Magica Robur

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Ich wollte ihr sagen, dass ich auf keinen Fall zu ihr kommen würde. Dass sie keine Kontrolle über mich hatte und ich überhaupt nichts tun musste, was sie mir sagte. Aber bevor ich meinen Mund öffnen konnte wusste ich, dass nichts davon wahr war. Sie zog mich magisch an. Ich konnte sie spüren, wusste trotz des Nebels genau wie ich ihr folgen konnte. Und ob ich wollte oder nicht, mein Körper reagierte automatisch. Schritt für Schritt ging ich in die Richtung aus der ich ihre Stimme gehört hatte. Der steinige Boden unter meinen Füßen verschwand nach und nach und wurde durch taunasses Gras ersetzt. Je weiter ich ging desto lichter wurde auch der Nebel, dafür nahm ich etwas anderes wahr. Ein Flüstern, wie von tausenden Stimmen, die leise Worte sprachen. So leise und undeutlich, dass ich es nicht verstand. Aber es kam von überall um mich herum und es jagte mir einen Gänsehaut Schauer über den Rücken. Ich zwang mich weiter zu gehen, denn umzudrehen schien jetzt keine Option mehr zu sein. Ich konnte nicht sagen wie lange ich lief. Es fühlte sich an wie Stunden, meine Beine wurden nach und nach schwer und ein paar mal wäre ich fast auf dem nassen Gras ausgerutscht. Ich fragte mich gerade, ob das hier alles eine Falle war, oder ich vielleicht endgültig den Verstand verloren hatte, als sich der Nebel auf einmal lüftete. Ich stand auf einer grünen Wiese. Vor mir plätscherte ein kleiner Fluss und an seinem Ufer, auf der mir gegenüberliegenden Seite saß eine Frau. Sie trug ein weißes Kleid. Ihr weißblondes Haar fiel offen über ihre Schultern, so lang, dass es bis auf den Boden fiel. Ihre Haare waren glatt, nicht lockig so wie meine, aber als sie den Kopf hob durchbohrten mich Sturmgraue Augen. Meine eigenen Augen. Wir waren nicht die gleiche Person. Aber sie war mir ähnlich. Zu ähnlich. Als sich unsere Blicke trafen verzog sich ihr Mund zu einem geisterhaften Lächeln.

„Magica" realisierte ich.

„Du hast den Weg zu mir gefunden" stellte sie zufrieden fest. „Setz dich, mein Kind. Wir haben viel zu besprechen."

Ich trat ein paar Schritte nach vorne. Auf meiner Seite des Ufers ragten einige Steine in die Höhe. Ich überlegte, ob ich mich auf ihnen niederlassen sollte, oder versuchen sollte den Fluss zu überqueren.

„Ich fürchte, du musst auf deiner Seite verweilen" sagte Magica, als hätte sie meine Gedanken gelesen „Manche Grenzen sind fließend. Die Grenze zwischen Leben und Tod, eher weniger."

„Sie sieht für mich ziemlich flüssig aus" erwiderte ich trocken und deutete auf den Fluss. Magica lachte. Ein melodisches, fröhliches Lachen, dass in der nebligen Leere hinter ihr widerhallte.

„Du gefällst mir."

Ich antwortete nicht, ging allerdings langsam zu den Steinen auf meiner Uferseite hinüber und ließ mich darauf nieder, so dass wir uns mehr oder weniger gegenüber saßen. Sie sah mir dabei zu. Als ich saß musterten wir uns einen Moment lang schweigend. Sie hatte meine Augen, aber jetzt wo ich genauer hinsah, fiel mir etwas auf. Die Farbe war gleich, aber der Ausdruck - ihre Augen wirkten stumpf, leer. Tot.

„Du bist also tot?" fragte ich schließlich misstrauisch.

„Ich fürchte ja. Und nein."

Ich schnaubte. So langsam hatte ich die Schnauze voll von ihren vagen Antworten. Ich brauchte Fakten und zwar jetzt.

„Ich sehe du bist unzufrieden mit mir" schmunzelte Magica. „Das tut mir leid. Aber ich fürchte mein Dasein ist schwierig zu erklären. Wie du sicher weißt, opferten meine Eltern mich dem Tod. Als Ausgleich versprach er ihnen großen Reichtum. Und so starb ich. Doch der Tod war mir gnädig und meinen Eltern gegenüber tückisch. Er holte mich zu sich, lehrte mich alles was er wusste und als ich alt genug war schickte er mich zurück ins Reich der Lebenden, um den Rest meiner Familie zu sich zu holen. Ich tat wie er mir befahl und zum Dank entließ er mich aus seinen Diensten, um ein normales Menschenleben zu leben. Ich war glücklich. Traf einen Mann, verliebte mich und schließlich gebar ich eine Tochter. Ich liebte sie über alles. Doch der Tod war eifersüchtig auf mein Glück. Kaum hielt ich sie in meinen Armen, da wollte er sie mir nehmen. Ich flehte ihn an, mir mein Glück zu lassen, versprach ihm auf ewig in seine Dienste zu treten. Und so ließ er meine Tochter am Leben und holte stattdessen mich selbst zurück."

I might be crazy but at least I'm free - Blood is thicker than waterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt