Kapitel 12.1 - Ich sollte dir danken

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Meverrick steht am Fenster seines Schlafzimmers, die Stirn gegen das kühle Glas gelehnt, eine dampfende Tasse Kaffee in seiner Hand. Der Regen, welcher begonnen hat als er Skys Wohnung verließ, strömt unaufhörlich, tropft wie ein schmerzlicher Taktgeber an die Scheiben. Es ist ein Rhythmus, der den Knoten in seiner Brust noch fester zu ziehen scheint. Er hat getan, worum Sky gebeten hat, was sie braucht – er ist gegangen. Er hat ihr Raum gegeben. Und doch fühlt es sich an, als hätte er einen Teil von sich selbst dort gelassen.
Sein Atem beschlägt das Glas, und er zieht mit dem Finger eine flüchtige Linie hinein, die sofort wieder verschwindet. Der Regen macht die Welt draußen unscharf, verwischt die Lichter der Straße zu glühenden Schlieren. In der Ferne hallt der dumpfe Schlag eines Donners, und für einen Moment ist es, als würde das Dröhnen aus seinem Inneren kommen.
Er presst die Lippen zusammen. Es ist richtig gewesen, zu gehen. Es ist nötig gewesen. Aber warum fühlt es sich dann so falsch an? Warum kann er diese schmerzhafte Unsicherheit nicht abschütteln?
Ein Blitz erhellt den Raum, und in diesem Augenblick ist es, als würde die Dunkelheit in ihm etwas zurückwerfen – eine Erinnerung, ein Moment, fern ab vom hier und jetzt:

Die Nacht war still, doch Meverrick fand keinen Frieden. Sein Büro war in ein sanftes, goldenes Licht getaucht, das von der einzigen Stehlampe im Raum ausging. Draußen regnete es, die Tropfen prasselten leise gegen die Fensterscheiben, als würden sie ihm von der Traurigkeit berichten, die sein Herz schon seit beinahe fünf Jahren trug. In seiner Hand hielt er ein halb volles Glas Whiskey, doch der Alkohol brachte keine Linderung – wie so oft in letzter Zeit.
Sein Blick wanderte wie von selbst zu der Schreibtischschublade, die er selten öffnete. Sie wirkte harmlos, nur ein Stück Holz mit einem einfachen Schloss. Doch hinter dieser Fassade verbarg sich ein Teil seiner Vergangenheit, den er seit Jahren mied. Ein ungeöffneter Brief, der seit dem Tag darin lag, an dem Sky gegangen war.

Sky.

Ihr Name allein genügte, um die Luft im Raum schwer werden zu lassen. Sie war seine größte Sünde und sein tiefstes Glück gewesen – eine Verbindung, die er nicht hätte eingehen dürfen, die aber alles in ihm ausgefüllt hatte. Er konnte sich noch immer an jedes Detail erinnern: ihr Lächeln, das Licht in ihren Augen, das sanfte Zittern ihrer Lippen, wenn sie ihn mit all ihrer Hingabe ansah.
Meverrick lehnte sich in seinem Stuhl zurück und schloss die Augen. Die Bilder von damals fluteten ungebeten seinen Geist. Sky, wie sie auf dem Campus lachend mit ihren Freundinnen sprach, unbeschwert und voller Leben. Sky, wie sie in seinen Armen lag, ihre weiche Stimme, die sein Name flüsterte, als sei er das Zentrum ihrer Welt. Sky, wie sie an jenem letzten Tag mit diesem Brief vor ihm gestanden hatte – die Tränen in ihren Augen, die sie mit aller Kraft zurückzuhalten versucht hatte.
Er hatte ihr alles gegeben, was er geben konnte. Seine Führung, seine Zärtlichkeit, seine Stärke. Aber er hatte ihr auch wehgetan, nicht mit Absicht, aber weil er geglaubt hatte, dass er nicht gut genug für sie war. Sie war so jung, so voller Potenzial. Er hatte sich selbst eingeredet, dass sie ohne ihn besser dran sein würde, dass er ihr nur im Weg stand.
Der Moment, als er sie, unter Alkoholeinfluss, wirklich verletzte, war für ihn, wie ein Zeichen.
Ein Zeichen dafür, dass er Recht hatte.
Ich tue das für dich“, hatte er ihr damals gesagt, die Worte wie ein Messer in sein eigenes Herz stoßend.
Doch die Wahrheit war, dass er sie auch für sich selbst verlassen hatte. Er hatte Angst gehabt – Angst, sie zu zerstören, sie von einem Leben abzuhalten, das so viel größer sein konnte als ihre gemeinsame Blase. Und doch: Als sie gegangen war, hatte sie sein Herz mitgenommen.
Mit einem leisen Seufzen stellte Meverrick das Whiskeyglas auf den Schreibtisch. Seine Hand zitterte leicht, als er die Schublade öffnete. Der Brief lag immer noch da, der Umschlag leicht vergilbt, aber das Siegel unversehrt. Sky hatte ihm diesen Brief gegeben, an dem Tag, als sie die Universität verließ.
Er hatte ihr nicht in die Augen sehen  können. Er hatte nur schweigend den Brief entgegengenommen und sie gehen lassen. Damals hatte er geglaubt, das Richtige zu tun, aber jetzt wusste er, dass es der größte Fehler seines Lebens war.
Er schloss die Schublade wieder, ohne den Brief zu berühren.
Warum? Weil er wusste, dass das Lesen dieser Worte ihn endgültig brechen würde. Er wollte nicht sehen, wie sehr er sie verletzt hatte, wollte nicht die Wahrheit über all das erfahren, was sie gefühlt hatte. Es war einfacher, die Schublade geschlossen zu halten – einfacher, sich selbst zu belügen.
Aber die Wahrheit war, dass er sie geliebt hatte.
Sehr.
Mit einer Intensität, die ihn heute noch erschreckte. Und obwohl er versucht hatte, weiterzumachen, sich mit anderen Subs abzulenken, hatte keine von ihnen jemals das Loch in ihm füllen können. Keine hatte ihn so gesehen wie Sky.
Er fuhr sich mit der Hand über das Gesicht, kämpfte gegen die Tränen an, die plötzlich aufsteigen wollten. Was, wenn sie noch immer an ihn dachte? Was, wenn er ihr wirklich das Herz gebrochen hatte?
Der Regen draußen wurde stärker, und Meverick schloss die Augen, ließ die Dunkelheit ihn umhüllen. Er war müde. Müde vom Verstecken, müde vom Verdrängen. Aber mehr als alles andere war er müde von der Sehnsucht – der Sehnsucht nach einer Frau, die er nie hätte lieben dürfen, die er aber nie aufgehört hatte zu lieben.

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