Gedankenzwiespälte

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Paddy

Paddy war froh, dass Jamila am nächsten Tag wieder in die Schule ging. Sie fuhr wie sonst auch mit dem Bus, er nahm sie nur dann mit, wenn er danach direkt zum einkaufen fuhr. Aber das war noch nicht nötig. Sie hatten schließlich genug Lebensmittel im Haus. Auch in dieser Nacht hatte Paddy schlecht geschlafen, er bekam sich gerade so zum Frühstück machen aufgerafft. Alles fühlte sich einfach nur schwer und nahezu unüberwindbar an, die Gedanken sich fertig zu machen, die Treppe runter zu gehen, Ruby Futter zu geben, Frühstück zuzubereiten. Aber mehr musste er nicht machen, die Wäsche konnte warten und alles andere sowieso. Er konnte sich nicht einmal richtig auf Jamilas Erzählungen konzentrieren, antwortete ihr nur ab und an knapp. Aber was für ein Vater war er denn, wenn er ihr nicht einmal zuhörte?
Es war still in den Räumen, als Jamila gegangen war. Das Radio lief nicht, Paddy ertrug die fröhlichen Songs gerade nicht, die in der Playlist der meisten Sender den teils winterlich ruhigeren Melodien gewichen waren. Manchmal war es so berechenbar, welche Songs wann Erfolg haben würden. Es war kein Geheimnis, warum Beautiful Madness solch ein Sommerhit geworden war. Überrascht hatte Paddy nur, dass der Song im Ausland so erfolgreich gewesen war. Aber mit dieser sorglosen Stimmung, die die Sender im Augenblick verbreiteten, konnte er gerade nicht umgehen.

Er griff zwar einmal zu seinem Handy, aber nur um zu sehen, ob Mark geschrieben hatte. Dann jedoch sah er, dass es in ihren Chatgruppen noch immer hin und her ging. Überall schien diese Aufbruchsstimmung zu herrschen, die Paddy so gar nicht fühlen konnte, und prompt fragte er sich, warum das so war. Es war doch Frühling, es wurde wärmer, Jamila hatte heute Morgen schon ein Kleidchen herausgesucht. Im Garten blühten immer mehr Blumen, am Schuppen standen noch Pflanzen, die er immer noch nicht eingepflanzt hatte. Auch um das Hochbeet müsste er sich kümmern, Maite hatte ihnen zwei Ableger Paprika und Tomaten versprochen. Aber er bekam sich einfach nicht aufgerafft, jeder Schritt war schwer.
Er müsste aber auch Pino dringend endlich zurückrufen, immerhin hatte sein Manager etwas Wichtiges von ihm gewollt, und einfach ignorieren konnte Paddy ihn nicht. Er suchte nach Pinos Kontaktfenster, sah gleichzeitig, dass Patricia etwas in ihre Family-Chatgruppe geschrieben hatte, seufzte schwer und schloss WhatsApp wieder.
Pino konnte er auch noch später anrufen. Warum kapierte sein Manager nicht, dass er nur den Vertrag für Sing meinen Song unterschrieben hatte?

Irgendwann fand Paddy sich doch am Flügel im Wohnzimmer wieder, er setzte sich und spielte ein paar Töne. Nichts bestimmtes, einfach nur irgendeine Melodie, nur um etwas zu tun. Seine Finger glitten wie selbstverständlich über die Tasten, aber es gab ihm nichts. Keine Freude darüber, wieder zu spielen, wie noch bei Sing meinen Song, keine Wut, keinen Frust, nicht einmal mehr den Schmerz über den Verlust ihrer Schwester. Nur diese unbestimmte Leere, die sein Herz ausfüllte. Im letzten Jahr war es nach dem Todestag doch schon wieder okay gewesen. Vielleicht musste er nur etwas finden, an dem er gezielt arbeiten konnte, oder musste, um es fertig zu bekommen. Nicht, um es jemandem zu zeigen, geschweige denn zu veröffentlichen, sondern einfach nur, um ein Ziel zu haben.
Aber Paddy wusste einfach nicht, wie er all die quälenden Gedanken abschütteln, wie er weitermachen sollte. Allein bei allem, was mit Pino zu klären war, und mit welchen Fragen er rechnete, überkam ihn Panik. Dabei konnte Paddy nicht einmal sagen, warum. Und dann wusste er es doch wieder so genau. Aber allein die Gedanken an ein neues Album und der damit verbundene Druck lähmten ihn direkt. Prompt verließ ihn auch die Lust, einfach so Piano oder Gitarre zu spielen.
Schlussendlich saß er nur auf der Couch und starrte einfach ins Leere. Es spielte ja auch keine Rolle, was er machte oder nicht, niemand erwartete etwas von ihm.
Mittags bekam er nur etwas Aufgetautes aus der Gefriertruhe gekocht, aber Jamila rief ihn an und fragte, ob sie bei Sophia bleiben konnte. Die Mädchen hatten nachmittags eh Klavierunterricht und Paddy war nur erleichtert, zustimmen zu können. Immerhin schaffte er es, eine kleine Runde mit Ruby durch den Wald zu gehen, aber auch nur, weil der Hund schon an der Haustür saß und niemand anderes da war.

A Thousand DoubtsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt