bezahl dich nicht fürs Ficken im Hinterhof!", brüllte Adi von drinnen.

Emma nahm mir die Kippe aus der Hand, genehmigte sich den letzten Zug davon und drückte sie aus. „Du solltest wieder rein gehen."

„Alter. Der Grieche bezahlt mich nicht einmal für die Arbeit, verdammte Scheiße." Ich legte meinen Arm um Emma und drückte einen Kuss auf ihre Schläfe. „Danke, du hast was gut bei mir!"

„Jetzt hau schon ab. Sonst hast du später noch ein Pflaster im Gesicht." Emma schob mich schmunzelnd von sich.

Auf dem Weg zurück in die Bar öffnete ich den Gruppenchat.

ich:
nico???

Momo:
fuck.

I cry a lot Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt