Kapitel 15

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Nach einer Stunde strömten mir die Tränen über die Wangen, doch das war nicht weiter besorgniserregend. Der Erinnerungsbaum löste nicht nur verdrängte Erinnerungen sondern auch verdrängte Gefühle und von denen hatte ich in den letzten Tagen für wahr genügend angesammelt. Mein Kopf drehte sich, als ich versuchte aufzustehen, doch meine Gedanken waren ganz klar. Ich wusste was ich wollte und was ich nicht wollte und was ich dafür tun musste und mit wem ich würde sprechen müssen. In der letzten Stunde hatte ein Plan in meinem Kopf Gestalt angenommen und er war wahrlich durchdacht. Ich war zufrieden mit mir selbst, das konnte ich nicht bestreiten. Mit einem breiten Lächeln im Gesicht hielt ich den Heimkristall ins Licht und das vertraute Kribbeln durchfuhr meinen Körper als ich langsam davon glitzerte, zurück nach Eternalia. Das erste was ich sah, als ich aus dem Wirbel aus Glitzer und Farben in den Flur meines Palastes trat, war... ein Pferdegesicht? Moment. Warum stand Silveny, das Alicorn meiner Tochter im Gang meines Hauses? Ich konnte Stimmen aus dem Salon hören, die mich erstarren ließen. Dass Sophie hier sein musste, hatte ich mir bei Silvenys zugegebenermaßen etwas verwirrendem Anblick bereits erschlossen, doch mit der zweiten Stimme, die da sprach, hatte ich für wahr nicht gerechnet. Bronte lachte sein abgehacktes Hunde-artiges Lachen, als ich vorsichtig und geräuschlos näher zur offen stehenden Tür des Salons vorrückte, darauf bedacht, keinesfalls jemanden auf meine Präsens aufmerksam zu machen. Ich musste einfach hören, was sie ohne mich in meinem Haus besprachen. Einen Schritt vor den anderen. Stück für Stück. Zentimeter für Zentimeter. Ich war gerade so weit, dass ich einzelne Wörter herausfiltern konnte, da beschloss Silveny, dass sie einen anderen Plan hatte. Sie stieß mich unsanft an der Schulter nach vorne und ich fiel mit einem dumpfen Schlag der Länge nach auf den Boden. Die Stimmen verstummten. Schnell kam ich wieder auf die Beine, trotz meines schmerzenden Körpers, richtete meinen verrutschten Reif auf meinem Kopf zurecht und trat dann möglichst elegant und so tuend als wäre nichts passiert in mein Wohnzimmer. „Ich bin zurück!", meldete ich meine Präsens etwas unbeholfen an. Vier Augenpaare hefteten sich auf mich. Kenrics, Brontes, Sophies und - ja - auch Silvenys. Wunderbar, sogar das Pferd fand mich peinlich. „Ora, gut, dass du da bist. Ist alles in Ordnung?", fragte Kenric, der sich als erster von meinem Auftritt erholt zu haben schien, mich mit einem sanften Stirnrunzeln. Weil mir bewusst wurde, dass ich ihn mit aufgeklapptem Mund und irrem Lächeln anstarrte, normalisierte ich meinen Gesichtsausdruck schnell wieder und nickte hastig. „Ja, natürlich, entschuldige", versuchte ich die unangenehme Situation wegzulachen. Bronte sah mich ein wenig irritiert an und mein Lächeln verrutschte ein wenig auf meinem Gesicht. Er fasste Sophie sanft am Arm und zog sie in Richtung Silveny. „Ich denke, wir verabschieden uns dann mal", brummte er mit gesenktem Blick und stakste in Richtung Alicorn davon, Sophie im Schlepptau, als hätte er irgendein Anrecht auf sie. Es machte mich und meinen mütterlichen Instinkt ein wenig sauer, aber ich wusste, dass es auffällig wäre, würde ich etwas sagen. Die beiden verschwanden ohne ein weiteres Wort mit dem Alicorn in der sie teleportierenden Leere. Schön. Blieben also nur Kenric und ich zurück. Ich drehte mich langsam und bedächtig zu ihm um. „Was wollten die zwei hier? Und noch wichtiger: wusstest du, dass sie kommen würden?", fragte ich gefährlich ruhig. Kenric stand da. Er stand einfach nur da. So wie er immer da stand, wenn er Mist gebaut hatte als kleiner Junge. „Kenric, bitte sag mir einfach, was los ist. Ich bin nicht sauer, wenn du mir einfach die Wahrheit sagst, ja?", bat ich ihn, schon ein bisschen weniger aufgebracht. Er erinnerte mich zu sehr an den kleinen Jungen, der er einst war, als dass ich sauer auf ihn sein konnte, doch das würde ich nicht zugeben.  „Oralie, hör zu, ich weiß, dass das gerade ein wenig seltsam rüberkommt, Ja? Aber ich kann dir leider nicht sagen, warum die beiden hier waren. Noch nicht. Sie haben mich gebeten es nicht zu tun, okay?", sagte er langsam und beschwichtigend, wohl wissend, dass meine Fassung an einem seidenen Faden hing. „Ich will es wissen. Sag es mir!!", schrie ich von einer plötzlichen, aufbrausenden Wut gefasst durch den Salon. „Nein, Oralie." Kenrics Stimme war nach wie vor sachlich und gefasst. „Sie haben mich gebeten es nicht zu tun und daran werde ich mich halten." „Aha, schön zu wissen, dass deine Loyalität denen gegenüber größer ist als mir gegenüber. Toll, wirklich. Ich freu mich für dich und deine neuen Freunde!", spuckte ich ihm entgegen. Mir reichte es. Ich drehte mich um und ging schnurstracks in Richtung Küche davon. Er wusste ganz genau, wie sehr mich Unwissenheit quälte und trotzdem ließ er mich leiden. Ich hörte seine Schritte, die mir folgten. „Siehst du, genau das ist der Grund!", rief er von hinter mir, auf einmal gar nicht mehr so ruhig. Ich fuhr herum. „Was? Was ist der Grund, sag's mir doch oder traust du dich nicht deine besten Freunde Bronte und Sophie zu verraten?", der Hohn triefte aus meiner Stimme. „Jetzt hör doch mal auf! Deshalb kann ich dir nie was erzählen, weil du immer so bist!", rief er und warf die Hände aufgebracht in die Höhe. „Ach so, ja, na klar, einleuchtend, weil ich immer SO bin, verstehe. Wie bin ich denn, hm?", das Feuer in meinem Herzen loderte. „Du bist egoistisch und naiv und toxisch und sehr sehr dumm! Das bist du!", Kenric wich zurück, wie als würde er vor seinen eigenen Worten erschrecken. Mit weit aufgerissenen Augen starrte er in die meinen, die sich mit Tränen füllten. „Okay. Ja. Ich schätze ich bin egoistisch und naiv und toxisch und sehr sehr dumm. Egoistisch, weil ich dich trotz all der Komplikationen in meinem Leben haben wollte, toxisch, weil ich mein Herz schützen wollte, naiv davon auszugehen, ich könnte jemals einen wie dich lieben und dumm weil ich tatsächlich daran geglaubt hab. Du hast recht", trat ich, trotz der Tatsache, dass sich in seinen Augen spiegelte, wie sehr er seine Worte bereute, noch einmal nach und schockierender Weise meinte ich jedes einzelne Wort. Ein Blick in sein tränennasses Gesicht genügte mir, um zu wissen, dass ich erreicht hatte was ich wollte. Ich drehte mich um und rannte in die Nacht hinaus, drehte im laufen meinen Kristall in Richtung Mondlicht und sprang. Er rief nicht nach mir, er kam mir nicht nach. Vergessen war der Plan, von dem ich bis vor einer Stunde geglaubt hatte, er wäre fix. Vergessen die ganzen letzten Tage. Vergessen meine Freunde, vergessen die Liebe meines Lebens, während ich mich von dem Treiben durch die Leere des Sprungkristalls berauschen ließ, die sich wie Watte in meinen Kopf einnistete, ohne ein bestimmtes Ziel. Nur weg.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Aug 17 ⏰

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Eternal heartbeats - Koralie FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt