7. Ragnarök

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Dag

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"Immer wenn ich an den Tag damals zurückdenke, muss ich an ein Zitat aus der Novel "Job: A Comedy of Justice" von Robert A. Heinlein von 1984 denken...:

"Bei Ragnarök wird die Welt, wie wir sie kennen, zerstört. Aber das ist nicht das Ende. Nach einer langen Zeit, einer Zeit der Heilung, wird ein neues Universum erschaffen, ein besseres und saubereres und frei von den bösen dieser Welt"

...Ich finde, das passt sehr gut!"

"Was passierte bei Ragnarök?"

"Dafür müssen wir kurz zurück. Zurück zum Vortag, als Martin und ich, mit Bier und Jägermeister bei ihm Zuhause angekommen waren..."

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Ausgelassen stellte ich die sechs Falschen Bier bei Martin auf den Küchentisch. "Willst du noch einen Film gucken?" Sofort nickte ich, ging in Martins Wohnzimmer und zog die große, flache Kiste unter dem Sofa hervor, während Martin seine berühmte Jägermeister-Cola Mischung machte. 50% Cola und 50% Jägermeister. So und nicht anders. Ich schob einige DVDs hin und her, da ich mich nicht entscheiden konnte. Eigentlich hätte ich spätestens als ich "Star Wars : Episode III - Die Rache der Sith" in der Hand hielt, dran denken sollen mich doch nochmal bei Vincent zu melden doch stattdessen legte ich die Hülle beiseite und entschied mich für "Monty Python: Die Ritter der Kokosnuss".

Ich hatte keine Lust auf irgendwas ernstes. Oder etwas was Flashbacks auslösen könnte. Monty Python war perfekt. Die überzogenen Effekte, bringen mich eher zum lachen statt unangenehme Erinnerung hochzuholen. "Ich hab was!", rief ich zu Martin rüber. "Komme" Mit zwei Bechern bewaffnet kam Martin zu mir und drückte mir mein Getränk in die Hand. "Prost!" Schnell stießen wir an, räumten zusammen die restlichen Filme weg und machten es uns mit Chips, die Martin noch da hatte, auf dem Sofa bequem. Ich hatte an diesem Abend echt viel Spaß mit und meine Sorgen schnell vergessen. Mit der Zeit wurden wir immer betrunkener aber auch immer besser drauf. So gut drauf, das ich gegen ein Uhr morgens auf Martins Sofa einschlief. 

Einige Stunden später, als ich endlich ausgeschlafen hatte, ging ich erstmal duschen und nahm ein Katerfrühstück zu mir. Mit leerem Magen wollte ich bestimmt nicht nach Hause.

Um elf Uhr, steckte ich dann endlich meinen Schlüssel in das Schloss. Schon von draußen konnte ich Vincent weinen hören. Weinen? Moment mal. Er weinte sonst nie. "Vincent?" Kurz stoppten die Geräusche. Dann näherten sich Schritte der Tür und noch bevor ich öffnen konnte, riss Vincent die Haustür auf. Sein Gesicht war total angeschwollen, seine Augen knallrot. Ich kam erstmal rein und schloss die Tür. 

Ragnarök. 

Vincent Gesicht wechselte schnell von traurig zu stink sauer. "BIST DU VÖLLIG BESCHEUERT? WO WARST DU?"
"Bei Martin! Was schreist du mich so an!?" Mein ganzer Körper versteifte sich.

Kämpfen. Fliehen. Einfrieren. Unterwerfung.

"ICH HAB MARTIN TAUSEND MAL ANGERUFEN WIESO KANNST DU NICHT ZURÜCKRUFEN?" So wütend hatte ich Vincent noch nie gesehen. Seine Augen waren zu schlitzen verengt, das Gesicht zu eine grässlichen Fratze verzogen und sein Körper bebte. "REG DICH JETZT AB! ICH HATTE ETWAS SPAß MIT..."
"MIT WAS? ALKOHOL?" Wieder sammelten sich Tränen in Vincents Augen. Er wirkte gebrochen. Kaputt. Überfordert. "ICH HATTE SPAß MIT MARTIN. HÖR AUF MICH ANZUSCHREIEN" Ich stieß Vincent aus Panik vor mir weg. Eigentlich gab es dafür keinen Grund. Er stand nicht mal besonders nah an mir dran. Trotzdem fühlte ich mich bedrängt. Er schnitt mir den einzigen Weg in die Wohnung ab. Automatisch stieß Vincent mich zurück.

Kettenreaktion.

Aus meiner Panik raus, schlug ich nach Vincent nur damit er zurückschlug. Ich erinnere mich nur noch Bruchstückhaft an die nächsten 30 Minuten. Vincents Gebrüll. Eine Vase die zu Bruch ging. Tränen. Ich und Vincent wie wir am Boden lagen. Fäuste die flogen. Klägliche Versuche den jeweils anderen festzuhalten. Das Klopfen an meiner Wohnungstür. Stühle die knallend umfielen. Eine laute Männerstimme. Noch lauteres Klopfen. Das knacken von Holz als die Tür nachgab. Rufe. Waffen. Vincents blutiges Gesicht als er mich anguckte und ihm klar wurde was wir hier gerade taten. Und vier Arme die mich von Vincent runterrissen. Danach setzte meine Erinnerung komplett aus. Das was danach passierte, weiß ich nur von Vincents Erzählungen.


Vincent


Zwei Polizisten, die sich mit Gewalt Zutritt zu Dags Wohnung verschafft hatten, weil die Nachbarn sie wegen dem Krach und der Schreie riefen, packten meinen Bandkollegen, zogen ihn von mir runter und warfen ihn unsanft zu Boden. Orientierungslos ruderte Dag mit den Armen und drehte den die Augen unnatürlich nach oben bevor er in sich zusammensackte. "DAG!" Ich wollte zu ihm, aber einer der Polizisten hielt mich sofort fest. "BITTE LASSEN SIE IHN LOS! ER HAT DAS BEWUSSTSEIN VERLOREN! BITTE!" Zum Glück stieg der Mann in Uniform sofort von Dag runter und versuchte ihn mehrfach anzusprechen doch Dag blieb einfach liegen. Ich blinzelte weil meine Sicht ganz verschwommen war. Es war das pure Chaos und es dauerte ganze 20 Minuten bis die Situation, entschärft war und die Sanitäter sich um Dag kümmerten, der immer noch im Wohnzimmer auf dem Boden lag. Der ganze Raum war verwüstet.

Mir wurde jetzt erst voll bewusst was wir hier gerade angerichtet hatten. Ich und Dag hatten uns gerade fast umgebracht. Das war echt der Tiefpunkt unserer Freundschaft. Und das auch noch mit Dags Gips. Vielleicht musste er jetzt nochmal operiert werden weil sich der ganze Bruch verschoben hatte.

Der Polizist befragte mich immer und immer wieder, doch er glaubte mir die Geschichte nicht das wir beide an diesem Scherbenhaufen Schuld hatten. Es war mir aber egal. Ich dachte nur darüber nach was das jetzt für unsere Freundschaft bedeutete. Wie sollten wir und jemals wieder vertrauen? Wie sollte ich mich jemals wieder in Dags nähe wohlfühlen ohne Angst zu haben das wir uns wieder weh taten? 

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"Hast du direkt danach nochmal mit Vincent gesprochen?" Mir kamen sofort die Tränen und sie schien zu merken das sie einen Wunden Punkt erwischt hatte.

"Nein. Ich war danach noch länger im Krankenhaus wegen meinem Arm. Aber Vincent kam mich gar nicht besuchen"

"Wie lange habt ihr euch jetzt nicht mehr gesehen oder miteinander gesprochen?"

"Vier Monate?" Ich biss mir auf die Lippe. Ich vermisste Vincent so.

"Warum hast du nie den Kontakt zu ihm gesucht?"

"Ich hatte Schuldgefühle. Weil ich ihn verletzt hatte. Und ich war verletzt weil er mich im Krankenhaus nicht mehr besuchen kam. Ich glaube er hasst mich"

"Dag. Du kannst nicht ewig vor allem wegrennen was problematisch erscheint oder dir weh tut"

"Ich weiß aber ich war ziemlich unfair und hab seine Hilfe abgeblockt obwohl er es nur gut meinte und bin erst zur Therapie als alles in Schutt und Asche lag"

"Besser spät, als nie Dag. Dafür musst du dich nicht schämen" Nervös wischte ich meine Hände an der Hose ab. Kurz darauf klopfte es. "Bist du bereit?"  Ich hatte das Gefühl mich gleich übergeben zu müssen, trotzdem nickte ich. 

"Kommen sie rein, Herr Stein!"

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Die Hydra der Vergangenheit [Abgeschlossen]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt