29 - Die Dächer der Welt stürzen ein

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Als Haselpfote die Augen öffnete, wusste sie, dass kein Traum sein konnte. Sie befand sich im Lager, der Himmel war nachtschwarz und sie allein. Rollender Donner ließ die Erde erbeben, kein Sternen- oder Mondlicht konnte die Wolkendecke durchdringen, die sich wie ein Todesomen über das Lager gelegt hatte. Grelle Blitze zuckten über den Himmel, der Wind peitschte in den Bäumen. Schwerer, heftiger Regen trommelte auf die Blätter und das Gras und bildete große, schlammige Pfützen.

Ein besonders heller Blitz zerfetzte die Wolkendecke, und zeitgleich mit dem lautem Donner einen Herzschlag später zerriss ein lautes Krachen die Nacht. Grauschwarze Rauchschwaden zogen über das Lager.

Auf dem hohen Felsen über dem Anführerbau stand Haferstern. Die Blitze erleuchteten ihr helles, regennasses Fell, doch die Anführerin machte keine Anstalten, sich wegzubewegen. Wie gelähmt vor Angst starrte sie auf etwas hinter Haselpfotes Sichtfeld.

Mühsam drehte sich Haselpfote um, und als ob sie einen Schalter umgelegt hätte, hörte sie plötzlich die aufgeregten Stimmen ihrer Clangefährten.

"Nein! Schnell, hol Efeusturm! Wir können nicht zulassen, dass..." Der Rest der fremden Stimme ging in einem lautem Donner unter.

Haselpfote lief zu der Stelle, an der sich die Katzen drängten. Sie spürte nicht den eisigen Nachtwind und fühlte keinen Boden unter ihren Pfoten, ihre gesamte verängstigte Aufmerksamkeit galt der Stelle, wo es passiert war.

Sie strengte die Augen an, doch dann wurde sie abgelenkt. Ein kühlsilberner, sternenbesetzter Körper erschien neben ihr, die durchscheinende, wunderschöne Silhouette einer Kätzin. sie hatte eine ungewöhnliche Fellfärbung: goldenes Fell, das in Rottönen schimmerte, unterbrochen von dunkel getigerten, großen Flecken auf den Flanken.

Plötzlich hörte Haselpfote eine leise, sanfte Stimme in ihrem Kopf. Sie schüttelte den Kopf, um den Gedanken loszuwerden, doch die Stimme wurde lauter und drängender. "Komm mit mir, Haselpfote. Hier gibt es nichts mehr für dich. Es ist Zeit zu gehen."

"Zeit...Zu gehen?" Verstört hielt Haselpfote inne. "Bist du eine SternenClan-Katze?"

"Das bin ich." Haselpfote fröstelte, so kalt war die Erscheinung der Katze. "Komm mit, dann wirst du im SternenClan all deine Freunde wiedersehen."

Wie in Trance folgte Haselpfote der Kätzin, gebannt von ihrer Schönheit und der Weißheit in ihren Augen.

Dann blieb sie wie vom Blitz getroffen stehen.

...dann kannst du im Sternenclan all deine Freunde wiedersehen.

"Meine Freunde sind nicht im SternenClan!" rief Haselpfote erschrocken. "Sie sind nicht tot!"

"Aber du bist es." erwiderte die Kätzin sanft.

"Ich will nicht sterben!" kreischte die gelbbraune Schülerin, und als die SternenClan-Katze versuchte, sie mitzuziehen, bohrte sie die Krallen in die Erde. "Ich gehe nicht mit! Niemals! Der Clan braucht mich, meine Freunde brauchen mich. Ich will noch nicht sterben!"

Als die Kätzin keine Anstalten mehr machte, sie mitzunehmen, wandte sie sich entschlossen um und lief auf die anderen Clankatzen zu. Im flackerndem Licht mehrerer Blitze erkannte sie die Umrisse eines verkohlten, gespaltenen Baumes. Der Blitz hatte einen Baum getroffen und ihn zerschmettert. Aber warum waren die Katzen so aufgeregt? Hatten sie so etwas denn noch nie erlebt?

Und dann sah sie es.

Und verstand.

Der Großteil des gefallenen Baumes war auf den hohlen Stamm gekippt, in dem die Ältesten ihren Bau hatten. Er hatte den Bau völlig zerstört.

Das Unwetter tobe so heftig wie nie zuvor. Der Wind riss an den Bäumen, Hagel prasselte auf die Erde nieder, und die Blitze zuckten so nah über Haselpfotes Kopf, dass sie einen stechenden Geruch in der Luft spürte. Doch all das hielt sie nicht auf. Sie rannte, so schnell sie konnte, durch das tobende Unwetter, denn sie wusste, dass etwas auf dem Spiel stand.

Die Krieger standen mit gesenkten Köpfen über dem Körper einer Katze. Haselpfote brauchte einen Moment, dann erkannte sie, wen der Baum getötet haben musste.

Glanzrose.

Ihre toten, Augenlosen Augenhöhlen starrten in die Ferne, ihr Körper lag ruhig da, das dichte goldbraune Fell sauber und ordentlich. Die Tropfen des erneut einsetztenden Regens perlten wie Tränen davon ab. Neben ihr standen Wieselpfote und Rosenpfote, benommen vor Trauer und Schmerz.

Aber wo war Ahornpfote?

Haselpfote wollte zu ihren Freunden laufen, als sie plötzlich ein schmerzhafter Krampf überfiel. Sie sackte zusammen, hatte plötzlich nicht einmal mehr Kraft dafür, zu atmen. Alles schien auf sie zuzustürzen, Bäume, die teilnahmeslosen Gesichter ihrer Clangefährten.

Und die Welt brach zusammen.



Schneefall - Sehnsucht | Band IWhere stories live. Discover now