Spontane Sessions

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Mark

Am nächsten Morgen verschwand Paddy direkt wieder im Musikzimmer. Mark seufzte, während er den Frühstückstisch aufräumte und eine zweite Tasse Kaffee vorbereitete. Es brachte doch auch nichts, wenn Paddy jetzt auf Teufel komm raus versuchte, sich mit Musik zu helfen. Er stand sich doch eigentlich nur selbst im Weg. Diese vielen Gedanken und Sorgen – manchmal fragte Mark sich, ob er selbst alles einfach viel zu locker sah, weil er mit diese ständigen Zweifeln nicht so viel anfangen konnte. Man musste doch auch seinem Herzen folgen. Inspiration kam meistens nicht auf Bestellung, das wusste Paddy auch selbst am besten.

Aber Mark ließ ihn, hörte beim Aufräumen im Erdgeschoss, wie Paddy ab und an irgendetwas spielte, vor allem die Melodie, die er ihm schon gezeigt hatte, wieder aufhörte und etwas anderes begann. Kopfschüttelnd überlegte Mark, wie er ihm helfen könnte. Paddys eigene Befürchtung, wieder in eine depressive Phase gestürzt zu sein, hatte ihn wirklich schockiert, aber immerhin sah Paddy diese Gefahr und wollte dagegen ankämpfen. Auch wenn Mark noch keine wirkliche Ahnung hatte, was er tun könnte außer da zu sein, wenn Paddy reden wollte. Denn in all den Jahren, in denen sie nun zusammen waren, hatte es keine derart mental schwere Phase bei Paddy gegeben, auch nicht nach seinem Unfall damals. Mark kannte ihn zwar schon immer nachdenklicher und mehr in sich gekehrter als er selbst es war, aber das jetzt war doch bedenklich. Dabei hatten sie doch von Anfang an klar besprochen, dass er nicht auf ewig Zuhause bleiben müsste. Sie waren Vollblutmusiker, ihr Herz drängte auf die Bühne, und dass das bei Paddy, dessen beinah ganzes Leben auf der Bühne stattgefunden hatte, wieder so war, war ja auch nur zu verständlich. Bisher hatte er zwar auch immer wieder ausdrücklich betont, dass er nichts anderes mehr wollte, aber offenbar hatte die Jubiläumsstaffel doch die Sehnsucht nach der Musik wieder geweckt. Aber Mark verstand ja auch, dass dies Paddy in Gewissensbisse stürzte.

Doch so konnte das niemals funktionieren. Nicht mit diesem Druck, den er sich gar nicht machen musste. Niemand erwartete etwas von ihm, nur Paddy selbst. Und das zu viel, was ihn gedanklich lähmte.
Nach einer Weile ging Mark am  Musikzimmer vorbei und bemerkte, dass Paddy die Tür einen Spalt offen stehen gelassen hatte. Er saß am Piano, spielte aber nicht, sondern schaute wieder mit bedrücktem Blick ins Leere. Mark seufzte und ließ seinen Mann wieder allein. Er musste noch ein paar Anrufe erledigen, aber als er aus dem Büro zurück war, kam immer noch kein Laut aus dem Musikzimmer. Mark schob die Tür auf und fühlte gleich wieder die bedrückende Schwermut, weil er Paddy einfach nicht so sehen konnte. Er musste ihn irgendwie aufheitern, konnte nicht mit ansehen, wie Paddy sich fertig machte.
»Ich hab letztens was angefangen, das wollte ich dir noch zeigen«, meinte er, ohne zu fragen, ob es lief. Es war ja offensichtlich, dass es das nicht tat. »Lässte mich mal?«
Paddy schaute erstaunt auf. »Sure. Sorry, I was just…«
»Hast wieder gegrübelt, ne?«, fragte Mark. Paddy seufzte. »I just don’t know… it’s not that easy.«
»Doch, isses«, meinte Mark einfach. »Kopf ausschalten. Wart.« Er schob Paddy zur Seite, grinste, als sein Mann sich auf die äußerste Kante des Klavierhockers setzte. Dann legte er die Finger auf die Tasten, und obwohl er keinen Plan hatte, was er singen wollte, fing er an, Akkorde zu spielen. Kurz überlegte er, während er schon spielte, dann grinste er Paddy zu und begann zu singen und spontan zu reimen: »Wir sind gerade alleine, du und ich, wir beide, ohne unsre Kleine, müss’n nix mehr vermeiden…«
Paddy zog eine Augenbraue hoch. »Seriously?«
»Ach, komm schon, Musik kann auch Blödsinn sein«, lachte Mark, spielte und dichtete weiter: »Müss’n nix mehr verstecken, könn‘ alles in uns wecken, komm, lass mal zeigen wozu wir manchmal neigen…«
Paddy runzelte die Stirn, kam dann aber nicht umhin loszulachen.
Mark stieß ihn in die Seite, ohne dabei die Hände von den Tasten zu nehmen. »Komm schon, sei kein Spielverderber.« Er wollte Paddy endlich aus seiner Lethargie reißen, spürte, dass ihm dies allein nicht gelingen würde. Er steckte schon zu tief in der Gedankenspirale.
Paddy schüttelte lachend den Kopf, überlegte dann kurz und stimmte in Marks Spiel ein: »We’re home alone, you and me on our own, no one here around us, no need to hide…«
»Geht doch«, kicherte Mark, spielte den gerade erdachten Chorus nochmal.
Paddy griff zu einem Tamburin, das neben dem Klavier auf einem Schemel lag, gab damit einen Takt vor und sie sangen zusammen: »We’re home alone, you and me on our own, no one here around us…«

A Thousand DoubtsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt