3 - Blutiges Geheul

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Ein lauter Schrei aus dem Wald unterbrach sämtliche Spekulationen. Blitzschnell wandten alle ihre Köpfe und schauten nach oben, zum Rand des flachen, kleinen Tales, in dem sich das Lager des HaselClans befand. Bei dem Geheul, das nun mehrstimmig erscholl, lief Haseljunges ein eisiger Schauer über das dichte Fell. 

Plötzlich krachten Äste und ein dunkelgrau-weiß gestreifter Kater taumelte aus dem Brombeerwall, der das Tal begrenzte. Sein Fell war blutig und zerfetzt, und seine Mühen, das Gleichgewicht zu halten, vergeblich. Noch während Haferstern "Aalschweif!" schrie, verlor der Kater den Halt und fiel hinunter. Haseljunges hörte, wie Wieselpfote scharf einatmete, als Aalschweif auf dem Boden zusammenbrach.

Als Efeusturm bei ihm angelangte, mühte er sich, auf die Pfoten zu kommen. Haferstern sprang von ihrem Felsen. "Was ist passiert?" fragte sie hastig.

Doch das Geheul und die dunklen, großen Silhouetten am Himmel erklärten alles.

Wölfe.

Ein Gewusel wie in einem Bienenstock brach los. Ginsterkralle, woher auch immer er aufgetaucht war, erklomm den Hochfelsen und schrie: "Alle Schüler zu ihren Mentoren! Bewacht die Kinderstube, die Anführerin, die Heiler und die Ältesten! Unser Lager ist von Wölfen umzingelt!"

Haseljunges wurde von ihrem Stein gerempelt und fiel inmitten von tausenden Pfoten, die hastig hin- und herliefen. Sie sah sich angstvoll nach Wieselpfote, Rosenpfote und Ahornpfote um, doch ihre Freunde waren dem Befehl des zweiten Anführers gefolgt und liefen mit Donnerecho, Rotfuß und Tümpelblick auf die Kinderstube zu, um die trächtige Baugefährtin ihrer Mutter, Goldstreif, zu bewachen.

Plätscherpfote und Wolkenschleier waren nirgens zu sehen, aber Haseljunges sah Frostpfote, der die Nase in den Pelz seines Mentoren drückte, bis Efeusturm ihn wegschob. Als sie Helljunges' Schweifspitze im Heilerbau verschwinden sah, folgte sie ihrer Schwester.

Mittlerweile hatten die Krieger sich gruppiert - Gelbkralle, Grünnase, Ginsterkralle und Amselflug versuchten, mit Orkanpfote, Humpelpfote, Tupfenpfote und Fliederpfote, die Wölfe anzugreifen. Rotfuß und Tümpelblick bewachten mit Ahornpfote und Rosenpfote die Kinderstube, Plätscherpfote und Frostpfote halfen Efeusturm, Aalschweif in den Heilerbau zu bringen. Wolkenschleier, Löwenmähne, Donnerecho und fünf weitere Krieger traten ebenfalls den Wölfen entgegen, die noch immer am Talrand verharrten. Gruselige Stille lag über dem Tal, nachdem das Wolfsgeheul verklungen war.

Dann trat der größte der Wölfe, ein schwarzer Rüde, wie Haseljunges' Blick von dem Heilerbau herausfand, vor. Er jaulte den anderen etwas zu - Haseljunges zählte fünf von den grauen, mageren Feinden - und die Wölfe jagten die Abhänge hinab. Wütendes Katzengeschrei vermischte sich mit schaurigem Wolfsgeheul, als die Krieger auf ihre viel größeren Gegner losgingen.

Verängstigt kroch Haseljunges tiefer in die dunkle Höhle, bis sie beinahe über etwas gestolpert wäre, das sich als Aalschweifs Schweif entpuppte.

"Was machst du hier, kleine Schülerin?" fragte Efeusturm scharf. Die schwarze Kätzin trat aus den Schatten hervor, als wären sie ihr Zuhause. Erschrocken sprang Haseljunges zurück.

"Ich-ich bin keine Schülerin!" entgegnete sie nervös. "Die Zeremonie wurde unterbrochen, weil-"

"Ich weiß." knurrte Efeusturm. Ihre grünen Augen schienen im spärlichem Licht zu leuchten. "Aber du hast hier nichts zu suchen!"

"Aber hier sind meine Geschwister!"  Kühn legte Haseljunges die Ohren an und wies mit dem Schweif auf Helljunges, Frostpfote und Plätscherpfote, die ein wenig verloren herumstanden.

"Helljunges hilft mir, die beiden Schüler haben Aalschweif getragen, sie sind zu jung, um schon mitzukämpfen. Du solltest zu deiner Mutter gehen." Die schwarze Kätzin schnippte mit dem Ohr in Richtung Bauausgang, wo Kampfgeheul ertöhnte.

"Aber ich will auch helfen!" fauchte Haseljunges verzweifelt. Sie hatte Angst, hinauszugehen und vielleicht Wunschrose tot vorfinden. Lieber ertrug sie die Launen von Efeusturm, als sich in die Schlacht zu wagen! Doch Efeusturms Auftrag ließ ihr nichts anderes übrig.

"Dann geh hinaus und halte Ausschau nach verletzten Kriegern. Und jetzt hör auf, mich von meiner Arbeit abzuhalten." Abgelenkt suchte Efeusturm nach den passenden Kräutern für Aalschweif, der sich stöhnend in seinem Mooslager herumwälzte. Helljunges brachte unter den anerkennenden Blicken eine Kapsel mit Mohnsamen. Neidisch schaute Haseljunges zu, dann hüpfte sie zum Eingang und lugte aus dem Felsenloch.

Dank der Überzahl der Katzen sah es gar nicht so schlecht aus, wie sie befürchtet hatte. Je drei Krieger nahmen sich einen Wolf vor, viele von Schülern unterstützt. Rotfuß, Bärenbart und Tümpelblick rangen mit einem struppigem Wolf vor der Kinderstube, einen zweiten vertrieben Goldstreif und Wunschrose, gemeinsam mit den Schülern der beiden Krieger. 

Gelbkralle, Donnerecho und Grünnase bearbeiteten einen weiteren, der Humpelpfote zu Boden geworfen hatte. Orkanpfote verbiss sich in seinem Vorderbein, bis sein hundeartiger Gegner aufjaulte.

 Tupfenpfote kauerte zitternd neben einem totem Wolf, ihre Mutter Grauteich und ihre Schwester Fliederpfote redeten auf sie ein. Amselflug sah sich mit blitzenden Augen um, bereit, sich auf den nächsten Gegner zu sürzen. 

Wolkenschleier und Löwenmähne, die besten Krieger des Clans, kämpften gemeinsam gegen besonders riesigen Wolf, auf dessen Rücken Wolfsmond kauerte. Der Wolf hattesich in Flutregens Hinterbein verbissen, und nun zerkratzte der graue Krieger ihm die Schultern. 

Abendröte schleppte sich mit gesträubtem Fell über das Schlachtfeld, Blut verklebte seine Flanken. Haseljunges rannte auf ihn zu.

"Soll ich dich zu Efeusturm bringen?" fragte sie den jungen Krieger.

"Nein, es geht schon." Abendröte schnurrte rau. Erschöpft stupste er das Junge an. "Solltest du nicht bei Wunschrose sein? Du bist doch eines ihrer Jungen, nicht wahr?"

"Ich helfe Efeusturm!" entgegnete Haseljunges stolz. "Ich soll die verletzten Krieger zu ihr bring-" Ihre Antwort wurde von einem lautem Kreischen unterbrochen. 

Ineinander verkrallt rollten Ginsterkralle und der schwarze Leitwolf aus dem Anführerbau. Der getigerte Kater wand sich geschmeidig wie eine Schlange aus dem Griff seines Gegners und zerkratzte ihm das Bauchfell. Wütend schnappte der Wolf nach Haseljunges' Vater, dessen Fell bereits von Biss- und Kratzspuren übersäht war, sprang auf und drückte ihn mit seinen mächtigen Pranken zu Boden. Ginsterkralle rammte ihm die Pfoten gegen den Brustkorb, sodass der magere Wolf abgelenkt wurde, dann rollte er sich geschickt auf die Pfoten und tauchte unter dem nächsten Hieb weg. Er sprang auf den Rücken des Wolfes, krallte sich mit aller Macht fest und jaulte: "Dieser Wolf hat unserer Anführerin eines ihrer Leben genommen!"


Schneefall - Sehnsucht | Band IWhere stories live. Discover now