10 - Und die Schatten werden länger

38 6 24
                                    

"Lasst das!" Haseljunges' Fell sträubte sich. Sie presste die Augenlider zusammen und schüttelte sich unwohl, um die Bilder, die bei den Worten ihrer Geschwister in ihr aufgekeimt waren, zu vertreiben.

Plätscherpfote hob belustigt schnurrend den Kopf, sodass ihre gelben Augen golden strahlten. Frostpfote lachte. "Alles gut, Kleine. Hier im Lager sind wir sicher. Bald bist du außerdem Schülerin und dann kannst du dich gegen die fiesen Wölfe verteidigen!"

"Apropos Schüler!" fiel Haseljunges ein, die sich nun wieder entspannt hingesetzt hatte. "Wie geht es Aalschweif? Habt ihr etwas aus ihm herausbekommen?"

Helljunges spitzte die Ohren. "Hat ihm denn jemand vorgeworfen, dass er die Wölfe hierher gelockt hat?"

"Gut, dass du fragst!" Frostpfote schien vor lauter Mitteilungsdrang sogar zu vergessen zu haben, dass er eben noch sauer auf Helljunges gewesen war. "Er ist den Wölfen auf dem Rückweg zum Lager über den Weg gelaufen, und weil sie ihn verletzt hatten, konnte er nichts anderes tun, als hierherzulaufen, weil es keinen sicheren Rückzugsort gab. Wir sind ja mit ihnen fertig  geworden." prahlte er, als ob er alle Wölfe allein besiegt hätte.

"Aber sie haben Schaden angerichtet!" warf Haseljunges bekümmert ein. "Vielleicht wusstet ihr das nicht, aber einer hat Glanzrose die Augen ausgekratzt." Sie schauderte.

Plätscherpfote und Frostpfote starrten sie aus weit aufgerissenen Augen an, nur Helljunges schien bereits Bescheid zu wissen.

Die beiden Schüler bestürmten ihre Geschwister mit fragen, aber noch ehe Haseljunges auf Frospfotes "Warst du dabei?" und Plätscherpfote "Wie geht es Wieselpfote und Rosenpfote damit?" antworten konnte, trat Rotfuß aus dem Bau, im Maul eine Maus, warum auch immer.

Der orangerote Kater, das Fell in flammenden Abenschimmer getaucht, wirkte so glücklich, dass seine Augen außer sich vor Freude zu strahlen schienen. Als er die jungen Katzen sah, legte er die Beute ab und musterte er sie neugierig. "Was macht ihr denn hier?"

"Reden! Über unsere Heldentaten in der Schlacht. Ach ja, was hast du eigentlich-" plapperte Frostpfote übereifrig, aber da war schon Wunschrose neben ihn getreten.

"Wie geht es Goldstreif?" fragte sie ernst. Ein Schatten huschte über Rotfuß' Miene. "Sie hat drei Junge, es geht ihnen gut, aber sie ist erschöpft. Efeusturm sagt, das ist normal, aber irgendwie..." Sein Blick verlor sich irgendwo zwischen Wunschroses Ohr und dem Wald in der Ferne. "Sie könnte Hilfe gebrauchen."

Wunschrose nickte. "Drei Junge sind wirklich viel. Ich werde später mit ihr und Efeusturm sprechen."

Drei Junge sind viel? Aber sie hat doch selbst vier, und ihr hat niemand geholfen. Nennt man das Freundschaft? Anderen helfen, obwohl einem selbst nicht geholfen wurde? fragte sich Haseljunges, kannte die Antwort allerdings selbst nicht. Verstohlen beäugte sie Rotfuß' Maus, die er offenbar komplett vergessen hatte. "Darf ich die haben?"

Rotfuß warf ihr einen halb abwesenden Blick zu. "Gerne, ich wollte sowieso etwas größeres für Goldstreif und mich holen." Er nickte den Katzen zu, dann ging er zum Frischbeutehaufen und holte zwei Eichhörnchen, die er zurück zur Kinderstube trug.

Kaum war der rote Schweif des jungen Kriegers im Bau verschwunden, verabschiedete sich auch Ginsterkralle. "Ich will noch mit Haferstern sprechen - auch wegen der Zeremonie von Helljunges und Haseljunges." erklärte er sein Verhalten, bevor er sich abwandte und über die Lichtung lief. Wunschrose seufzte, Haseljunges wurde schon wieder abgelenkt. Da ihr Vater zweiter Anführer hatte, bekam sie ihn selten näher zu Gesicht als auf seinem Platz auf dem Großfelsen, wenn er zum Clan sprach, und so kümmerte sie seine Abwesenheit nicht weiter. Stattdessen verschlang sie hungrig die Maus und schaute geblendet zu, wie die Sonne am Horizont versank.

Ich muss Kleintatze oder Glanzrose mal fragen, wo die Sonne hingeht, wenn es dunkel wird. Wo rollt die goldene, strahlende Kätzin ihren Körper zusammen, um zu schlafen, wenn die Nacht hereinbricht? Der Krallenmond steht schon lange am Himmel, als würde er eine heißgeliebte, doch unerreichbare Gefährtin bestaunen, geblendet und verblassend in ihrem Glanz...

Frostpfote versuchte, unauffällig zu gähnen, während Plätscherpfote aus ihrer Müdigkeit keinen Hehl machte. Haseljunges - die junge Kätzin fühlte sich noch gar nicht müde - sah sich wehmütig um. Lange Schatten breiteten sich im Lager aus, die Sonne war schon fast verschwunden. Die farbigen Pelze der umherlaufenden Krieger wurden zu grauen Silhouetten, Dunkelheit senkte sich über das Lager. 

Also war auch dieser aufregende Tag vorbei.

Schneefall - Sehnsucht | Band IWhere stories live. Discover now