XXIV. Jabberjay

18 2 0
                                    

Am Strand der Arena, inmitten des sanften Rauschens der Wellen, saßen Ocean, Finnick, Katniss, Johanna, Beetee und Peeta im Kreis, erschöpft, aber noch immer wachsam. Die Sonne begann, sich langsam hinter dem Horizont zu senken, und das Licht färbte den Himmel in tiefen Rottönen. Für einen Moment schien es fast friedlich, doch die dunklen Wolken, die die Hungerspiele mit sich brachten, hingen schwer über ihnen allen. Keiner wagte es, sich zu sehr in die Stille zu verlieren. In dieser Arena konnte Frieden nur eine Illusion sein.

„Wer lebt noch?" Katniss' Stimme war rau, als sie die Frage in den Raum warf. Sie wussten, dass es nicht mehr viele sein konnten, doch niemand hatte eine klare Antwort. Das Sterben war so schnell und so brutal, dass es schwierig war, den Überblick zu behalten.

„Brutus, Enobaria... vielleicht noch ein paar aus den anderen Distrikten," murmelte Finnick und rieb sich nervös die Stirn. Er sah zu Ocean hinüber, die stumm aufs Wasser blickte. Ihre Augen waren leer, ihr Körper angespannt. Sie hatte sich verändert in diesen Spielen, das spürte er. Es war nicht mehr dieselbe Ocean, die er einst kannte.

Plötzlich durchbrach ein Schrei die Stille, so schrill und herzzerreißend, dass alle sofort aufsprangen. „Katniss!" Der Klang der Stimme war klar und deutlich, wie ein Messer, das sich durch die Luft schnitt.

Katniss erstarrte. Sie erkannte die Stimme sofort – es war Prim. Ohne nachzudenken, schoss sie in die Richtung, aus der der Schrei kam, ihre Augen weit vor Schock und Angst.

„Katniss, warte!" Finnick sprang als Erster hinterher, gefolgt von Peeta und Ocean. Sie rannten durch den dichten Dschungel, das Herzschlag donnernd in ihren Ohren, die Schatten der Bäume flimmerten in ihrem Sichtfeld.

Katniss rannte, als hinge das Leben ihrer Schwester davon ab, aber tief in ihrem Inneren wusste sie, dass Prim nicht hier war. Es konnte nur eine Täuschung sein, aber der Klang ihrer Stimme, so real, so verzweifelt, trieb sie weiter an.

Finnick holte sie schließlich fast ein, seine langen Beine trugen ihn schneller durch den unebenen Boden. Er wollte Katniss warnen, wollte ihr zurufen, dass sie aufhören sollte, aber da hörte er es selbst. Eine Stimme, die durch die Bäume hallte, zart und vertraut.

„Finnick!"

Es war Ocean. Ihr Ruf war voller Panik und Angst. Finnick hielt abrupt inne, sein Atem stockte, sein Herz setzte einen Schlag aus. „Ocean?" Sein Kopf drehte sich hektisch in alle Richtungen, doch er konnte sie nirgendwo sehen.

Katniss, die bereits ahnte, was geschah, drehte sich zu ihm um und schrie: „Finnick, es ist nicht sie!" Ihre Worte waren verzweifelt, aber Finnick hörte sie kaum. Der Klang von Oceans Stimme, so nah und doch unsichtbar, ließ ihn den Boden unter den Füßen verlieren.

„Finnick, es sind Schnattertölpel!" rief Katniss noch einmal, während sie versuchte, ihn zu erreichen, doch Finnick war bereits losgerannt, seinem instinktiven Schutzreflex folgend. Er musste sie finden. Er musste Ocean finden. Ihr Schrei hallte durch die Bäume, und es riss ihn fast auseinander. Sie brauchte ihn – das war alles, woran er denken konnte.

„Ocean!" rief er wieder, seine Stimme brach, während er schneller und schneller rannte. Panik ergriff ihn wie ein dunkler Schatten, der seine Sinne einnebelte.

Katniss holte ihn schließlich ein, ihre Hand packte seinen Arm, um ihn aufzuhalten. „Es ist nicht sie! Es sind nur die Schnattertölpel, die Stimmen nachahmen!" Ihre Worte waren eindringlich, aber Finnick drehte sich mit verzweifeltem Blick zu ihr um, seine Augen weit aufgerissen vor Angst.

„Was glaubst du, wie sie diese Stimmen bekommen haben?" schrie Finnick zurück, seine Stimme gebrochen. „Schnattertölpel kopieren Stimmen, Katniss!" Tränen glitzerten in seinen Augen, während er weitersprach. „Das sind ihre Schreie! Ihre echten Schreie!"

Katniss wollte widersprechen, doch sie wusste, dass er vielleicht recht hatte. Die Schnattertölpel mussten die echten Schreie von Ocean gehört haben, irgendwo, irgendwann, und nun wiederholten sie sie. Finnicks Schmerz war echt. Es fühlte sich an, als würde ihm das Herz aus der Brust gerissen.

Plötzlich stürzten die Schnattertölpel auf sie herab, wie eine Wand aus Flügeln und Stimmen, die das Blut in ihren Adern gefrieren ließen. Die Luft war erfüllt von den verzerrten Schreien ihrer Liebsten, Stimmen, die einst Trost gespendet hatten, jetzt aber nichts als Schrecken brachten.

Katniss und Finnick rannten, aber es war, als wären sie in einer Hölle aus Stimmen gefangen. „Peeta!" Katniss schrie nach ihm, doch die unsichtbare Barriere, die sich zwischen ihnen gebildet hatte, trennte sie. Finnick sah, wie Ocean neben Peeta auf ihn wartete, doch auch er konnte sie nicht erreichen. Eine unsichtbare Wand hielt sie auseinander, so nah und doch unerreichbar. Er versuchte verzweifelt, sie zu durchbrechen, aber es war zwecklos. Jede Sekunde, die verging, fühlte sich an, als würde er sie weiter verlieren.

Nach endlos erscheinenden Momenten des Schreckens und der Verzweiflung endete die Stunde schließlich, und die Schnattertölpel verstummten. Der Lärm verklang, und die Welt um sie herum kehrte in eine trügerische Stille zurück. Finnick stand wie erstarrt da, sein Atem schwer, sein Blick leer. Er fühlte sich, als hätte er gerade den wichtigsten Menschen in seinem Leben verloren, auch wenn Ocean nur wenige Schritte entfernt war. Aber er sah sie nicht.

Langsam, als die Gefahr vorüber war, kam Johanna auf ihn zu. Ihre Augen suchten seinen Blick, und sie sah, wie verloren er war. Ohne zu zögern, kniete sie sich neben ihn und zog ihn fest in ihre Arme. Finnick zitterte in ihrem Griff, seine Stirn lag auf ihrer Schulter, und er schien keinen Halt mehr zu finden.

„Ich habe ihre Schreie gehört," flüsterte er, seine Stimme kaum mehr als ein leises Zittern. „Ich habe ihre Schreie gehört, Johanna. Ich dachte... ich dachte, sie wäre es..." Er konnte den Satz nicht zu Ende bringen, der Schmerz zu groß, um ihn in Worte zu fassen.

Johanna hielt ihn fest, drückte ihn an sich, während sie ihre Wange an seinen Kopf lehnte. „Finnick... sie hat viel geschrien. In ihren Spielen," sagte sie leise, ihre Stimme von einer düsteren Ruhe getragen. „Die Schnattertölpel... sie kopieren, was sie hören. Sie haben ihre Schreie aufgenommen... damals. Nicht jetzt."

Doch Finnick konnte sich nicht beruhigen. Der Gedanke, dass ihre Schreie einmal echt gewesen waren, dass sie durch dieselbe Hölle gegangen war, die er gerade durchlebt hatte, ließ ihn nicht los. „Ich... ich kann das nicht..." flüsterte er, seine Finger klammerten sich an Johanna, als wäre sie sein einziger Anker.

"Wo ist aber Ocean", Finnick stand panisch auf, schaut überall um sich herum, doch er sah sie einfach nicht. "Wo ist Ocean?!" schrie er nochmals, aber keiner kannte die Antwort.

The fallen AngelWo Geschichten leben. Entdecke jetzt