Er hatte mir nach dem Duschen eine seiner Shorts geliehen, die perfekt passte. Unser Körperbau war sehr ähnlich und für mehr Kleidung war mir gerade noch zu warm. Josh sammelte im Badezimmer die Kleidung zusammen und räumte alles weg. Ich sah mich derweil in seiner Wohnung um. Von dem kleinen Flur ging eine Abstellkammer weg, dann das Badezimmer gefolgt von der Küche. Diese war nicht sonderlich groß, in die Länge gezogen. Die Theken aus dunklem Holz, der Herd und ein grauer Kühlschrank waren an der einen Seite und ein kleiner quadratischer Bistrotisch mit zwei Stühlen an der gegenüberliegenden platziert. Es war alles sehr sauber und aufgeräumt. Ich begab mich in sein Schlafzimmer, welches mir noch vage bekannt vorkam. Bedächtig ging ich durch den Raum. Auch hier war alles sehr aufgeräumt, Josh musste wohl sehr reinlicher Natur sein. Interessiert ging ich zu seinem Bücherregal und betrachtete die Literatur, die mich schon bei meiner ersten Übernachtung durch deren Größe und Format verwundert hatte. In der Tat suchte ich hier vergeblich Romane und seichte Literatur. Die Bücher im Regal hatten alle etwas gemeinsam: Es war wirklich Fachliteratur aus dem Bereich Medizin. Innere Medizin, Anatomie und weitere Themen. Josh hatte also vielleicht doch noch Ambitionen, neben seinem Kellnerjob etwas anderes und neues in seinem Leben zu erreichen.
Ich beäugte weiterhin den Inhalt seines Regals und sah im untersten Fach eine große, schwarze Truhe mit einem kleinen metallenen Schloss. Neugierig betrachtete ich diese Kiste und wollte sie fast hervor holen, als ich von Joshs Stimme unterbrochen wurde.
„Was machst du da Yaron?"
„Sorry, die Truhe hat mich neugierig gemacht", meinte ich mit Unschuldsmiene, richtete mich auf und drehte mich zu ihm.
„Verstehe ich. Nur ich wäre dankbar, wenn du die in Ruhe lassen würdest. Das ist meine Erinnerungstruhe."
„Ah okay, ich wollte nicht respektlos sein. Falls ich eine Grenze überschritten habe, tut es mir Leid", entschuldigte ich mich und ging auf ihn zu. Er lächelte, es war aber kein ganz erfreutes Lächeln sondern eher ein schwaches.
„Jeder hat seine Vergangenheit, ich fühle mich noch nicht bereit dir meine mitzuteilen oder zu zeigen, auch wenn wir uns gut verstehen. Vielleicht irgendwann, wenn es zwischen uns ernster wird. Ich hoffe, du kannst damit umgehen."
Auf komische Art und Weise war ich kurz vor dem Kopf gestoßen, aber dann hielt ich inne und ließ seine Worte auf mich wirken. Er hatte absolut Recht. Wir kannten uns nur sehr kurz, für eine Analyse unserer Lebensgeschichten war es definitiv noch zu früh. Außerdem hatte ich ihn angelogen, was meinen Job anging. Und wer weiß, was er erleben musste als er sich outete. Vielleicht lagen hier die Überreste eines Lebens, dass er zurück lassen musste. Ich wollte nicht unsensibel sein, legte ihm meine Hand sanft auf seine Wange, küsste ihn.
„Wenn wir uns weiterhin so gut verstehen, würde ich mich sehr darüber freuen, dass du mir deine Vergangenheit zeigst. Aber ich akzeptiere das und hoffe, dass es so schön weiter geht wie es bis jetzt läuft."
Josh nickte nur, nahm meine Hand und zog mich in Richtung seines Bettes. Dort schlug er die Decke zur Seite, schob sich unter diese und klopfte auf die Matratze als Zeichen, dass ich folgen sollte. Schnell rutschte ich neben ihn und schlug die Decke über uns. Unter der weichen, kuscheligen Schicht rutschte ich näher an meinen Bettnachbarn und spielte den großen Löffel. Meinen rechten Arm schob ich unter seinen Nacken durch und legte meine Hand auf seine Brust. Josh ergriff meinen linken Arm und nahm ihn auch an seine Brust. Ich konnte ihn sanft atmen spüren und hören, was mich innerlich zur Ruhe kommen ließ.
„Soll ich dir etwas Lustiges erzählen?", fragte ich und begann sanft seine glatte Brust zu streicheln.
Er wirkte dösig auf mich, doch nickte er.
„Ich habe meinem besten Freund und einem Kollegen von unseren Dates erzählt. Da ich aber momentan ja noch nicht bereit dazu bin, mich zu outen, habe ich dir einen Codenamen gegeben."
„Und wie heißt die weibliche Version von mir?", fragte er neugierig, auch wenn seine Stimme mit Müdigkeit belegt war.
„Dein Name ist Jolene. Was denkst du, wie oft ich mir anhören darf, dass es etwas mit Dolly Parton zu tun hat?"
Er lachte kurz auf. „Jolene. Ernsthaft? Also wenn das was mit uns wird, will ich dabei sein, wenn du ihnen eröffnest, dass ich ein Mann namens Josh bin. Die Kinnladen werden aber so was von runter fallen."
Ich konnte es förmlich vor meinem geistigen Auge sehen, wie Elliot und Hirai erschrocken drein blickten, während ich Josh einen deftigen Schmatzer auf die Wange presste.
„Ich hoffe, ich konnte den miesen One Night Stand ausgleichen", murmelte ich leise in sein Ohr.
Er nickte. „Auf jeden Fall. Auch wenn du nichts ausgleichen musst, da wir beide ziemlich blau waren. Wenn wir so weiter machen werden wir noch sehr viel Spaß und Zeit haben Yaron." Kurz hielt er inne. „Immerhin hast du deinen Freunden davon erzählt, dass du jemanden triffst. Das habe ich noch nicht getan. Aber vielleicht auch nur, weil ich keine besonders engen Freunde habe." Seine Stimme hatte kurz Unsicherheit ausgeströmt, als wäre seine Fassade und Stärke gebröckelt und hätte Verletzlichkeit offen gelegt.
Ich war unschlüssig, wie ich mit seiner Offenbarung umgehen sollte. Hatte er mir Schwäche gezeigt? Es war logisch, kein Mensch konnte immer zu hundert Prozent selbstsicher sein. Vielleicht war das mein Moment, der Ritter in schillernder Rüstung zu sein. Mit festem Griff umarmte ich Josh und zog ihn an mich.
„Musst du auch nicht, wenn du nicht willst. So besonders ist es auch nicht. Aber eines kann ich dir sagen: Ich denke, ich wäre sehr gerne der Mensch in deinem Leben, dem du alles erzählen kannst und dem du dich anvertraust. Wir müssen aber nichts überstürzen und können einfach zusehen, wie sich die Dinge so entwickeln."
Er rieb seinen Hintern an meinem Schritt. „Stimmt, schauen wir mal wie es so läuft."
„Sollen wir noch eine Runde joggen gehen?"
„Und schon sind deine Sympathiepunkte gesunken", lachte er leise auf und schob sich ein kleines Stück von mir weg.
„Schon gut, wir können auch ein Nickerchen einlegen", antwortete ich gönnerhaft.
Er schmiegte sich wieder an mich, zog die Decke mit einer Hand über unsere Schulter und küsste meine Handinnenfläche, die er kurz von seiner Brust gelöst hatte. Ein schönes, vertrautes, wohliges Gefühl und es wirkte fast so, als würde er mich genauso brauchen wie ich ihn. Für die wenige Zeit, die wir mit einander verbracht hatten, fühlte ich mich stark mit ihm verbunden. Sogleich war ich eingeschlafen mit einem wundervollen Menschen in meinen Armen.
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Shot At The Night
Mistério / Suspense"Mit Zuckerschnecke kriegt er sie aber nicht rum." Während Yaron auf einer Strandparty die Flirtversuche seines besten Freundes kommentiert bleibt das bei Josh nicht unbemerkt. Was mit einer flüchtigen Begegnung beginnt, endet in einem One-Night-Sta...