34. Kapitel: WILLOW - ur a stranger

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„Zeig mir, was in der Kiste ist", forderte ich. Mein Tonfall ließ keinen Spielraum für Kompromisse. Ich wollte der Sache auf den Grund gehen und genau das würde passieren.
Josh verschränkte die Arme. „Nein." Sein Blick war finster.

„Ich bitte dich freundlich darum, um dir eine Wahl zu suggerieren. Letztlich werde ich diese Kiste durchforsten. Ob du willst oder nicht."
„Mit welchem Recht? Als mein neugieriger Freund oder als Polizist, der seine Kompetenzen überschreitet? Ohne Beschluss darfst du nichts", erwiderte er kalt und verschränkte die Arme.
Ich schüttelte den Kopf. Wie schnell war diese Situation hier bitte eskaliert? „Josh, so muss es nicht laufen. Füg dich doch einfach. Nichts aus deiner Vergangenheit könnte so schlimm sein, dass ich nicht damit klarkommen würde."
„Du willst es nicht verstehen. Nein heißt nein", meinte er und klang wie ein bockiges Kind.
Langsam ging ich auf das Regal zu, Josh im Blick. Dieser folgte mir und nahm meine Hand. Mit einer einfachen Bewegung löste ich mich.
„Willst du alles kaputt machen? Soll ich Schluss machen, wenn du meine Wünsche und Grenzen nicht respektierst?", drohte er.
„Josh, das will ich nicht. Aber es geht hier um etwas Größeres, als du vielleicht annimmst", antwortete ich bestimmt und setzte meine Bewegung fort.
„Raus. Ich will, dass du gehst und erst wieder kommst, wenn dir klar geworden ist, was du hier gerade tust", verlangte mein Herzblatt.
„Sorry mein Schatz", erwiderte ich nur und legte meine Hände auf die Kiste.
Im nächsten Augenblick griff auch Josh danach, ein Handgemenge entstand. Er bekam die Oberhand, nahm die Box und wollte damit verschwinden. Gerade noch konnte ich sein Shirt greifen und ihn zurückziehen. Nach ein wenig Taumeln plumpsten wir auf sein Bett. Wir rangelten miteinander, sodass er den Griff an der Kiste verlor und unter mir lag. Reflexartig ging meine Hand an meinen Gürtel, bevor ich mich versah, hatte ich Josh Handschellen angelegt und seine Hände auf seinem Rücken fixiert. Dieser Automatismus war so schnell von statten gegangen, dass ich selbst überrascht war. Und keineswegs Stolz darauf.
„Was zum Teufel? Yaron! Mach mich los verdammt!", schimpfte Josh und kämpfte gegen das Metall, vergebens.
„Es tut mir leid Josh, aber ich brauche Klarheit, dass du da nicht mit drinnen hängst."
Ich nahm die Kiste wieder an mich und öffnete sie dieses Mal, wenn auch mit fahrigen Händen und mulmigen Gefühl.
Zuerst lächelte mich ein jüngerer Josh auf einem Familienfoto an, der wohl von seinen Eltern umrahmt wurde. Aufgenommen vor dem Grand Canyon. Die Ähnlichkeit konnte er nicht verleugnen. Ein plötzlicher Stich in meinem Herz wollte Schuldgefühle aufkeimen lassen. Ich suchte weiter und schob noch weitere Fotos beiseite, Schnappschüsse mit seinen Angehörigen. Dann erfühlten meine Finger Stoff. Behutsam nahm ich das Textilstück aus der Kiste. Schwarze Kleidung, Oberteil, Hose und Maske. Aus dem Bündel purzelte eine kleine längliche Plastikleiste zurück in die Kiste. Kontaktlinsen? Ich schraubte den Behälter auf und fand braun gefärbte Linsen vor. Der Stich in der Herzgegend hatte nun zum Bauch gewechselt. Ich wollte es nicht glauben, doch im nächsten Moment war ich fassungslos. Auf dem Boden der Box lagen Medikamente, Werkzeuge und Geldscheine. Viele Geldscheine. Lose, aufgerollt, in Bündeln. Alles machte Sinn.
„Josh, was ist das?", fragte ich. Ich wollte eine Rechtfertigung, Erklärung. Irgendetwas, was das Offensichtliche relativierte. Seine Weste rein wusch.
Er schwieg. Mittlerweile war er aufgestanden, zur Türe gegangen und lehnte mit seiner Stirn an eben dieser.
„Antworte mir!", forderte ich und warf in meinem Frust eines der Geldbündel neben ihn an die Tür. Kurz zuckte er zusammen, doch hüllte sich sonst in Schweigen.
Tränen stiegen mir langsam in die Augen. Ich hatte auf Mittäterschaft gehofft, nicht, dass er allein die Einbrüche verübte.
„Du solltest deine Hinweise auf unsere Beziehung aus meiner Wohnung entfernen, bis deine Kollegen kommen, um mich abzuholen", war alles, was er sagte.
Ich stand auf, taumelte in seine Richtung, benommen von den Geschehnissen. Mit geschlossenen Augen legte ich meine Stirn an seinen Hinterkopf. Sofort stieg mir der Geruch von Badreiniger, seinem Shampoo gemischt mit seinem Parfum in die Nase. Wieso gerade er?
Langsam nahm ich den Schlüssel von meinem Gürtel und entriegelte die Handschellen. Doch Josh ließ nur kraftlos die Arme zur Seite hängen.
Vorsichtig griff ich nach seiner Schulter, drehte ihn um und besah ihn kurz, bevor ich sein Gesicht in meine Hände nahm, ihn an mich heranzog und behutsam meine Lippen auf seine legte. Den Kuss erwiderte er jedoch nicht. Der kurze Augenblick, den ich mir genommen hatte, um ihn zu mustern, verängstigte mich. Mein Angebeteter sah nicht gut aus. Gebrochen, besiegt fast. Und kraftlos, als hätte ich mit meiner Entdeckung alles Leben aus ihm gesaugt.
Ich löste mich, strich mit meinem rechten Daumen zärtlich über seine Wange. „Wieso tust du das Josh?"
Er hob die Schultern, konnte keinen Blickkontakt aufbauen.
„Bitte, hilf mir es zu verstehen", flehte ich. Damit meinte ich so viel mehr als nur die Diebstähle. Noch immer mied er meinen Blick.
„War das hier nur ein Spiel für dich? Dir jemanden bei der Polizei suchen, um einen Insider zu haben? Warum zum Teufel bist du diese Beziehung eingegangen, wenn du dich damit selbst gefährdest? Himmel, warum hast du zugelassen, dass ich mich in dich verliebe?", fragte ich, während die Schleusentore geöffnet wurden und ein stetiger Strom Tränen meine Wangen hinunter rann.
Josh legte nun eine seiner Hände auf meine.
„Das ist nicht fair von dir. Wenn du dich mal zurückerinnerst, habe ich dich nie um Sachstand in euren Ermittlungen gefragt. Verdammt, ich habe nicht mal gewusst, dass du beteiligt bist. Ich habe dich auf der Hawaiiparty gesehen und da hatte es Klick gemacht. Mein Herz war sofort weg. Dann habe ich versucht, mich nicht zu sehr reinzuhängen. Aber du machst es einem nicht leicht, keine Gefühle zu entwickeln. Dein Geständnis, dass du Polizist bist, hat mich ins Wanken gebracht. Unsere Aussprache hat mir aber gezeigt, wie sehr ich dich will und brauche. Ich war egozentrisch genug zu denken, dass du mich nie erwischen würdest. Hätten du und deine Kollegen auch nie. Bis auf unsere Begegnung in der Gasse, bei welcher du ziemlich ausgeteilt hast."
Fuck, dass hatte ich völlig verdrängt. Ich hatte nicht nur den Einbrecher verfolgt, sondern auch Josh. Und ihm ziemlich übel weh getan. Die Gefühle, die ich hatte, als ich ihn so verletzt gesehen hatte, kamen wieder in mein Gedächtnis gespült und versetzten mir einen innerlichen Kinnhaken.
„Oh mein Gott, wenn du der Einbrecher bist, dann habe ich dich verprügelt und dir Schmerzen bereitet!", entfuhr es mir.
Josh konnte mir nun kurz in die Augen schauen und ein kurzes Lächeln schenken. „Du hast es nicht gewusst. Ich habe ja auch ausgeteilt. Wir sind quitt."

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