Der Kuss schien unendlich lang zu sein. Minhos Lippen fühlten sich weich an, er hatte die Augen geschlossen und je länger er andauerte, desto mehr war Jisung dazu gewillt, es ihm gleich zutun. Es fühlte sich so richtig an. So schön. Doch bereits einen Augenblick später war er vorbei. Sie lösten sich voneinander, und er konnte immer noch nicht glauben was soeben passiert war. Verwirrt blickte er Minho an. Und dabei sah er ihn auch nicht an. Sein Blick war nach innen gerichtet, sein Umfeld war nicht mehr da. War das gerade wirklich passiert, oder träumte er nur? Nein, niemand träumte so realistisch wie es sich gerade angefühlt hatte. Erst Felix holte ihn wieder ins hier und jetzt zurück, indem er mit seinen Händen vor seinem Gesicht herumfuchtelte. Alle starrten ihn an. Ein wenig verspätet wurde er rot, röter als er es für möglich gehalten hätte, sprang auf, und lief so schnell er konnte über den Rasen in sein Zimmer zurück. Dort angekommen ließ er sich auf das Bett fallen. Weil er es noch immer nicht glauben konnte, kniff er sich einmal ins Beim, nur um sicherzugehen, dass er wirklich nicht träumte. Daraufhin entfuhr ihm ein kleiner Schmerzenslaut. Han träumte nicht, es war alles real, der Kuss, das Spiel, alles. Er befühlte noch einmal seine Lippen. Dort hatte ihn Minho geküsst. Er hatte ihn geküsst, er hatte ihn wahrhaftig geküsst. Aber er hatte ja gemusst. Sie hatten ein Spiel gespielt, er hatte es gemusst. Er hatte es gemusst, nicht gewollt. Gemusst, nicht gewollt. Er schreckte hoch. Jemand hatte die Türklinke heruntergedrückt. ,,Wer ist da?" ,,Ich bin es nur, Minho. Wie geht es dir? Ist alles in Ordnung? Tut mir Leid wenn ich dich erschreckt haben sollte oder irgendwas anderes", kam es von der Tür. ,,Darf ich reinkommen?" ,,Komm einfach rein", gab Jisung ihm die Antwort. Als Minho die Tür hinter sich geschlossen hatte, wandte er sich zu ihm um. Da fiel ihm auf, das etwas nicht stimmte. Er sah aus der falschen Perspektive... Ohh Mist! Er lag auf dem falschen Bett. Er hatte sich nicht auf sein eigenes, sondern auf Minhos Bett geschmissen. Das erklärte auch den wohlriechenden Duft der von dem Kissen aus gang. ,,Na, riecht gut, was?" Selbstgefällig setzte er sich zu ihm auf das Bett. ,,Warum bist du nicht auf deinem Bett, huh? Willst du etwa hier schlafen?" Jetzt machte er ihm ein bisschen Angst. Er schaute ihm so tief in die Augen, und bewegte sich dabei immer weiter auf ihn zu, Stück für Stück. ,,Hey...", fing Han an. ,,Was soll das werden, ja? Ich habe doch nur das Bett verwechselt, mehr nicht!" Minho war nun schon einen ganzen Meter an ihn herangerückt. Schützend hielt er sich die Decke vor den Leib, und mit der anderen Hand versuchte er ihn wegzustoßen. ,,Du machst mir Angst!" Tränen stiegen ihm in die Augen. Er war wirklich verängstigt. Als er wieder zu Minho hoch sah, merkte er, dass sich etwas in seinem Blick verändert hatte. Er starrte ihn nun nicht mehr an, als sei er ein Raubtier und Jisung seine nächste Beute, sein Blick war jetzt weicher, einfühlsamer. Er rückte von ihm ab. Anscheinend wusste er auch nicht, was soeben in ihn gefahren war, aber es schien ihm mehr als peinlich zu sein, es schien ihm leid zu tun. Und das zurecht. Er hatte ihn verängstigt, sehr verängstigt, wie er immer näher gekommen war, den Blick nicht abwendend. ,,Warum", war das einzige was er jetzt noch herausbrachte. Es schwangen mehrere Gefühle in seiner Stimme mit, Zorn, Verwirrung, Angst. ,,Warum hast du das gemacht?" Er bekam keine Antwort von Minho, und nun überwältigte der Zorn die anderen Gefühle. ,,Warum hast du das gemacht?" Er schrie es schon fast, bestimmt konnte man es bis in das Zimmer nebenan hören. Keine Reaktion. Jetzt wusste er gar nichts mehr. Er wandte einfach den Blick ab, an die Decke des Zimmers, in der Hoffnung, dass er das Wasser in seinen Augen nicht sah. Da holte Minho einmal tief Luft. Es hörte sich so an, als sei auch er den Tränen nahe. ,,Es...", setzte er an, sprach aber nicht sofort weiter, da er die Luft wieder ausstieß, zittrig. ,,Es tut mir Leid." Abrupt stand er auf. Han sah ihn wieder an. Die Schultern seines Gegenübers bebten, ganze Wasserfälle schienen aus seinen Augen zu fließen. Er wandte sich ab, lief in schnellen Schritten zur Badezimmertür, stieß sie auf, ging hindurch, knallte sie wieder zu, und im nächsten Augenblick war das Klicken von einem Schlüssel der im Schloss herumgedreht wurde zu vernehmen. Langsam beruhigte er sich wieder. Er hörte auf zu weinen. Er hörte auf, sich die Decke über den Kopf zu halten, er hörte auf, zusammengezogen auf dem Bett zu hocken. Obwohl er das eigentlich hatte tun wollen, brachte er es nicht über sich, aufzustehen. Der Schock saß ihm noch zu fest in den Gliedern, als dass er sie bewegen konnte. ,Einmal tief durchatmen' sagte Jisung sich. ,Einmal tief durchatmen, dann hast du dich wieder gefasst, und kannst aufstehen.' Er versuchte es, jedoch ohne Erfolg. Es hatte keinen Zweck. Also ließ er sich wieder auf das Bett fallen. Seine Augen reibend, nahm er sich sein Handy aus der Hosentasche. Seine Kopfhörer fand er auch, und so machte er sich Musik an, schloss die Augen, und hörte einfach nur zu.Er versuchte, das zu verarbeiten, was gerade geschehen war. Zwischendurch kam Chan noch einmal rein, um zu erfahren wie es ihm ging. Sollte er es ihm anvertrauen? Nein, das ging nicht. So erzählte er ihm, dass ihm schlecht geworden sei, von den Donuts, auch wenn nichts dergleichen der Fall war. Chan nickte, und sagte, er solle Bescheid geben wenn es ihm besser ging, dann verließ er den Raum wieder. Er hatte seine Kopfhörer aus den Ohren genommen, um mit Ihm zu sprechen, und jetzt hörte er etwas. Etwas leises, sehr leises, aber doch so unüberhörbar. Ein Schluchzen. Es kam aus dem Bad. Han streckte seine Glieder, wobei es einmal ziemlich laut knackste, und schwang seine Beine aus dem Bett. Zu seiner Überraschung gehorchte sein Körper ihm wieder. Er stand auf, und ging zur Badezimmertür. Einen Moment lang, spielte er mit dem Gedanken, Minho zu trösten, doch dann ließ er es bleiben. Stattdessen lehnte er sich mit dem Rücken gegen die Tür, und fuhr daran herunter. Nun saß er auf dem Boden, die Beine an der Körper gezogen, als Lehne diente ihm die Tür. Was war das nur für ein Tag gewesen.
***
Minho hörte ein Geräusch von der anderen Seite der Tür. Schnell wischte er sich eine Träne von der Wange, auch wenn direkt eine weitere den Platz der ersten einnahm. Da saß er nun, an der Tür, vor dem Waschbecken im Badezimmer, auf den kalten Fliesen, die Beine an den Körper gezogen. Ein weiterer Schluchzer entfuhr seiner Kehle. Was war nur in ihn gefahren? Den angsterfüllten Blick Jisungs würde er wohl nie wieder vergessen können. Einen Moment, nachdem er dies gedacht hatte, kam wieder ein Geräusch von der anderen Seite der Tür. Jemand lehnte sich dagegen. Er fuhr daran herab, wie er es selbst noch vor einer halben Stunde getan hatte, verzweifelt wie er gewesen war. Da saßen die beiden nun. Rücken an Rücken, und bloß die Tür trennte sie noch. Minho schluchzte weiter, und auch von der anderen Seite war ein Geräusch zu vernehmen, es war unbestimmbar von was es herrührte. Eine Sache hatten er und der auf der anderen Seite jedenfalls gemeinsam: die Frage danach, wieso er das getan hatte.
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Academy of Shadows (Minsung)
Hayran KurguWas? Ein Internat? Genau, auf so eines wird der 14-jährige Han Jisung geschickt. Das Internat heißt Academy of Shadows und liegt ca. 50 Kilometer weg von seinem eigentlichen zu Hause. Es ist für Hochbegabte, so wie Jisung einer ist. In der Academy f...