Geschwisterstreit

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»Am… Sonntag?«, sagte Paddy stockend, als ihm bewusst wurde, dass Jamila auf eine Antwort wartete. »Das ist übermorgen!« Das hätte seinen Geschwistern nicht früher einfallen können?, schoss es ihm durch den Kopf. »Ich rufe Onkel Joey mal an«, fuhr er fort und griff zu seinem Handy.
Sein Bruder meldete sich nach ein paar Mal Klingeln. »Was gibt’s, Bro?«, fragte Joey. »Alles okay bei euch?«
»Yeah, we’re fine«, sagte Paddy, durchaus auch ein bisschen sauer, weil seine Geschwister ihn gar nicht gefragt hatten, ob er kommen wollte. »Lilly hat Jamila erzählt, dass ihr euch Sonntag auf dem Friedhof trefft.« Es war keine Frage, sondern eine Feststellung, die auch seinen Ärger ausdrückte.
»Oh, äh… ja, tun wir«, sagte Joey. »Aber das war sehr spontan jetzt. Patricia, Jimmy, Maite, Kathy und ich fahren hin. Also, wir dachten, dass es für dich zu weit ist, deshalb haben wir nicht direkt gefragt.«
»It is«, erwiderte Paddy. »But for Barby I would have….. doesn’t matter now I guess. Mark’s in Munich working on his album and Jamila’s got school on Monday.« Er bemühte sich trotzdem auch nicht, seine Enttäuschung zu verbergen. Im Vorjahr, als sich Barbys Tod zum ersten Mal gejährt hatte, hatte er gezweifelt, ob es eine gute Idee war, seine Geschwistern auf dem Friedhof zu treffen. Mark hatte ihn gedrängt, weil er so lange gehadert hatte, ob er fahren sollte oder nicht, und ihn schlussendlich einfach fast selbst ins Auto gepackt. Er war mit Jamila bei Tanja und Joeys Kids geblieben, und Paddy ihm wieder einmal sehr dankbar gewesen, dass er ihm die Entscheidung abgenommen hatte. Und es hatte doch gutgetan, die Erinnerungen und den noch so nahen Schmerz über den Verlust ihrer Schwester gemeinsam zu teilen. Aber jetzt war Mark nicht da, und ganz sicher würde Paddy diese weite Strecke nicht alleine fahren.

»Sorry, Bro, our mistake. It was very spontaneous, Tricia called us yesterday. You can still come if you want, anytime.«
»No, thanks«, gab Paddy zurück. Tatsächlich tat es ein wenig weh, dass vor allem Maite ihm nichts von dem geplanten Treffen erzählt hatte. »I won’t drive that far alone. We’ll... well, maybe we'll visit the graveyard or go to Church here and lit a candle or somethin’.«
Sie hatten Jamila schon einige Male mit in den Gottesdienst genommen, und sie mochte das. Auch ihre Mutter hatte sie in Südafrika oft in die Kirche begleitet und Paddy freute sich jedes Mal, dass es Jamila so gefiel. Aber auch was den Gottesdienst anging, wusste Paddy nicht, ob er ohne Mark hingehen würde. Wenn sein Mann unterwegs war, ging er selbstverständlich auch allein in den Gottesdienst, aber dieser Tag übermorgen würde ein sehr schmerzhafter werden – und er wusste nicht, ob er das schaffte.
»Mann, tut mir leid, ehrlich«, sagte Joey. »Wir haben halt einfach gedacht, dass…«
»Ist schon okay«, meinte Paddy und rieb sich über die Schläfen. Plötzlich fühlte er sich unendlich müde und erschöpft, obwohl sie heute gar nicht viel unternommen hatten außer der üblichen Hunderunde und ein wenig Arbeit im Garten. »I wouldn’t have come either. Sorry. It’s... still too close.«
»It is«, nickte Joey. »Knuddel Jamila von mir, okay?«
»Mach ich«, antwortete Paddy. »Grüß die anderen.«
»Bis dann, Bro.«

Joey legte auf und Paddy spürte die vom letzten Jahr so bekannte Schwere auf der Brust, die ihm die Luft zum Atmen raubte. Er erhob sich schwerfällig und ging zur Kommode, wo einige Familienfotos standen, natürlich auch welche von Barby. Sie lachte in die Kamera, Wind hatte ihre langen Haare hinter ihr aufgewirbelt und Paddy holte tief Luft. Ein Foto aus guten Zeiten, es war ihm wichtig gewesen, seine Schwester so in Erinnerung zu behalten.  Atmen, er musste atmen. Aber es fiel ihm plötzlich so unendlich schwer.
Neben Maite war Barby diejenige gewesen, der er am nächsten gestanden hatte, auch in den späteren Jahren, als sie längst nicht mehr auf der Bühne gestanden hatte. Oft hatte er sich gefragt, ob sie alles in ihrer Macht stehende für sie getan hatten, ob sie nicht irgendetwas… aber gegen die schwere kurze Lungenembolie waren sie schlussendlich machtlos gewesen. Paddy schluckte hart, wollte die Erinnerungen nicht schon heute so sehr zulassen, aber er konnte gar nicht dagegen ankämpfen. Auch nach zwei Jahren war seine Schwester immer noch viel zu nah.

A Thousand DoubtsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt