11 - Bei Nacht sind alle Katzen grau

24 7 8
                                    

Haseljunges stand auf der kleinen Anhöhe, wo sich die Kinderstube befand, und betrachtete das Lager. Die Krieger verschwanden im Kriegerbau, bei einigen konnte man selbst aus Entfernung sehen, dass es einen Kampf gegeben hatte. Eine kleine Gruppe für die Nachtpatroullie scharte sich zusammen - Wolkenschleiers leuchtend weißer Pelz oder Rotfuß' rotes Fell war nicht darunter, aber nachts sind alle Katzen eins - grau.

Frostpfote und Plätscherpfote verabschiedeten sich müde. "Bis morgen! Vielleicht können wir dann zusammen im Schülerbau schlafen?" schnurrte ihre Schwester, und Haseljunges fiel ein, dass ihre beiden Geschwister ja gar nicht mehr bei ihnen die Nacht verbrachten. 

Helljunges und Wunschrose trotteten bereits in die Kinderstube, während Haseljunges allein in der Dämmerung zurückblieb. Die kleine Kätzin fragte sich, wie es für eine Mutter sein mochte, ihre Kinder Schüler werden zu sehen. War Wunschrose mit Solz erfüllt? Oder traurig? Sie konnte es sich kaum vorstellen, so weit schien die Welt ihrer Mutter von ihrer eigenen, kleinen, entfernt.

Morgen werde ich Schülerin - von Efeusturm. Ihre Miene hellte sich auf und sie begann, leise schnurrend vor sich hin zu träumen. Nein, nicht aus Trotz wollte sie Heilerschülerin werden, sondern, um ihrem Clan zu helfen. Sie wollte Heldentaten vollbringen, ohne verletzt zu werden. Wollte Katzen glücklich machen wie Rotfuß, als bei Goldstreifs Jungen alles gut ging.

Sie wollte mit der unnahbaren Anführerin reden, die so oft aussah, als würde sie ihrem Clan nicht trauen, als würde sie Geheimnisse mit sich herumtragen, die zu schwer für eine Katze waren. Sie wollte der klugen Efeusturm eine würdige Nachfolgerin sein. Wollte den Mondstein sehen. Den SternenClan! Sie wollte Prophezeiungen hören, die sonst nur der Anführer und der Heiler erfuhren. Sie wollte sie entschlüsseln. Den Clan schützen und bewahren. Ihm nützlich sein, wollte zeigen, dass es eben auch ohne Kämpfe ging. 

Sie wollte Katzen, die nicht aus dem Clan stammten, helfen, ohne dafür bestraft zu werden. Sie wollte keine Jungen, keinen Gefährten, niemanden bevorzugen - obwohl Wieselpfote, Ahornpfote und Rosenpfote natürlich trotzdem ihre Freunde sein würden.  Sie wollte den SternenClan ehren, ihm dienen aus ganzem Herzen. Sie wollte allen vertrauen und zeigen, dass man auch ihr vertrauen konnte. Sie wollte...

Allein sein? Heilersein bedeutet Einsamkeit. Oh, wie sie sich schon jetzt zurücksehnte zu der Zeit, als sie noch als Junge glücklich und zufrieden Moosball gespielt hatten! Als sie eifrig Geschichten von Kleintatze lauschten, vier glückliche Junge - entweder sie mit ihren Geschwistern, oder, noch früher, als Wieselpfote, Rosenpfote und Ahornpfote noch ihre Baugefährten gewesen waren.

Und schon damals hatten sie geträumt - hatten große Träume für die Zukunft gehabt. Und nicht alle hatten sich erfüllt, manchmal hielt das Schicksal - oder der SternenClan - eine andere Zukunft bereit, als sie sich erträumten. Ist es der Lauf der Zeit, dass alle Jungen auf die Schülerzeremonie zufiebern? Dass jedes Junge vor seiner Ernennung heimlich aus dem Lager geht? Dass Schüler es nicht erwarten können, Krieger zu werden?

Sie erinnerte sich, wie offen viele Schüler waren, genau wie ihre Mentoren. Nur die Heiler nicht, diese blieben geheimnisvoll und still. Und das hatte sie schon von klein auf beeindruckt. Heiler, die selbst zu Langweilern wie Flutregen, Mäusehirnen wie Bärenbart und Fieslingen wie Gelbkralle und Grünnase tolerant waren. Die mit Bedacht Leben retteten, statt ohne zu zögern sich selbt zu sinnlos opfern wie Krieger in einer der Schlachten, die so häufig waren.

Die dunklen Schatten der Nacht hüllten sie ein. Hell leuchtete ein schmaler Sichelmond am Himmel, der Krallenmond. Die nächste Große Versammlung lag noch in weiter Ferne - Ob ich dann mitkommen kann?

Bei einem Heilertreffen würde sie die Heiler und ihre Schüler aus anderen Clans kennen lernen - und eine Freundschaft mit ihnen wäre nicht verpöhnt, im Gegenteil. Oh, sie würde helfen und retten, egal, wen!

Das Lager lag in tiefen Schatten, als Haseljunges sich schließlich erhob und die Beine streckte. Sie legte den Kopf in den Nacken und betrachtete den unglaublich weiten Sternenhimmel, der klar und so weit entfernt über ihr lag. Millionen und Abermillionen SternenClan-Katzen, die im Silbervlies auf Jagd gingen.

Wie viele Katzen wurden dafür wohl getötet, ob von Katze oder anderen Feinden? Wie viel Blut wurde vergossen, damit sich der Himmel mit so vielen fernen, silbernen Pünktchen füllen konnte? Sie wusste natürlich, dass Katzen nicht immer durch die Zähne und Krallen ihrer Artgenossen starben, aber es kam so häufig vor, dass sie sich unwillkürlich fragte, ob die Katzen nicht ohne Clan besser dran waren. Immerhin herrschte derzeitig Frieden, aber er war angespannt.

Gähnend scheuchte sie den Gedanken beiseite und tappte auf leisen Pfoten in die Kinderstube zum Nest, in dem Wunschrose und Helljunges schliefen. Wenn Plätscherpfote und Frostpfote nicht gefehlt hätten, wäre alles wie immer gewesen.

Wie immer? Nichts ist für die Ewigkeit! Aber diese Nacht...Nur eine Nacht nochmal ein Junges sein...Schnurrend kuschelte Haseljunges sich an das warme Fell ihrer Mutter und an Helljunges und vergaß für eine Weile endlich ihre vielen quälenden Gedanken und Sehnüchte, um in einen tiefen, traumvollen Schlaf überzugleiten.

Schneefall - Sehnsucht | Band IWhere stories live. Discover now