4 - Blut, so viel Blut

28 8 37
                                    

Wütende Schreie erschollen im Tal. Einige Krieger, die ihre Feinde offenbar besiegt oder verjagt hatten, stürmten hinzu, um den Leitwolf anzugreifen. Amselflug war darunter, aber auch Löwenmähne, Donnerecho und einige andere, die Haseljunges in dem Wirbel aus Fell nicht erkennen konnte, genau wie den schwarz Pelz des Leitwolfes, der nun unter wütenden Katzen begraben wurde.

Abendröte hastete an Haseljunges vorbei in den Heilerbau, er hinterließ eine Blutspur. Haseljunges betrachtete sie angstvoll, als sie von jemandem beiseitegestoßen wurde. 

"Pass auf!"

Ahornpfote stand plötzlich neben ihr, das rotbraune Fell gesträubt. Ein langer Kratzer prangte auf seinem Rücken, aber in seinen grünen Augen sprühte Kampfeslust. Ein Wolf stand ihm gegenüber, schon übel zugerichtet, aber mit neu entfachtem Mut im Angesicht des einfachen Opfers, das ein Katzenschüler wie Haseljunges' rotbrauner Freund abgab. Er griff den Schüler an und nagelte ihn am Boden fest, bereit, mit seinen mächtigen Fängen dessen Kehle zu zerfetzen. Ahornpfote wehrte sich fauchend, aber er hatte kaum eine Chance, so allein gegen den mächtigen Gegner.

Erschrocken suchte Haseljunges nach Hilfe, aber dann war plötzlich Haferstern neben ihr. Die Anführerin blutete aus einer tiefen Wunde an der Flanke, aber sie sah grimmig entschlossen aus, wie sie, ohne eine Notiz von dem Jungen zu nehmen, das eigentlich nichts auf dem Schlachtfeld zu suchen hatte, auf den Wolf zuschlich wie auf leichte Beute.

"Ich könnte ein neues Wolfsfell als Nest gebrauchen!" knurrte sie, dann ging sie mit mächtigen Schlägen auf Ahornpfotes Angreifer los und grub ihre Krallen in sein Fell. Knurrend ließ der Wolf von Haseljunges' Freund ab, um die Anführerin von seinem Rücken zu schleudern. Haferstern kam auf allen vier Pfoten auf und stürzte sich wieder in den Kampf.

Haseljunges half dem Schüler auf. "Alles in Ordnung?" fragte sie ängstlich.

Ahornpfote stupste sie mit der Schnauze an. "Natürlich, Kleine. Du solltest aber in Zukunft aufpassen. Am besten, du bringst dich in Sicherheit. Hat Haferstern eigentlich wirklich gesagt, dass sie ein Wolfsfell als Nest benutzen will?" fragte er belustigt.

"Das hast du gehört?" Haseljunges lauschte, um einen Wolf zu hören, falls ihr wieder einer auflauerte. "Sie meint es bestimmt nicht ernst."

Ahornpfote nickte ihr abgelenkt zu, dann verschwand er wieder im Getümmel. Haseljunges kam sich auf einmal sehr jung vor, obwohl sie eigentlich heute eine Schülerin geworden wäre. Sie schlich, dicht an die großen Steine vor den Abhängen gedrängt, auf den Heilerbau zu, als ein Schrei aus dem Ältestenbau hallte. Erschrocken machte sie einen Satz nach vorn, dann rannte sie los, auf Deckung bedacht.

Sie kam an zwei Wolfsleichen vorbei, ein dritter sackte gerade unter Rotfuß', Gelbkralles und Tümpelblicks Krallenhieben zusammen. Humpelpfote hinkte mit blutigem Fell an ihr vorbei, gestützt von Fliederpfote und Orkanpfote. Wunschrose überquerte eilig die Tallichtung in Richtung Heilerbau, obwohl sie relativ unverletzt davongekommen war, doch Haseljunges blieb nicht stehen, um sich über das Verhalten ihrer Mutter zu wundern.

Aus dem Eingang des Ältestenbaus, ein offensichtliches Loch in einem großem, umgestürztem Baum, trat ein Wolf. Seine Pranken waren blutverschmiert, viele Kratzer prangten auf seinen Flanken. Er sah sich nicht um, beachtete die junge gelbbraune Kätzin auch gar nicht, sondern erklomm den Abhang mit Leichtigkeit und verschwand im Wald. Haseljunges stürzte in den Bau.

Auf dem Boden lag Glanzrose, sie schien bewusstlos zu sein, atmete aber gleichmäßig. Ihr goldrotes Fell war blutig, aber die junge Kätzin konnte keine Verletzungen erkennen. Neben ihr kauerte Wieselpfote. Der schwarzweiße Schüler presste seine Schnauze in das Fell seiner Mutter. Hinter ihm ließ sich Kleintatze schwer atmend in ihr Nest fallen.

"Gut, dass du kommst, kleine Schülerin."

"Ich bin noch keine Schülerin" wagte Haseljunges einzuwenden. Kleintatze schnaubte missbilligend. "Egal. Du musst Efeusturm holen. Schnell."

"Aber warum?" fragte Haseljunges verwirrt. Kleintatze schnippte mit dem Schweif. "Schau dir ihr Gesicht an."

Ängstlich tappte Haseljunges neben Wieselpfote. Ihr Freund nahm keine Notiz von ihr, er hatte die Augen geschlossen. Sein Körper zitterte wie Espenlaub im Wind. Blut bedeckte die Pfoten, auch sein Fell war blutverklebt, aber er nahm keine Notiz davon.

Als sie Glanzroses Gesicht sah, stellte sich ihr Fell auf. Sie würgte. Erschrocken, vielmehr angeekelt wich sie zurück.

Glanzroses Augenhöhlen waren leer, voller Blut.

Der Wolf hatte ihr die Augen ausgekratzt.

Schneefall - Sehnsucht | Band IWhere stories live. Discover now