Stahl

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Die Ratssitzung war noch nicht lange her. Zwei, vielleicht drei Stunden, und einen Ritt zurück ins Lager, und erst jetzt, als er im Inneren seines Zeltes saß, fiel Griffith auf, wie sehr er sich verboten hatte, auch nur daran zu denken.

"Doldrey hat wieder einen neuen Gouverneur." Die Stimme war eine von vielen gewesen, der Satz einer der unzähligen, die ihre Spione und Berichterstatter aus allen Ländern zusammentrugen. "Garahel Gennon." Griffith war still geblieben.

Die übliche Ruhe, dasselbe nichtssagende Gesicht, nachdenklich und mit dem leisen Hauch eines höflichen Lächelns, was an seinen Mundwinkeln zupfte. Er dachte nicht daran, sich zu Wort zu melden. Um genau zu sein, dachte er gar nichts - sein Kopf war in angenehmes weißes Filterrauschen gehüllt, dass normalerweise mit Müdigkeit einsetzte oder dann, wenn es galt, ihn vor Langeweile zu bewahren. Die Worte waren an ihm vorüber geflossen, während er den Blick durch ihre Runde schweifen ließ und sich an kleinen Details aufhielt, während sein innerer Monolog schwieg.

"Gennon? Was wissen wir über ihn?"

Blätterrascheln. Seiten wurden umgekehrt, Berichte entfaltet. Griffith verlagerte sein Gewicht unmerklich, als ihm seine Position zu unbequem wurde.

"Ehemaliger Lord von Lanquin. Er ist einer der Nobelleute, der die Kriegsbemühungen der Tudors mit großzügigen finanziellen Mitteln unterstützte-", las Baron Remfrey, ehe er sich zu einem Schulterzucken herabließ. "-vermutlich der Grund für den neuen Posten."

"Irgendwas darüber, wo er das Geld herhat?", wandte sich ein weiterer Mann an die Runde. "Lanquin ist alles andere als fruchtbares Land. Unsere Spione berichten von darbender Bevölkerung."

"Ah, ja - eine der städtischen Tuchhändlergilden hat unter Aufsicht seiner Inquisition Verrat an der Krone gestanden. Ihr Hab und Gut wurde beschlagnahmt, und der Lord wusste es gut anzulegen." Mehr Blättergeraschel. "Keine Frau, keine Kinder. Wenig diplomatische Ansatzpunkte. In einem der Berichte wird er als Philanthrop beschrieben, hat anscheinend über die Jahre viele Kriegswaisen an seinen Hof geholt."

Soviel, blitzte es in Griffith Geist auf, hätte ich euch auch verraten können. Und mehr.

Nicht, dass er das selbst unter Folter tun würde.

Und - er hatte gut verdrängt, nicht wahr? Griffith war später wieder ins Gespräch eingestiegen, als es um potentielle Punkte zum Vorrücken ihrer Armeen ging, er hatte höflich gelacht, charmant Konversation betrieben, den Rückweg über noch gewitzelt mit Judeau und Gastan.

Nur jetzt, allein im Zelt, wollte es ihn nicht loslassen. Wie sein Gehirn einfach dicht gemacht hatte. Alles war blank gewesen, und angenehm, und er hatte es nicht einmal aktiv bemerkt. Hätte er noch vernünftig antworten können, wenn man ihm Fragen gestellt hätte? Oder wäre er zu beschäftigt mit dem Gedanken an

- Hände auf seiner Haut, Enge in seiner Kehle, wie breit er lächeln konnte, wenn er doch eigentlich kotzen wollte, oder vielleicht zubeißen, dem alten Mann Nase und Haut vom Gesicht reißen, nur aus einem Impuls heraus -

an andere Dinge?


Seine Rüstung schimmerte auf dem Ständer neben ihm, poliert, wieder glattgeschlagen, symbolträchtig und nutzlos. Dumm, dass sie ihn nur unberührbar fühlen ließ, wenn er sie auch tatsächlich trug. Dumm, dass Griffith klüger sein wollte, als Trost in leeren Symboliken zu suchen. Er rang noch ein wenig mit sich, der Form halber, aber eigentlich war die Entscheidung schon längst gefallen. Irgendwas würde er tun müssen.

Griffith schlüpfte in seine Stiefel, um nicht barfuß über den klammen Rasen laufen zu müssen, und streckte seinen Kopf zur Zelttür heraus. Die Stimmen, die er in einiger Entfernung gehört hatte, entpuppten sich als Casca und Judeau. Beide Gesichter leuchteten auf, als sie seiner Gewahr wurden. Zumindest eines von ihnen fiel wieder zusammen, als er die Stimme erhob.

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