Gedankenstrudel

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Paddy

»Ach, Paddychen«, seufzte Mark und Paddy fühlte seinen besorgten Blick auf sich ruhen. »Natürlich braucht Jamila dich, das weißt du doch auch selbst. Du bist derjenige, der immer da ist, selbstverständlich schaut sie zu dir auf. Se liebt dich doch genauso wie mich.«
»Ja, aber… the last days… I just couldn’t…«, begann Paddy, brach wieder ab und hob nur die Schultern. Selbst jetzt, als Mark endlich zuhause war, empfand er nicht die große Freude darüber, auch nicht die Erleichterung, die er sich erhofft hatte. Immerhin war sein Mann zurück, nach einer Woche. Aber es war, als wäre er vollkommen leer, er konnte einfach gar nichts mehr fühlen. »You know, I... I’m a terrible husband too, I don’t feel that joy or relief I should because you’re back or... anything. You know the others, they are glad being back on tour, everbody’s happy about the spring, everything blooming and getting warmer... I just don’t feel... anything.«
»Aber es erwartet doch niemand, dass du dich über irgendetwas freuen sollst oder so«, sagte Mark, offenbar ein wenig ratlos. »Wer sagt denn, dass du genau dasselbe fühlen musst, was alle anderen fühlen? Wenn’s nicht so ist, ist es eben nicht so. Das kommt schon wieder, Paddy. Setz dich doch nicht deswegen so unter Druck, Schatz.«

»Aber ich… fühle mich komplett leer, Mark«, sagte Paddy. Es tat ein wenig weh, dass Mark kaum zu verstehen schien, dass ihm gerade nichts mehr etwas gab. Natürlich war das nicht okay. Und auch nicht normal. »Ich hab keine Freude am Musik machen, wie noch in Südafrika, ich konnte mich kaum aufraffen, mit Ruby zu laufen, geschweige denn etwas anderes zu unternehmen. Ich hab gestern gerade so die Wäsche angestellt, aber nur, weil ich wusste, dass du heute zurück kommst und ich nicht wollte, dass du siehst, dass ich überhaupt nichts geschafft hab.«
»Aber das ist doch normal, du hast vor zwei Jahren deine Schwester verloren, Paddy«, meinte Mark und griff nach seiner Hand. »Das war ein Schock, und der hängt wohl doch noch ziemlich nach, wa? Und wenn diese besonderen Tage kommen, kommt's eben wieder hoch.«
Paddy verkeilte grüblerisch ihre Finger ineinander. »Nein, es ist nicht nur das«, gab er dann zu. »Ich hab mich  am Wochenende wie gelähmt gefühlt, ja, aber… es ist nicht mehr ihr Tod. Es ist... you know, last year wasn’t that bad, I could go back to work right after this day, and...«
»Was denkste denn dann, was es ist?«, fragte Mark. »Ich kann dich echt nicht so traurig sehen, das weißte doch, also bitte… red mit mir.«

Paddy holte tief Luft. Eigentlich wusste er doch, was diese Phase war, er kannte es  nur zu gut. Und doch wollte er es nicht wahrhaben. Nicht schon wieder. »I think I’ve got this… depression again. Diese Phase, in der dir nichts mehr etwas gibt, in der du einfach nur rumhängst, dunkle Gedanken hast, dich zu nichts aufraffen kannst. Ich hatte das alles schon mal. Damals, Ende der 90er.«
Sichtlich erschrocken schaute Mark ihm direkt in die Augen. Paddy fühlte sich sofort unwohl unter seinem nahezu angsterfüllten Blick, denn natürlich wusste Mark auch von seinen schlimmsten Zeiten. »So schlimm gleich?«
Seine Stimme war leise und zitterte, es war die pure Angst um ihn, und Paddy verfluchte sich in Gedanken dafür, dass er Mark solchen Kummer bereitete. Sie sollten doch einen schönen Abend haben, jetzt, wo er zurück war.
Aber nur kraftlos schüttelte er den Kopf. »Nein, nicht direkt… ich weiß es einfach nicht, Mark. Ich will das nicht, diese Gedanken, ich will nicht so fühlen. Aber ich kann nichts dagegen machen, you see, das kommt einfach. Ich kann mich nicht dagegen wehren, schon gar nicht, wenn du nicht da bist, und...« Paddy biss sich auf die Lippen. Das hatte er absolut nicht sagen wollen. Auf gar keinen Fall wollte er, dass Mark sich Vorwürfe machte, nicht da gewesen zu sein, aber natürlich traf ihn sofort der Blick aus schuldbewussten blauen Augen.
»Paddy, ich weiß, dass ich hätte bleiben sollen«, seufzte Mark und fuhr sich mit der Hand unter den Brillengläsern entlang. »Ich wollt Mathea nicht herfahren lassen, hier ist unser Zuhause. Hier will ich niemanden außer unseren Freunden haben. Schon gar keine Fremden.«
»Das war doch auch vollkommen richtig, Mark«, versicherte Paddy ihm. »Ich will dich auch gar nicht unter diesen Druck setzen, dass du da sein musst. Ich muss das allein hinbekommen, ich weiß nur nicht… wie. Nicht mehr, I guess.« Er hob ratlos die Schultern.
»Jetzt bin ich ja erstmal da, ne«, meinte Mark und streichelte beruhigend mit dem Daumen über Paddys Handrücken. Offenbar schien ihn selbst diese Gewissheit auch zu beruhigen, seine Stimme war wieder stärker, so wie Paddy es kannte. Und brauchte. »Wir bekommen das schon hin, wa? Was hat dir denn damals rausgeholfen, also, aus dieser Phase?«

A Thousand DoubtsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt