22 - Nachtpatroullie

23 6 4
                                    

Haselpfote befürchtete schon, ihr Mentor habe sie ebenso hereingelegt wie Kleintatze, da trat Löwenmähne aus dem Zweiggewirr der Zypresse hervor, leicht geduckt, als wäre seine Größe ein Problem im Bau. Ausdem Bau unter der zweiten Zypresse folgten Rotfuß, dessen Ohren abgelenkt zuckten, Wolkenschleier, dessen wacher Blick vollkommen bei der Sache war, und Aaschweif, der etwas nervös aussah. Zuletzt schlich Tümpelblick zu ihnen, in der Dunkelheit kaum mehr als ein verwischter, braungrauer Schatten.

Haselpfote musterte die Krieger kurz genauer. Alle drei schienen nicht älter als zwanzig, vielleicht fünfundzwanzig Monde zu sein, was sie überraschte. Vor allem Wolkenschleier wirkte oft viel erfahrener, auch Haferstern schien ihm voll und ganz zu vertrauen, hatte er doch bereits seinen zweiten Schüler.

Die Schülermeute folgte den fünf Kriegern über die Lichtung, doch bereits neben dem Frischbeutehaufen blieb Löwenmähne wieder stehen. Haselpfote erkannte mühsam die Umrisse weniger Beutetiere, die noch übrig geblieben waren.

"Wer noch Hunger hat, sollte sich jetzt etwas mitnehmen. Wir werden die ganze Nacht und den folgenden Tag unterwegs sein." kündigte Löwenmähne an.

Haselpfote wartete, bis Wieselpfote, Ahornpfote und Rosenpfote vorgegangen waren, dann holte auch sie sich einen kleinen Spatz. Tupfenpfote, Fliederpfote und Orkanpfote hingegen sahen nicht hungrig aus, wahrscheinlich hatten sie nach einer Jagd gegessen. Nur Humpelpfote, der ja nicht viel am Training teilnehmen konnte, trat vor und holte sich eine Wühlmaus.

Haselpfotes Geschwister traten unruhig von einer Pfote auf die andere, bis Plätscherpfote das Wort ergriff. "Können wir nicht auf der Jagd essen?" fragte sie zögernd.

Orkanpfote fauchte streitslustig, aber Wolkenschleier brachte den sturmfarbenen Kater mit einem Schwanzschnippen zur Ruhe. "Auf der Jagd dürfen wir nicht essen, bis der Clan versorgt ist." erklärte er geduldig.

"Ah." machte Plätscherpfote, und ihr schneeweißer Bruder hüpfte zum Beutehaufen, um ein Eichhörnchen für sich und seine Schwester zu holen.

So zogen die Katzen den Abhang hinauf zum Waldrand. Wer Beute hatte, verspeiste sie, also kauerte Haferpfote kauend neben Frostpfote und Plätscherpfote. Sie verscharrte die Federn ihres Spatzes sorgfältig, als sie sah, dass Ahornpfote es bei seinem Fink genauso machte.

Hier oben im Wald war das Mondlicht heller, seit der Mond sich über die Bäume gewagt hatte. Haselpfotes Augen gewöhnten sich gut und schnell an das fahle, silbrige Licht, und Löwenmähne riet ihr, die Nase zu benutzen, um die Krieger und Mitschüler auseinander zu halten, womit Haselpfote ohne ihre Augen aber trotzdem Probleme gehabt hätte.

Als alle fertig waren, erhob Löwenmähne sich auf die Pfoten, sodass er alle anderen überragte. Dann begann er, die Gruppen einzuteilen, und Haselpfote fragte sich kurz, ob der goldfarbene Kater nicht ein besserer zweiter Anführer wäre als ihr Vater. Sie beschloss, Löwenmähne später zu fragen, denn nun ging es um die Schüler.

"Wir werden dieses Mal mit Kampftraining beginnen. Rotfuß, Wolkenschleier, ihr trainiert mit mir die Schüler, außer  Rosenpfote und Humpelpfote. Tümpelblick, du nimmst die beiden und Aalschweif mit, ihr schaut nach Jagdplätzen. So können später alle in Gruppen jagen, ohne sich in die Quere zu kommen."

"Alles klar." Tümpelblick trat zu Aalschweif, der gedankenverloren an einer Wunde leckte. Humpelpfote trottete zu den beiden Kriegern, gefolgt von Rosenpfote. Haselpfotes Freundin mied ihren Blick, aber sie schien froh zu sein, nicht kämpfen zu müssen.

Haselpfote dachte wieder an ihrem Streit. Als die Jäger auf leisen Pfoten im Gebüsch verschwanden, hob Rotfuß den Kopf. "Gehen wir zur Schlucht?" wollte er wissen.

Welche Schlucht? fragte sich Haselpfote. Löwenmähne schien zuzustimmen, aber Haselpfote sah seine Reaktion nicht, sie war damit beschäftigt, Wieselpfote und Ahornpfote auszuweichen, als die Katzen loszogen. Die beiden Halbbrüder liefen leise flüsternd nebeneinander her, und obwohl Haselpfote zu stolz war, um zuerst um Verzeihung zu bitten, lauschte sie dennoch neugierig. Doch sie wurde enttäuscht, denn die Brise, die den ganzen Tag geweht hatte, frischte kräftig auf, bis die Bäume laut raschelten und der Wind pfiff und heulte.

Haselpfote lief unwillkürlich ein bisschen schneller, bis sie in der selben Höhe mit ihren Geschwistern war. Doch Frostpfote und Plätscherpfote hatten nur Augen und Ohren für sich und ihre bisherige Ausbildung, und so fühlte sich die kleine Kätzin ein wenig einsam.

Der dunkle Wald machte ihr keine Angst mehr. Um sie herum wogte der Wind, vermischte sich mit dem Gemurmel der Katzen. Silbernes Mondlicht lies ihre schemenhaften Schatten über den überwucherten Boden tanzen, unterbrochen von den Umrissen  der sich biegenden Äste.

Haselpfote lief gedankenverloren vor sich hin, als Fliederpfote sich zurückfallen ließ, bis sie neben der Kätzin hertrabte. "Du bist Ginsterkralles Tochter, nicht wahr?" wollte die hübsche Schülerin neugierig wissen.

"Ja, bin ich. Warum?" Haselpfotes Interesse war geweckt. Bisher hatte sich keine Katze dafür interessiert, dass sie die Tochter ihres Vaters war.

"Wollen wir nachher beim Training gegeneinander kämpfen?" fragte Fliederpfote freundlich. "Löwenmähne wird uns Partner auswählen lassen." schob sie leicht ungeduldig hinterher, als Haselpfote sie verwirrt ansah. Dann hellte sich das Gesicht der Kätzin auf.

"Klar, können wir machen." maunzte sie fröhlich, auch ein wenig stolz. Die ältere, schönere Schülerin wollte sie als Trainingspartnerin!

Die beiden Kätzinnen liefen schweigend am Ende der Gruppe weiter. Alle paar Meter lugte Orkanpfote ins Gebüsch und rief: "Fuchs! Da ist ein Fuchs!" Am Anfang waren noch alle hingestürzt, inzwischen glaubte dem Schüler keiner mehr.

"Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht. Lass es sein, Orkanpfote!" schimpfte Löwenmähne, woraufhin Orkanpfote und Humpelpfote tuschelte.

 Plötzlich hing Fliederpfote an einem Dornenbusch fest. Sie riss sich los, dann blieb sie alle paar Schritte stehen, um ihr Fell wieder in Ordnung zu bringen. Haselpfote wartete unruhig auf ihre neue Freundin, sie knetete mit den Pfoten den Boden, während Löwenmähne, Tümpelblick, Rotfuß und die anderen Schüler sich immer mehr entfernten.

Schließlich war Fliederpfotes Fell wieder ordentlich und hübsch, und die beiden Schülerinnen rannten los, um den Anschluss nicht zu verlieren.


Schneefall - Sehnsucht | Band IWhere stories live. Discover now