28 - Trau, schau, wem!

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Bekümmert kauerte Haselpfote auf ihrem Ast. Es war längst nach Sonnenhoch, die Hitze brannte auf ihrem Pelz. Frostpfote schlief, seine Flanken hoben und senkten sich gleichmäßig. Eine Katzenlänge über ihr hockte Plätscherpfote Ausschau haltend auf einem dünnen Ast, um den Baumstamm strich der Fuchs.

Erst, als die Sonne bereits aus Haselpfotes Blickfeld verschwunden war, schien ihr Gegner keine Lust mehr zu haben - er trottete davon. Plätscherpfote lauschte und verfolgte ihn mit dem Augen, und erst etliche Herzschläge später schaute sie zu ihren Geschwistern herunter.

"Er ist weg! Weckst du Frostpfote? Ich muss mir noch etwas anschauen." Und schon verschwand sie wieder gut getarnt im Blätterdach. Haselpfote stupste ihren Bruder an, und er öffnete blinzelnd die Augen.

"Wo sind wir?" wollte der kleine Kater gähnend wissen.

"Nicht im Lager." murrte Haselpfote griesgrämig. "Leider. Erinnerst du dich daran, was passiert ist, oder muss ich alles wiederholen?"

"Nein, schon gut." Frostpfote erhob sich auf die Pfoten und streckte sich vorsichtig. "Ich bin also kein Fuchsfuttter geworden?"

"Absolut nicht." bestätigte Haselpfote. Sie wollte noch etwas hinzufügen, als ein Schrei die schwülheiße Luft durchschnitt. "Plätscherpfote?" rief sie alarmiert.

Zweige knackten, Laub raschelte, dann fiel die graunbraune Kätzin an ihnen vorbei vom Baum. "Weg hier! Da sind Wespen!" schrie sie im Flug.

Frostpfote sprang ebenfalls hinunter, und Haselpfote kletterte, so schnell sie konnte, vom Baum, zögerte aber kurz vorm Ende. Es war so hoch!

"Hinter dir!" rief Frostpfote aufgeregt. Haselpfote drehte den Kopf und sah einen großen Pulk aus gelbschwarzen Insekten aus der Baumkrone aufsteigen. Ihr wütendes Summen vereinte sich zu einem einzigem Brummton, als sie auf die Katzen zustoben.

Vor Schreck ließ Haselpfote sich fallen und kam unsanft neben ihren Geschwistern auf. Eine erste Wespe erreichte sie und stach Plätscherpfote, und schon rannten sie alle.

Plätscherpfote lief in Richtung Bachquelle, wo sie die Beute vergraben hatten, und auch Frostpfote dachte an diese Stelle. Nur Haselpfote war zu abgelenkt, und ehe sie sich versah, raste sie von wütenden Wespen verfolgt durch den spärlichen, halb toten Moorwald, ein Gebiet, das ihr kein bisschen vertraut war. 

Sie sprintete zwischen den Bäumen hindurch, ihre Pfoten trafen leise auf den weichen Boden, während sie versuchte, den lauten Summen der Wespen zu entkommen, die sie schon seit Stunden verfolgten - zumindest glaubte sie das, denn in der Panik verlor sie jedes Zeitgefühl. Ihr Herz raste vor Angst, und der Schmerz der bereits vorhandenen Stiche pulsierte durch ihren Körper.

Plötzlich spürte sie einen stechenden Schmerz an ihrer Seite, gefolgt von einem brennenden Juckreiz. Haselpfote hielt stolpernd an und sah erschrocken nach unten, um zu sehen, dass eine der Wespen sie erneut gestochen hatte. Tränen traten in ihre waldgrünen Augen, als der Schmerz sich durch ihren Körper ausbreitete.

Sie wusste, dass sie nicht mehr lange durchhalten konnte, und ihre Beine fingen an zu zittern. Selbst ihre Seele schien zu zittern vor lauter Hoffnungslosigkeit. In ihrer Verzweiflung rief sie um Hilfe, doch niemand schien sie zu hören. Panik ergriff Haselpfote, als die Wespen immer näher kamen und sie keine Kraft mehr hatte, weiter zu rennen.

Verzweifelt setzte sie ihre Flucht fort, bis sie schließlich rotgoldenes Abendlicht weit entfernt am Rand des Moors sah. Ohne zu zögern, rannte Haselpfote darauf zu und gelangte schließlich an einen kleinen Lichtung, auf der ein einzelner Kater stand. 

Er hatte ein dunkel getigertes Fell und auffällig blaue Augen, die Licht des Sonnenuntergangs glänzten. Sie funkelten geheimnisvoll, als er ihr ruhig entgegentrat. "Brauchst du Hilfe, kleine Schülerin?" fragte er mit einer unheimlichen Freundlichkeit in seiner Stimme.

Haselpfote war zu erschöpft, um zu antworten, aber sie nickte schwach. Der Kater lächelte wissend und schnippte mit dem Schweif. "Komm mit."

"Und die Wespen?" hechelte Haselpfote, die ihm hinterhertappte.

"Die sind längst weg." Der Kater zuckte belustigt mit den Schnurrhaaren. "Du musst wirklich große Angst haben, dass du dir einbildest, sie würden dich so weit verfolgen. Nein, hier entlang." Er führte sie an einer alten Zweibeinerbrücke, die über den Bach reichte, vorbei zu einer kleinen Steinhöhle. "Warte hier."

Der dunkel getigerte Kater verschwand in der Höhle. Haselpfote stemmte die Beine gegen das Moos und versuchte, ihr rasendes Herz zu beruhigen. Sie wollte sich gerade neugierig umsehen, als der Kater wieder heraustrat und ihr eine hellrot leuchtende Beere hinrollte.

 "Iss das, es wird dir gegen den Juckreiz und die Schmerzen helfen", sagte er und Haselpfote tat, was er sagte, ohne über die Konsequenzen nachzudenken. Der Juckreiz und die Schmerzen waren einfach überwältigend, und sie spürte bereits, dass die Stiche anschwollen.

Nachdem sie die Beeren gegessen hatte, fühlte sich Haselpfote zunächst ganz normal. Doch schon bald begann ihr Bauch schmerzhaft zu krampfen und sie wurde zunehmend schwach. Panisch versuchte sie, zur Höhle des Einzelläufers zu gelangen, aber ihr Körper konnte nicht mehr mithalten. Schwer atmend und mit zitternden Beinen brach Haselpfote schließlich zusammen.

Sie spürte, wie sich ein noch schrecklicherer Schmerz als der der Wespenstiche in ihrem Inneren ausbreitete, und schrie vor Qual auf, als sie erkannte, dass der Einzelläufer sie betrogen hatte. Er lachte höhnisch und wandte sich ab, "Ich wünsche dir eine qualvolle Reise in die Finsternis, kleine Schülerin", spottete er und verschwand wieder in der Höhle.

Haselpfote krümmte sich unter den qualvollen Schmerzen, die nun jeden Teil ihres Körpers zu durchdringen schienen. Panik ergriff sie, als sie spürte, wie ihr Atem schwerer wurde und ihr Kopf sich zu drehen begann. Sie wusste, dass sie Hilfe brauchte, doch der Einzelläufer hatte sie alleine und hilflos zurückgelassen.

Mit letzter Kraft schleppte sich Haselpfote auf die Brücke, in der Hoffnung, dass jemand in der Nähe sein würde, um ihr zu helfen. Doch die Welt um sie herum begann zu verschwimmen, ihre Sinne schwanden und sie fiel ohnmächtig zu Boden.

Schneefall - Sehnsucht | Band IWhere stories live. Discover now