Kapitel 22

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Die erste Erkenntnis des Tages traf Han wie ein Schlag in die Magengrube. Sie hatten vergessen, Hannah zu obliviren! Aufgeweckt setzte er sich kerzengerade auf. Was wenn Minho es nun nicht mehr tun würde? Hoffentlich würde er es noch durchziehen! Mit einem Blick auf seinen Wecker erkannte er, dass er eine ganze halbe Stunde zu früh aufgewacht war. Also schlich er sich leise ins Bad. Als er an Minhos Bett vorbeikam, bemerkte er, dass er nicht dort war. Er war verschwunden. Was war passiert? Schnell sah er im Bad nach. Auch nichts. Kalter Schweiß stahl sich auf seine Stirn. War er etwa entführt worden? War er abgehauen? Und wenn nicht, wo war er dann? Jisung stürzte zur Tür heraus, er würde nach ihm suchen. Und er würde ihn finden. Ihm war egal, das es im Schlafanzug herumlief, wenn Minho wirklich entführt worden war, dann musste er sich beeilen. Zuerst lief er in den Speisesaal. Nichts. Im Klassenzimmer. Nichts. So langsam gingen ihm die Ideen aus. Aber hatte Yeji nicht mal erzählt, es gäbe eine Schulbibliothek? Entschlossen sie zu finden, lief er auf Zehenspitzen durch die große Eingangshalle. Wo könnte sie sein. Er lief zum Speisesaal zurück. Dort hinten war doch eine Tür! Schnellen Schrittes, jedoch darauf bedacht leise zu sein, ging er auf die Tür zu. Er legte die Hand auf die Türklinke, und betete im Stillen, das sie aufgehen möge. Er drückte sie herunter... Und die Tür schwang auf. Doch dahinter befand sich nicht die Bibliothek. Er fand sich in einem großen Raum wieder, der vollgestellt war mit Küchengeräten, Spülmaschinen und anderem Zeug, von dem er bei manchem nicht einmal genau wusste was es war. Er war offensichtlich in der Küche gelandet. Hier suchte er auch noch einmal alles ab, doch er fand Minho nicht. Vielleicht war die Bibliothek ja in einem der Zimmer hinter dem Klassenzimmer, dort war er noch nie gewesen. Er lief, nein, er rannte fast dorthin und blicke sich in jedem Raum ordentlich um. Eines war der Chemie-, Physik- und Biologieraum, der nächste erwies sich als kleine Turnhalle. Der danach hatte anscheinend etwas mit Kunst zu tun, und Stück für Stück näherte er sich der letzten Tür. Wieder einmal betend, dass es die Bibliothek sein möge, drückte er die Klinke herunter. Er war richtig. Es war die Bibliothek, und sie war riesig, riesiger als er es sich hätte vorstellen können! An den Wänden standen hohe Regale, die fast bis an die Decke reichten, und an einem lehnte eine Leiter. In der Mitte befand sich ein großer Holztisch, auf dem mehrere Lampen standen. Sie waren nicht eingeschaltet. Wie auch, es war ja noch viel zu früh. Vielleicht durfte er auch noch gar nicht hier sein. Um den Tisch herum lagen ein paar Sitzsäcke und ein paar Sessel standen in den Ecken, die mit Teppich ausgelegt waren. Es wirkte sehr gemütlich hier, und nur zu gern hätte Han sich einfach ein Buch geschnappt und sich in einen der Sessel geschmissen. Doch das ging nicht, er durfte sich nicht ablenken lassen! Minho war ja auch nicht hier, das sah man auf den ersten Blick. Aber wo war er denn noch nicht gewesen? Draußen. Er würde sich zwar bestimmt eine Erkältung einfangen, aber wenn er so Minho retten konnte. er lies sich nicht die Zeit, sich Schuhe anzuziehen, sondern rannte barfuß nach draußen. Suchend schaute er sich um. In der Dunkelheit war es schwer jemanden zu erkennen und mehrere Male wäre er fast hingefallen, doch davon ließ er sich nicht von seinem Vorhaben abringen. Der Parkplatz war leer, blieb noch der Garten. Er hastete zur Veranda, und blickte sich auf dem Weg dorthin besonders gut um. Da spürte er plötzlich eine Hand auf seiner Schulter, und wie aus Reflex schlug er mit der Hand nach demjenigen dem sie gehörte, wobei er nicht mal wusste wen er da nun traf. Ein leises ,,Ugh" gab ihm die Gewissheit, dass er getroffen hatte, und schließlich wandte er sich um. Zu seinen Füßen lag... Minho. Und er hielt sich den Bauch! Wie fest hatte er denn zugeschlagen? Trotz allem überglücklich dass er ihn endlich gefunden hatte, sank er zu ihm auf den Boden, und holte zum ersten Mal wieder richtig Luft, als hätte er sie angehalten. Mit einem ,,Geht es dir gut?" richtete er sich ein wenig im sitzen auf, doch er bekam keine Antwort. Wortlos hob Minho den Blick. Was ging wohl gerade in ihm vor? ,,Wo warst du? Ich habe mir Sorgen gemacht! Du hättest entführt sein können", versuchte Jisung es ein weiteres Mal. Jetzt erwiderte Minho etwas. Es klang wie: ,,Mir geht es gut... ich war joggen. Jeden morgen mache ich das." Er nuschelte zwar ein wenig, doch eine ungeheure Last fiel von seinen Schultern. Minho ging es also gut. Oder auch nicht. Er schien wirklich fest zugeschlagen zu haben, denn Minho verzog abermals das Gesicht. Ohne weitere Worte nahm er ihn in den Arm. Jetzt erst prasselten die Gefühle auf ihn ein, und er fing haltlos an zu weinen. Es war unsinnig, dass wusste er, aber er hatte so viel Angst um Minho gehabt! Mindestens 5 Minuten saßen sie so da. Nach dieser Zeit, trocknete er sich die Tränen und löste sich von ihm. ,,Mach sowas nie wieder", mahnte er ihn, doch die Freude ihn gefunden zu haben, war nicht zu überhören. ,,Aber du hast dir Sorgen um mich gemacht! Wieso denn", neckte er ihn, doch eigentlich sollte es ja offensichtlich sein. ,,Ähm, Entschuldigung? Wir sind vielleicht Zimmernachbarn und zusätzlich noch Freunde? Was denkst du denn?" Minho machte ein leicht resigniertes Gesicht. Warum das denn nun? ,,Ist ja auch egal! Komm, wir gehen zurück ins Zimmer. Wir müssen uns noch umziehen... Also ich jedenfalls", Han sah an sich hinunter. Er trug immer noch seinen Schlafanzug und ihn fröstelte. Minho dagegen trug seine Jacke, ihm war bestimmt nicht kalt. Ein wenig bibbernd wandte er sich von ihm ab, und lief auf den Eingang des Internats zu. Als er gerade gerannt war, hatte er nicht bemerkt, wie lang der Weg eigentlich war. Auf halber Strecke fühlte er plötzlich etwas weiches, warmes um seine Schultern, und er blickte verwirrt nach hinten. Da stand Minho... Ohne Jacke. Er hatte ihm seine Jacke gegeben, wie er mit einem Blick auf seinen Oberkörper feststellte. ,,Aber...", wollte er anfangen zu protestieren, doch Mino legte ihm die Hand auf den Mund. ,,Sag jetzt nichts falsches, sonst überlege ich es mir noch anders", mahnte er ihn, doch am Ende lächelte er, und ging weiter Er ließ Jisung dort stehen, auf der Wiese, ohne Schuhe, dafür aber mit seiner Jacke. ,,Hey", rief er ihm nach. ,,Hey, warte doch mal!" Er lief los, und innerhalb kurzer Zeit hatte er ihn eingeholt. Zusammen gingen sie nun in die Eingangshalle, zwar schweigend, aber es war auch einfach schön den anderen bei sich zu haben. Als sie den Korridor vor ihren Zimmer fast erreicht hatten und gerade die Treppe hinaufstiegen, stand plötzlich Felix vor ihnen. ,,Was...", fragte er überrascht und verwirrt zugleich. Schnell erzählten sie ihm was passiert war, doch er schien ihnen nicht wirklich zu glauben. ,,Okay... ähm, dann bis später", sagte er zum Abschluss, bevor er neben ihnen die Treppe herunterlief. ,,Was wollte er eigentlich hier draußen? Wir haben doch erst... fünf nach sechs! Der Unterricht beginnt doch erst um acht", wunderte sich Minho, zuckte dann aber mit den Schultern und marschierte weiter ins Zimmer, wo sich Han endlich mal andere Sachen anzog, sich die Zähne putzte und nun bereit war in den Unterricht zu gehen. Den ganzen Tag lang wich er Minho nicht von der Seite, Er hatte eigenartiger Weise das Gefühl, er würde einfach verschwinden wenn er mal nicht aufpasste. Sonst verlief der Tag ziemlich reibungslos, Mathe fiel ihm irgendwie leichter als sonst. Auch als er am Abend in sein Kissen sank, merkte er, wie glücklich er immer noch darüber war, Minho gefunden zu haben, ohne das er sich verletzt hatte. Was das morgendliche Joggen doch für ein Drama auslösen konnte!


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Es war kurz vor Unterrichtsbeginn, und alle saßen bereits auf ihren Plätzen, bis auf Minho und Jisung. ,,Die zwei findet man wirklich nur noch zusammen, oder nicht", bemerkte Chan. ,,Ja, sie verstehen sich belendend wie es mir vorkommt", stimmte Felix zu. ,,Heute morgen sind sie beide von draußen reingekommen, Jisung war im Schlafanzug und hatte Minhos Jacke an. Ich glaube nicht, das er danach gefragt hat, so schüchtern wie er ist, Minho hat sie ihm selbst gegeben. Er hat ihm seine Jacke gegeben! Bei mir hat er das noch nie gemacht, selbst nicht als es im Sommer plötzlich ganz kalt wurde und ich nur eine kurze Hose und ein T-Shirt anhatte. warum ist er so nett zu ihm?" ,,Na ist doch klar! Minho mag Jisung, und es sollte nicht zu übersehen sein, dass er ihn auch mag. Sie sind eben verliebt, sind aber zu dumm es zu erkennen, oder zu schüchtern um es zu sagen. Echt, mal, wie kann man das denn bitte übersehen", regte sich Yeji auf. ,,Auch als wir am Sonntag draußen waren. Sie haben nebeneinander geschlafen, und am Ende lag Jisung in seinem Arm. Er hat ihn so von hinten umarmt, verseht ihr was ich meine?" Ein erstauntes Raunen ging durch die Runde. Da kamen die beiden aber auch schon durch die Tür, und alle verstummten. ,,Haben wir irgendwas verpasst", fragte Minho, worauf Chan ein klein wenig zu schnell: ,,Nein, gar nichts, alles gut!" antwortete. Sobald die zwei saßen trat auch schon Professor Orion durch die Tür, und der Unterricht begann.

Academy of Shadows (Minsung)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt