25 - Auf der Lauer

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Haselpfote flog über den Baumstamm und landete über der Maus. Das weiße Tier ließ sein Futter fallen und flitzte los, Haselpfote hinterher. Sie jagte das Tier über die Lichtung und bekam es schließlich unter die Krallen, als Wolkenschleier den Fluchtweg versperrte. Die kleine Kätzin grub die Zähne ungeschickt in den Körper des Tieres und trug es zu dem Krieger.

Als ihre Beute plötzlich zappelte, hätte sie es beinahe losgelassen. Wolkenschleier zuckte verwundert mit den Schnurrhaaren.

"Du musst sie töten, Haselpfote. Wir essen unsere Beute nicht lebend!" erinnerte er sie streng.

"Ja, Wolkenschleier." murmelte Haselpfote. Sie legte das Tier vorsichtig auf das Moos und biss ihm dann in den Nacken. Die Maus erschlaffte, Haselpfote schmeckte warmes Blut. Vorsichtig hob sie den kleinen Körper wieder hoch und folgte dem weißem Krieger.

Sie trafen Plätscherpfote und Frostpfote am Moor wieder, Haselpfote erkannt ihren Geruch. Frostpfote trug einen Buchfink, Plätscherpfote eine Wühlmaus.

"Vergrabt eure Beute hier und merkt euch den Geruch. Wir müssen viel fangen, um den Clan zu ernähren." befahl Wolkenschleier. Haselpfote schaute, was ihre Geschwister machten, und scharrte dann ein wenig Erde über ihre Beute. Von dem Geruch der Maus hate sie Hunger bekommen, war gleichzeitig aber so aufgeregt, dass sie eh nichts hätte essen können.

"Haselpfote, du jagst jetzt mit Frostpfote. Plätscherpfote, dir zeige ich, wie man ein Eichhörnchen fängt. Frostpfote, du kannst deiner Schwester das Vogelfangen zeigen. Denkt daran, ihr müsst nichts perfekt können. Wir fangen ja gerade erst an. Später werdet ihr wieder einzeln trainiert, das hier ist eine Ausnahme."

"Mach ich!" Stolz hüpfte der weiße Kater zu Haselpfote. "Komm mit! Wir suchen einen geeigneten Platz."

Haselpfote schlich hinter ihrem Bruder her. Sie entfernten sich mehrere Baumlängen vom Treffpunkt, bis der Schüler endlich anhielt. "Hierher kommen Vögel zum Fressen." sagte er und wies auf einen Platz ohne Bäume, eine Art große Lichtung oder kleine Wiese mit Beerensträuchern und leicht sumpfigem Boden. Ein Regenwurm glitt durch das spärliche Gras vor Haselpfotes Pfoten.

Die beiden jungen Katzen kauerten sich in ein Farndickicht, in dessen Richtung der Wind wehte, und lauschten. Frostpfote erklärte seiner Schwester leise, was sie tun musste:  Auf den Vogel springen und ihn am Wegfliegen hindern. Dann natürlich der Todesbiss.

Es dauerte eine ganze Weile, bis ein erster Vogel sich auf die Lichtung wagte. Inzwischen war es deutlich heller geworden, die dunkle Nacht wich der Morgendämmerung. Der Wald schien lauter zu werden, das vereinzelte Vogelgezwitscher mehrte sich. Die Tiere erwachten - und die Beutetiere auch.

Eine Amsel zog eine Katzenlänge vor den Schülern an einem Regenwurm. Haselpfote merkte, wie sich Frostpfote neben ihr anspannte und dann vom Boden abdrückte.

Er schoss im hohen Bogen aus dem Farn. Überrascht flatterte der Vogel auf, aber da war der kleine weiße Kater schon auf seinen Flügeln gelandet. Frostpfote packte den Hals der Amsel und tötete sie, dann schleppte er seine Beute schnell zu Haselpfote. "Ich vergrabe sie ein Stück weiter weg, damit die Tiere nicht misstrauisch werden." erklärte er im Vorbeigehen, dann war Haselpfote allein.

Haselpfote bettete den Kopf auf den Pfoten und beobachtete die Lichtung. Der Himmel wurde heller, die Sonne schien aufzugehen, aber im Wald konnte die Schülerin nichts davon sehen. Bleierne Langweile vermischte sich mit ermüdender Wärme, und schon fielen ihr die Augen zu.

Sie stand auf einer Lichtung,auf einer sonnengefluteten, hellgrünen Lichtung. Birken säumten die Süd- und Westseite, im Osten konnte sie das Tallager sehen. Katzen liefen geschäftig umher, aber sie war allein.

Die kleine Kätzin lauschte. Sie hörte Wasser plätschern, klar und hell. Vögel zwitscherten, aber nichts regte ihre Kampf- und Jagdinstinkte.

Frieden. Hier ist alles so friedlich...

Bunte Blumen blühten um sie herum, hoch und niedrig, gelb, lila, weiß, blau, kunterbunt in allen Tönen. Sie dufteten würzig und wohltuend. Eine Stelle, beschattet von einer alten Linde, war dichter bewachsen. Als Haselpfote genauer hinsah, bemerkte sie, dass die Pflanzen dort anders waren.

Neugierig schritt sie durch die hohen Kräuter, bis sie erkennen konnte, was dahinter lag. Der Klang des Wassers wurde lauter. Vor ihr lag ein kleiner Teich, in dem sich der Wald und der blaue Himmel spiegelten. Das Wasser reflektierte die Sonne blendend hell, und dort, wo es über Steine hinweg in einen weiteren, winzigen Teich lief, brach sich das Licht im feinem Sprühnebel.

Der zweite Teich war dicht bewachsen. Kleine Sträucher mit nadeligem, dunklem Laub sprossen danneben, üppig bedeckt von Beeren in einer verlockenden, hellroten Farbe.

"Haselpfote, bring mir bitte ein paar Eibenbeeren." Die Stimme kam aus dem Nichts, Haselpfote konnte weit und breit keine Katze sehen. Trotzdem gehorchte sie instinktiv, lief zu den Sträuchern und knickte vorsichtig einen kurzen Zweig ab, an dem drei der Beeren hingen.

Suchend sah sie sich um - und dann bemerkte sie etwas. Im Schatten der Linde erahnte sie die Umrisse einer pechschwarzen Katze, die dort kauerte. Ihre Augen leuchteten, aber Haselpfote vergaß sofort, in welcher Farbe, als die Kätzin zu sprechen begann.

"Dein Tod leuchtet hellrot, und es gibt nur einen Weg, ihn aufzuhalten."

 Und dann bebte die Welt.


Schneefall - Sehnsucht | Band IWhere stories live. Discover now