Gefangen

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TW und Depression: Trauer ist wohl das persönlichste aller Gefühle, mit dem jeder anders umgeht. Ich wollte dieses Ereignis in Paddys Leben nicht unterschlagen, aber auch nicht überdramatisieren. Falls ihr mentale Probleme habt, lest die folgenden Kapitel vielleicht an einem guten Tag; wenn ihr diese nicht lesen wollt, ab circa Kapitel 11 geht es relativ normal weiter.

Bild: Pinterest

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Ein dumpfes, anhaltendes Klopfen drang in Paddys Unterbewusstsein und nervte ihn so lange, bis sich der Nebel lichtete und er blinzelnd die Augen öffnete. Irritiert schaute er sich um, offenbar war er doch irgendwann eingeschlafen. Trotzdem fühlte er sich wie gerädert und ein rascher Blick auf sein Handy zeigte acht Uhr morgens an. Er hatte keine Ahnung, wie lange er geschlafen hatte, aber lange konnte es nicht gewesen sein. Das Datum auf dem Display seines Mobiltelefons brachte die taube Schwermut zurück und Paddy seufzte tief.
»Papa Paddy«, riss ihn dann Jamilas Stimme jäh aus den Gedanken, die sich gerade vertiefen wollten. »Schläfst du immer noch?« Bevor er etwas antworten konnte, öffnete Jamila die Tür und schaute ins Zimmer.
»Doch, ich, äh, nein, hab… hab ich verschlafen?« Paddy runzelte die Stirn. Es war doch Sonntag, also…
»Der Gottesdienst«, erinnerte ihn Jamila. »Um halb zehn wollten wir doch in die Kirche.«

»Oh s… so ein Mist«, verbesserte sich Paddy gerade noch so. Er hatte vollkommen vergessen, sich den Wecker zu stellen. Zwar könnten sie es in eineinhalb Stunden bis zur Kirche in Deggendorf schaffen, aber er wollte, konnte sich nicht auch noch stressen. Nicht heute. Und es war ja auch nicht schlimm, einfach Zuhause zu bleiben.  Ein wenig in seiner Bibel lesen konnte er schließlich auch hier. »Tut mir leid, Love, ich hab wohl den Wecker nicht gehört«, sagte er. »Danke, dass du mich geweckt hast. Wir machen uns jetzt keinen Stress, hm? Ist nicht so schlimm.« In Wahrheit war er ein wenig erleichtert, dem Pastor, der ihn gut kannte und sicherlich wusste, welcher Tag heute war, aus dem Weg gehen zu können. Auf die ganzen Fragen und die wissenden Blicke der Gottesdienstbesucher konnte Paddy auch verzichten. Am Anfang hatte er mit Verwunderung, aber auch mit Dankbarkeit zur Kenntnis genommen, wie viele Menschen Barby gedachten. Aber schon an ihrem ersten Todestag war es ihm zu viel geworden. Die sozialen Netzwerke überschlugen sich beinahe von Bildern und Videos von ihr, auch solchen mit ihm oder den anderen Geschwistern zusammen und Paddy hatte sich vollkommen überfahren gefühlt. »Ich komme gleich und mache uns Frühstück, okay?«
»Ich fang schon mal an«, sagte Jamila und ließ die Tür wieder zufallen.

Seufzend sank Paddy wieder zurück in die Kissen. Sein Blick glitt unwillkürlich zu seinem Nachtspind, wo neben einem Familienfoto von Mark, Jamila und ihm auch noch eines von Barby stand. Die ganze Zeit schon hatte er es wegräumen wollen, weil es doch schon zwei Jahre her war. Aber er hatte es nicht gekonnt, obwohl Mark es irgendwann sanft und vorsichtig angesprochen hatte.
»I can't«, hatte Paddy bedrückt geantwortet. Zwei Jahre seit Maites Anruf, seit diesem Schockmoment, in welchem seine Welt zusammen gestürzt war. Kurz vorher hatten sie Barby noch besucht, weil sie Jamila unbedingt besser kennenlernen wollte, und wieder flackerten die Erinnerungen an Barbys Reaktion durch Paddys Gedanken, als er ihr Mark vorgestellt hatte. Sie war nur auf ihn zu gekommen und hatte ihn fest in die Arme genommen. »You’re happy at least«, hatte sie nur an seinem Ohr gesagt. »That’s all that matters. Don’t care about the others or anything else.«

Paddy schluckte schwer, er konnte die Tränen nicht mehr zurück halten, dabei hatte er sich fest vorgenommen, nicht zu weinen. Schon gar nicht, wenn er jetzt mit Jamila alleine zuhause war. Aber er schaffte es nicht, länger gegen den Schmerz anzukämpfen, der seine Brust zusammenpresste und ihn sich auf dem Bett zusammenkauern ließ.
Das Klingeln seines Handys ließ ihn auffahren und jäh die Tränen wegwischen, und er sah, dass Mark anrief. Aber Paddy konnte den Anruf nicht entgegen nehmen, Mark würde das schon verstehen. Er konnte sich heute nicht anhören, wie gut es bei Mark lief, wie viel Spaß die Studioarbeit machte. Er konnte es einfach nicht.
Aber es erinnerte Paddy auch daran, dass Jamila unten in der Küche war und er atmete tief durch. Obwohl er doch einfach nur liegen bleiben und seinen Erinnerungen, die ihn fest umklammert hielten, nachgeben wollte, musste er sich aufrappeln. Er hatte eine Verantwortung. Und vielleicht war das auch ganz gut so.
Die Dusche tat einigermaßen gut, er rubbelte danach nur kurz die Haare trocken und schlüpfte in irgendwelche bequemen Klamotten. Jamila hatte den Tisch gedeckt, aber an den Kaffeeautomat traute sie sich doch noch nicht. »Thank you, Love«, sagte er und ließ zu, dass Jamila ihn umarmte.

A Thousand DoubtsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt