Schneefall - Sehnsucht | Band I

9 - Irgendwo da draußen

Erschrocken kreischte die kleine Kätzin auf. Der Wind brauste in ihren Ohren, als sie fiel - und eine Katzenlänge weiter unten inmitten von Windenranken und spitzen Steinen landete. Sie schlug blindlings mit den Krallen um sich, voller Angst, während das Gewitter ungerührt näherkam. Immer kürzer wurde der Abstand von Blitz und Donner, und auch das letzte Blau des Himmels war verschwunden.

Schließlich gelang es Haseljunges beinahe, sich so festzukrallen, dass sie nicht mehr nach unten rollte. Doch dann kullerten wieder Steine unter ihren Pfoten weg und sie fiel auf die Schnauze. Als ein weiterer Donner grollte, gab sie auf und blieb zitternd liegen, an den Boden gepresst und die Krallen in Windenranken verheddert.

So kauerte sie flach am Boden, die Gedanken vor lauter Angst verdunkelt, bis Ginsterkralle, der ihr vorsichtig nachgegangen war, sie am Nackenfell hochhob und auf sicheren Pfoten den Abhang hinunterstieg. Ihre Beute hatte sie irgendwo verloren, aber Wieselpfote schien sie aufgelesen zu haben, denn er legte gerade ein Eichhörnchen, eine Maus und seine Krähe auf den Beutehaufen. 

Ginsterkralle lief an ihm vorbei, ohne etwas zu sagen, auf die Kinderstube und Wunschrose zu, die davor saß und mit Plätscherpfote, Frostpfote und Helljunges sprach. Als der muskulöse Vater der vier dazutrat, sahen sie auf.

"Vater!" rief Plätscherpfote aufgeregt.

"Haseljunges!" Besorgt leckte Wunschrose ihrer Tochter über das regennasse Fell, als Ginsterkralle sie absetzte. Haseljunges kuschelte sich an ihre Mutter.

"Wo war sie denn?" wollte die graue Kätzin wissen, als wäre die gelbbraune Kätzin gar nicht anwesend. "Selbst Efeusturm wusste es nicht."

"Goldstreif hat sie zu Rotfuß geschickt." erklärte Ginsterkralle. Wunschrose fauchte.

"Wie unverantwortlich! Sie muss doch wissen, dass es gefährlich ist!" Sie schien jeden Moment in den Bau stürmen zu wollen, als Haseljunges, erschrocken über die Wut ihrer Mutter, aufsah. "Ich wäre aber auch so gegangen." behauptete sie, weil sie nicht wollte, dass Goldstreif Ärger bekam. Sie war müde und wollte nicht, dass es noch Streit gab.

Besänftigend leckte Ginsterkralle seiner Gefährtin über die Ohren. "Es ist doch nichts passiert, sie hat nur einen Schreck bekommen, wegen dem Gewitter. Das ist alles."

"Aber es hätte etwas passieren können!" fauchte Wunschrose, aber die Wut in ihren Augen kühlte ab. Während sie sich mit Ginsterkralle die Zunge gab, wurde Haseljunges von ihren Geschwistern umringt.

Besorgt, aber auch voller unverholener Neugier musterte Plätscherpfote ihre Schwester, so, als wäre es unmöglich, dass sie wohlbehalten und ohne einen Kratzer zurückgekehrt war. "Und dir ist wirklich nichts passiert?"

"Nein, wirklich nichts." 

"Wirklich wirklich?"

"Wirklich wirklich!" Stolz hob Haseljunges den Kopf. "Ich bin ganz allein bis zum Moor gelaufen!"

"Wow!" Frostpfote staunte. "Gibt es da wirklich Schlangen? Und Bären? Und Krokodile?"

"Wer hat denn diesen Quatsch erzählt?" fragte Helljunges sarkastisch. "Seit wann gibt es im Moor denn Bären?"

"Spielverderberin!" schnaubte Frostpfote und legte beleidigt die Ohren an. Helljunges fauchte, dann setzte sie sich etwas abseits zu ihrer Mutter.

"Was ist denn mit euch los?" wollte Haseljunges neugierig wissen. "Ist was passiert, während ich weg war?"

Frostpfote setzte zu einer Antwort an, aber Plätscherpfote unterbrach ihn. "Nicht jetzt!" zischte sie, um dann aprupt das Thema zu wechseln. "Was glaubt ihr, machen die Wölfe jetzt?"

Sofort war Frostpfote abgelenkt. "Rache planen? Das würde zumindest der AhornClan machen!" vermutete er.

Haseljunges beteiligte sich halbherzig mit einem "Vielelicht gehen?" an dem Gespräch, obwohl ihre Gedanken immer wieder bei Helljunges landeten. Was war mit ihren Geschwistern passiert? Sie schüttelte sich und versuchte, auf andere Gedanken zu kommen.

"Sie gehen bestimmt nicht." wisperte Plätscherpfote, und Frostpfote fügte unheilvoll raunend dazu: "Stell dir vor, irgendwo da draußen leben sie, eine blutrünstige Meute, die auf Vergeltung wartet, versteckt in den unendlichen Weiten der Wälder und Moore! Und sie sind nicht allein..." 

Die feurigen Strahlen der untergehenden Sonne tauchten Plätscherpfote in goldenes Licht, verwandelten Frostpfotes Pelz in Feuer und tauchten ihre Gesichter in gruselige Schatten.