Blutnacht

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"Shhhh. Shhh. Alles ist gut." Casca hatte wenig mütterliches an sich, glaubte sie. Es war keine Rolle, in der sie sich jemals gesehen hatte, geschweige denn, dass sie viel damit anzufangen wusste. Wie sollte sie noch eine ergebene Klinge an Griffith Seite sein, wenn sie sich um einen eigenen kleinen Menschen kümmern musste?

Aber das hieß nicht, dass sie Kinder nicht leiden konnte. Sie mochte ihren Anblick, wenn sie spielten und lachten, war gerührt von den kleinen Gesten, die ihr die Dorfknirpse entgegenbrachten, ihrem Lächeln,und wenn sie litten, dann litt Casca mit ihnen. Gerade konnte sie das allerdings nicht zugeben. Es hieß stark zu sein. "Du wirst wieder gesund werden. Wir kümmern uns um dich."

"Aber ich fühl mich seltsam. Es tut weh..." Der Junge war keine zehn Jahre alt, und der Stein hatte einen Großteil seines Unterkörpers zermalmt. Spüren konnte er kaum noch etwas. Ihr Feldarzt hatte nur einen Blick auf ihn geworfen und sachte den Kopf gen Casca geschüttelt. Es gab wichtigere Leute, um die er sich kümmern musste, Leute, die noch zu retten waren.

Auf der gegenüberliegenden Seite des Bettes saß ein älterer Junge und starrte Casca an, als hätte sie ihm persönliches Unrecht getan. Er hatte seinen Bruder hier reingetragen, als der nicht mehr laufen konnte, und nach Hilfe gebrüllt. Noch gab er sein Bestes, nicht zu weinen, aber seine Miene blieb wütend und verkniffen, und das Gefühl, nichts tun zu können, schien sich in persönlichen Hass umzuwandeln. Casca konnte es ihm nicht übelnehmen. Sie fühlte sich ja selbst wütend.

Vorsichtig streichelte sie die Hand des kleinen Jungen. "Das ist normal. Keine Sorge." Und sie lächelte weit. "Dein Bruder hat oben auf den Zinnen gekämpft wie ein Held, wusstest du das?" Nun leuchtete das Gesicht des Zwerges doch auf. Sie fragte sich, wo die Kinder zwischen all dieser Angst noch Begeisterung hernehmen konnten, selbst wenn seine Worte schon kraftlos wirkten.

"Ich weiß! Er wäre so ein toller Krieger." Jetzt zitterten die Lippen des älteren Jungen angestrengt.

"Du aber auch, Mo. Ich brings dir bei. Du wirst der beste Soldat werden." Und er strich über das Haar seines kleinen Bruders. Casca wartete, bis seine Augen sich geschlossen hatten, ehe sie sich erhob. Es gab noch genug andere Betten, an denen ein paar Momente des Trosts gebraucht wurden, und die Männer draußen hatten ihre Befehle. Hier konnte sie auch nicht viel tun, aber es war noch immer mehr als nichts.


"Hört her!" Der Mann hatte eine weiße Fahne getragen, was der Grund gewesen war, warum man ihn bis ans Fallgitter hatte marschieren lassen, ohne ihn mit Pfeilen zu spicken. Seine Rüstung war prunkvoll und sein Lächeln selbstgefällig. Es wurde nur noch breiter, als er seinen Blick über die Bauernjungen an Guts Seite schweifen ließ, die ihre Schwerter hielten, als fühle sich die Waffe fremd und unbeholfen in ihren Händen an. "Wir wissen, dass die meisten von euch keine kriegsgewohnten Männer sind! Wir wissen, dass ihr scheitern werdet - und zwar bald."

Hinter ihm war schon Dunkelheit herausgebrochen. Die Katapulte hatten immer wieder Stücke aus der Mauer gerissen, und inzwischen war sie nur noch spärlich besetzt - von Falken, die ihre Kommandantin nicht enttäuschen wollten, und von einem kleinen Rest an Bauern, in denen der Widerstandsgeist brannte. Wo ihnen die Pfeile ausgingen, schien es dem Feind aber glücklicherweise auch an Steinen zu mangeln, und für den Moment hatte der Beschuss ausgesetzt. Stattdessen durften sie sich nun mit diesem Esel herumschlagen.

"Die Tudors sind keine Monster. Wir sind bereit, die gemeinen Männer und Frauen hinter dieser Mauer unbeschadet gehen zu lassen." Blicke wurden ausgetauscht. Hinter Guts wollte Tuscheln entbrennen. "Unter einer Bedingung. Liefert uns den Hauptmann der Söldnerstreitmacht aus."

Nicht in diesem Leben. Und wenn es nach Guts ging, auch in keinem anderen. Casca mochte ein herrisches, zänkisches, unerträgliches Weibsbild sein, aber er würde eher sterben, als sie dem Feind zu überlassen.

FleischWo Geschichten leben. Entdecke jetzt