Kapitel 15

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»Worüber wollte mein Vater mit dir reden?«, fragte Evelia. Sie und Fabio saßen wieder einmal an ihrem Lieblingsplatz am Strand und genossen die Spätnachmittagssonne.

»Er hat mir eine Stelle in einer Bank angeboten«, sagte Fabio und sah in die andere Richtung.

»Das ist ja großartig!«, rief Evelia und drückte seinen Arm. Fabio antwortete nicht.

»Ist irgendetwas?«

»Was? Nein, nein«, murmelte Fabio zerstreut. »Evelia?«

»Ja, Fabio?«

»Ich glaube, ich sollte dir doch meine Geschichte erzählen. Du hattest Recht, als du sagtest, man sollte in einer Beziehung ehrlich zueinander sein.«

Evelia lauschte gespannt.

»Ich habe letztes Mal gesagt, dass meine Eltern Fischer waren. Das stimmt nicht, es waren meine Großeltern, bei denen ich aufgewachsenen bin.«

»Was ist mit deinen Eltern?«

»Meine Mutter war Prostituierte. Meinen Vater kenne ich nicht.«

Evelia schlug die Hand vor den Mund. Fabio schnaubte.

»So wie du haben alle reagiert, denen ich es erzählt habe.« Außer Máxima, fügte er in Gedanken hinzu.

»Aber meine Mutter war eine rechtschaffene Frau! Sie hat es eben sehr schwer gehabt und keine andere Möglichkeit mehr gesehen.«

»Das glaube ich dir. Sie muss eine tolle Frau sein, bei so einem Sohn!« Sie schmiegte sich an ihn. Fabio lächelte.

»Sie ist tot.«

»Das tut mir leid... Was ist passiert?«

Fabio zuckte mit den Achseln.

»Prostitution ist nun einmal nicht das sicherste Gewerbe dieser Welt. Eines Tages wurde sie erstochen. Man hat den Täter bis heute nicht gefunden. Vielleicht war es ein neidischer Freier, oder irgendso ein irrer Perverser... ich weiß es nicht.«

Evelia drückte seine Hand. Fabio fuhr fort:

»Ich war ungefähr sechs, sieben als sie starb. Im ganzen Dorf war ich als der Hurensohn verschrien. Ich habe mein ganzes Leben lang versucht, mich zu beweisen. Deswegen habe ich allerlei tollkühnen Mist gemacht, um den Leuten zu zeigen, was für ein tollkühner Held ich bin. Doch am allermeisten wollte ich es mir selbst beweisen.«

»Was ist mit deinen Großeltern?«

»Sie waren stets gut zu mir und boten mir ein tolles Zuhause, obwohl sie sehr arm waren. Manchmal hat mich mein Opa morgens früh mit raus auf die See genommen, zum Fischen. Das war der einzige Ort, an dem ich sein konnte, wie ich bin. Als ich 16 war, ist mein Opa dann gestorben. Meine Oma und ich sind zu meiner ältesten Tante gezogen. Doch sie hat mich nie gemocht, ich habe mich ewig mit ihr gestritten. Irgendwann bin ich fort, in die nächstgrößere Stadt, nach Pisco. Wie meine Mutter, doch ich hatte mehr Glück. Señor Barragan, der Bootsbauer, hat mich als Lehrling angenommen. Boote haben mich schon immer fasziniert, und ich bin handwerklich nicht ungeschickt. Hier habe ich dann neue Freunde gefunden und habe ein anderes Leben begonnen.«

»Bemerkenswert«, sagte Evelia.

Fabio sah sie an. »Und? Du lachst mich nicht aus? Schickst mich nicht fort!«

»Aber natürlich nicht! Das könnte ich niemals.« Sie gab ihm einen Kuss auf die Wange.

»Wie du schon gesagt hast, der alte Fabio Pérez hat nichts mehr mit dem neuen zu tun!«

»Jetzt erzähl mir etwas von dir!«, sagte Fabio.

»Von mir gibt es nichts zu erzählen.«

»Das glaube ich nicht. Was ist zum Beispiel mit deiner Mutter?«

Evelia seufzte und malte mit ihrem Zeigefinger Kreise in den Sand.

»Tot.«

»Das tut mir leid.«

»Ist schon lange her. Ich muss ungefähr zwei gewesen sein. Ich kann mich gar nicht mehr an sie erinnern. Papa hat mir erzählt, dass sie aus Europa kam. Französin war sie.«

Das erklärte die blonden Haare, dachte Fabio.

»Aber sie hat sich wohl nie hier eingelebt. Papa hat mir nie erzählt, woran sie gestorben ist, aber eines Tages habe ich einen alten Zeitungsartikel gefunden. Darin stand, dass sie depressiv war und eines Tages an einer Überdosis Schlaftabletten gestorben ist.«

»Es tut mir wirklich sehr leid.«

»Ich kenne diese Frau gar nicht.«

»Trotzdem.«

Evelia zuckte mit den Schultern.

»Lass uns über etwas anderes reden! Wir sind jung, wir sollten uns amüsieren, anstatt über den Tod zu reden!« Sie sprang auf. »Kommst du?«

Máxima y FabioWo Geschichten leben. Entdecke jetzt